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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung der Politik am Stillen Ozean

Entschlusses stehen, sich nicht durch unterbietende Fremde an der Ausnutzung
des eignen Bodens stören zu lassen, ist weiter oben kurz berührt worden. Sie
wissen aber auch weiter recht wohl, daß Zeiten kommen können, wo die japa¬
nische Flotte eine ernste Gefahr für ihre Häfen werden kann. Das gilt vor
allem, wenn die sonst unwiderstehliche englische Flotte in den europäischen oder
den amerikanischen Gewässern engagiert ist, also nicht herbeieilen kann, um den
japanischen Stier bei den Hörnern zu packen. Und auch wenn sie frei ist, gehen
immer sechs bis sieben Wochen darüber hin, ehe sie vor Sydney oder vor Joko-
hama erscheinen kann. Die Australier haben deshalb ein neues Verteidigungs-
system aufgestellt. Sie wollen wohl zahlen, verlangen aber dafür, daß das
Mutterland, außer den vorhandnen, 3 Kreuzer, 16 Torpedoboote und 15 Tor¬
pedobootszerstörer dauernd an ihren Küsten unterhalte. Ein ähnliches System,
jedoch in kleinerm Rahmen, besteht schon; es ist darin eingeschlossen, daß die
Kolonien die Landbefestigungen für eine Anzahl Häfen bauen und unterhalten,
während das Mutterland für Bewaffnung und Besatzung sorgt. Die neuen
australischen Forderungen sind von den zuständigen Behörden in London vor¬
läufig abgelehnt worden; diese haben den Standpunkt beibehalten, daß die
aggressive Kraft der englischen Flotte ein ausreichender, ja der beste Schutz für
die Kolonien sei. Damit stimmt jedoch ein sehr bezeichnender Schritt der bri¬
tischen Reichsverteidigung nicht überein: die Befestigung von Singcipore. Auch
hierfür wie für die australischen Pläne wird auf Deutschland und Frankreich
exemplifiziert, während es doch auf der Hand liegt, daß sich ein Streit mit
diesen in den europäischen Gewässern erledigen müßte. Im Vertrauen leugnet
kein Mensch, daß England Singapore befestigt, um gegen einen nnerbetnen Be¬
such der japanischen Flotte in Indien geschützt zu sein. Wenn die junge gelbe
Macht einen solchen Wikingerzug unternehmen will, muß sie entweder durch die
Straße von Singapore oder die Sundcistrnße (zwischen Sumatra und Java)
fahren. Singapore deckt die eine vollständig und ist selbst für die andre ein
guter Fußpunkt. Ein Besuch europäischer Feinde östlich von Indien hätte für
diese keinen Zweck, die Befestigung Singapores wäre gegen eine,? solchen ein
ungeeignetes Mittel. Aus dieser Maßregel erkennt man vielmehr das Mi߬
trauen Englands gegen den Verbündeten. Es ist kein Zweifel, daß man außer¬
ordentlich ungern dessen Regimenter in Indien erscheinen sähe, um die Kosaken
von Afghanistan, den Pamirs und Persien fernzuhalten. Man fürchtet eine
unangenehme Rückwirkung auf die vielen Millionen indischer Untertanen, die
jetzt schon leise wahrnehmbar ist. Die Neigung Englands, sich mit Rußland
über die asiatischen Streitfragen zu verständigen, hat aus dieser Quelle neue
Nahrung gezogen.

Auf die wertvollen holländischen Kolonien braucht man nur einen Blick zu
werfen, wenn man erkennen will, daß sie einem japanischen Angriff wehrlos
ausgesetzt sind. Ihr Schutz besteht in der hoffentlich einmütiger Überzeugung
ganz Europas und Amerikas, daß ein etwaiges japanisches Unternehmen da¬
gegen mit vereinten Kräften abgewehrt werden muß.


Die Neugestaltung der Politik am Stillen Ozean

Entschlusses stehen, sich nicht durch unterbietende Fremde an der Ausnutzung
des eignen Bodens stören zu lassen, ist weiter oben kurz berührt worden. Sie
wissen aber auch weiter recht wohl, daß Zeiten kommen können, wo die japa¬
nische Flotte eine ernste Gefahr für ihre Häfen werden kann. Das gilt vor
allem, wenn die sonst unwiderstehliche englische Flotte in den europäischen oder
den amerikanischen Gewässern engagiert ist, also nicht herbeieilen kann, um den
japanischen Stier bei den Hörnern zu packen. Und auch wenn sie frei ist, gehen
immer sechs bis sieben Wochen darüber hin, ehe sie vor Sydney oder vor Joko-
hama erscheinen kann. Die Australier haben deshalb ein neues Verteidigungs-
system aufgestellt. Sie wollen wohl zahlen, verlangen aber dafür, daß das
Mutterland, außer den vorhandnen, 3 Kreuzer, 16 Torpedoboote und 15 Tor¬
pedobootszerstörer dauernd an ihren Küsten unterhalte. Ein ähnliches System,
jedoch in kleinerm Rahmen, besteht schon; es ist darin eingeschlossen, daß die
Kolonien die Landbefestigungen für eine Anzahl Häfen bauen und unterhalten,
während das Mutterland für Bewaffnung und Besatzung sorgt. Die neuen
australischen Forderungen sind von den zuständigen Behörden in London vor¬
läufig abgelehnt worden; diese haben den Standpunkt beibehalten, daß die
aggressive Kraft der englischen Flotte ein ausreichender, ja der beste Schutz für
die Kolonien sei. Damit stimmt jedoch ein sehr bezeichnender Schritt der bri¬
tischen Reichsverteidigung nicht überein: die Befestigung von Singcipore. Auch
hierfür wie für die australischen Pläne wird auf Deutschland und Frankreich
exemplifiziert, während es doch auf der Hand liegt, daß sich ein Streit mit
diesen in den europäischen Gewässern erledigen müßte. Im Vertrauen leugnet
kein Mensch, daß England Singapore befestigt, um gegen einen nnerbetnen Be¬
such der japanischen Flotte in Indien geschützt zu sein. Wenn die junge gelbe
Macht einen solchen Wikingerzug unternehmen will, muß sie entweder durch die
Straße von Singapore oder die Sundcistrnße (zwischen Sumatra und Java)
fahren. Singapore deckt die eine vollständig und ist selbst für die andre ein
guter Fußpunkt. Ein Besuch europäischer Feinde östlich von Indien hätte für
diese keinen Zweck, die Befestigung Singapores wäre gegen eine,? solchen ein
ungeeignetes Mittel. Aus dieser Maßregel erkennt man vielmehr das Mi߬
trauen Englands gegen den Verbündeten. Es ist kein Zweifel, daß man außer¬
ordentlich ungern dessen Regimenter in Indien erscheinen sähe, um die Kosaken
von Afghanistan, den Pamirs und Persien fernzuhalten. Man fürchtet eine
unangenehme Rückwirkung auf die vielen Millionen indischer Untertanen, die
jetzt schon leise wahrnehmbar ist. Die Neigung Englands, sich mit Rußland
über die asiatischen Streitfragen zu verständigen, hat aus dieser Quelle neue
Nahrung gezogen.

Auf die wertvollen holländischen Kolonien braucht man nur einen Blick zu
werfen, wenn man erkennen will, daß sie einem japanischen Angriff wehrlos
ausgesetzt sind. Ihr Schutz besteht in der hoffentlich einmütiger Überzeugung
ganz Europas und Amerikas, daß ein etwaiges japanisches Unternehmen da¬
gegen mit vereinten Kräften abgewehrt werden muß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/82>, abgerufen am 24.07.2024.