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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean

zu einem ausgesprochnen Selbstgefühl gekommen. Es ist sich seiner Kulturfort¬
schritte und seines politischen Ranges sehr wohl bewußt. Die Amerikaner er¬
warten eine Einwanderungsflut als unabwendbar, weil Japan in der Notwendigkeit
sei, für feine zu groß gewordne Bevölkerung Unterkommen zu suchen. In der
Tat, das ist eine sehr ernste Seite der Sache. Japan ist ein übervölkertes Land.
Wir haben schon erwähnt, daß es mit 114 Einwohnern auf dem Quadratkilo¬
meter bevölkerter ist als Deutschland. In den Durchschnitt eingerechnet ist
Hokkaido, die Nordinsel, mit nur 6,5 Einwohnern auf dem Quadratkilometer;
dagegen Nippon, die Hauptinsel, mit 146,8, Schikoku mit 166,7 und Kiu-Shiu
mit 154,8, also der zivilisierte Teil des Landes ist stark übervölkert. Sogar
Formosa hat 77,0. Nun hat Japan Korea gewonnen, das fast ebenso groß
ist wie die Hauptinsel Nippon, aber auch schon mit 9,7 Millionen Seelen (44 auf
dem Quadratkilometer) bevölkert ist. Das gibt der notwendigen Massenaus¬
wanderung noch nicht Raum genug. Es heißt also: auf nach den andern Küsten
des Großen Ozeans, nach den noch so wenig bevölkerten! Hier stellen sich nur
die drei amerikanischen Weststaaten dar:

1900QuadratkilometerBevölkerungauf den Quadratkilonieterdarunter Japaner
Kaliformen. . 410140148S0003.610131
Oregon. . 248 710414000l,72601
Washington. . 179170S180002,8S617
83802024170002,918269

Noch ist also der japanische Teil der angloamerikanischen Bevölkerung dort ganz
winzig; er ist noch nicht ein Hundertstel des Ganzen. Aber man muß berück¬
sichtigen, daß die Gesamtbevölkerung noch außerordentlich dünn ist. Die drei
Staaten sind zusammen mehr als anderthalbmal so groß als Deutschland und
haben nur 2^ Millionen Einwohner. Dagegen sitzt jenseits des Großen Ozeans
ein Volk, dem die Heimat viel zu eng ist, und das leicht 10 Millionen Seelen
abgeben könnte. Und hinter ihm erscheinen die Umrisse des Chinesentums, das,
gering gerechnet, 320 Millionen Seelen im eigentlichen China stark ist, das
auch allmählich erwacht. Hier das noch fast unbevölkerte Westamerika mit
außerordentlichen Reichtümern im Eigentum eines Häufleins Weißer. Dort
Ostasien mit 370 bis 380 Millionen schlecht genährter, allzu dicht aufeinander
gedrängter Menschen, denen der heimatliche Boden nicht mehr das Nötigste
bietet, die aber um durch die Berührung mit der Außenwelt gelernt haben,
was für Ansprüche der Mensch an die Erde stellen kann. Der Westamerikaner
fühlt instinktiv das Näherrücken der Gefahr. Er hat die Proben davon er¬
halten. Faßt man das Problem in dieser Tiefe auf, so kann man schwerlich
annehmen, daß es schon seine Lösung finden wird, wenn man hie und da einmal
einen Ausweg schafft. Es wird noch oft und in mancherlei Gestalt wiederkehren.

Die Kalifornier haben dem Andrängen einen kleinen Damm entgegensetzen
wollen, indem sie die Japaner als Farbige stigmatisieren und sie damit der
mächtigen Nassenantipathie aussetzen, von der das ganze nordamerikanische Volk


Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean

zu einem ausgesprochnen Selbstgefühl gekommen. Es ist sich seiner Kulturfort¬
schritte und seines politischen Ranges sehr wohl bewußt. Die Amerikaner er¬
warten eine Einwanderungsflut als unabwendbar, weil Japan in der Notwendigkeit
sei, für feine zu groß gewordne Bevölkerung Unterkommen zu suchen. In der
Tat, das ist eine sehr ernste Seite der Sache. Japan ist ein übervölkertes Land.
Wir haben schon erwähnt, daß es mit 114 Einwohnern auf dem Quadratkilo¬
meter bevölkerter ist als Deutschland. In den Durchschnitt eingerechnet ist
Hokkaido, die Nordinsel, mit nur 6,5 Einwohnern auf dem Quadratkilometer;
dagegen Nippon, die Hauptinsel, mit 146,8, Schikoku mit 166,7 und Kiu-Shiu
mit 154,8, also der zivilisierte Teil des Landes ist stark übervölkert. Sogar
Formosa hat 77,0. Nun hat Japan Korea gewonnen, das fast ebenso groß
ist wie die Hauptinsel Nippon, aber auch schon mit 9,7 Millionen Seelen (44 auf
dem Quadratkilometer) bevölkert ist. Das gibt der notwendigen Massenaus¬
wanderung noch nicht Raum genug. Es heißt also: auf nach den andern Küsten
des Großen Ozeans, nach den noch so wenig bevölkerten! Hier stellen sich nur
die drei amerikanischen Weststaaten dar:

1900QuadratkilometerBevölkerungauf den Quadratkilonieterdarunter Japaner
Kaliformen. . 410140148S0003.610131
Oregon. . 248 710414000l,72601
Washington. . 179170S180002,8S617
83802024170002,918269

Noch ist also der japanische Teil der angloamerikanischen Bevölkerung dort ganz
winzig; er ist noch nicht ein Hundertstel des Ganzen. Aber man muß berück¬
sichtigen, daß die Gesamtbevölkerung noch außerordentlich dünn ist. Die drei
Staaten sind zusammen mehr als anderthalbmal so groß als Deutschland und
haben nur 2^ Millionen Einwohner. Dagegen sitzt jenseits des Großen Ozeans
ein Volk, dem die Heimat viel zu eng ist, und das leicht 10 Millionen Seelen
abgeben könnte. Und hinter ihm erscheinen die Umrisse des Chinesentums, das,
gering gerechnet, 320 Millionen Seelen im eigentlichen China stark ist, das
auch allmählich erwacht. Hier das noch fast unbevölkerte Westamerika mit
außerordentlichen Reichtümern im Eigentum eines Häufleins Weißer. Dort
Ostasien mit 370 bis 380 Millionen schlecht genährter, allzu dicht aufeinander
gedrängter Menschen, denen der heimatliche Boden nicht mehr das Nötigste
bietet, die aber um durch die Berührung mit der Außenwelt gelernt haben,
was für Ansprüche der Mensch an die Erde stellen kann. Der Westamerikaner
fühlt instinktiv das Näherrücken der Gefahr. Er hat die Proben davon er¬
halten. Faßt man das Problem in dieser Tiefe auf, so kann man schwerlich
annehmen, daß es schon seine Lösung finden wird, wenn man hie und da einmal
einen Ausweg schafft. Es wird noch oft und in mancherlei Gestalt wiederkehren.

Die Kalifornier haben dem Andrängen einen kleinen Damm entgegensetzen
wollen, indem sie die Japaner als Farbige stigmatisieren und sie damit der
mächtigen Nassenantipathie aussetzen, von der das ganze nordamerikanische Volk


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[0080] Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean zu einem ausgesprochnen Selbstgefühl gekommen. Es ist sich seiner Kulturfort¬ schritte und seines politischen Ranges sehr wohl bewußt. Die Amerikaner er¬ warten eine Einwanderungsflut als unabwendbar, weil Japan in der Notwendigkeit sei, für feine zu groß gewordne Bevölkerung Unterkommen zu suchen. In der Tat, das ist eine sehr ernste Seite der Sache. Japan ist ein übervölkertes Land. Wir haben schon erwähnt, daß es mit 114 Einwohnern auf dem Quadratkilo¬ meter bevölkerter ist als Deutschland. In den Durchschnitt eingerechnet ist Hokkaido, die Nordinsel, mit nur 6,5 Einwohnern auf dem Quadratkilometer; dagegen Nippon, die Hauptinsel, mit 146,8, Schikoku mit 166,7 und Kiu-Shiu mit 154,8, also der zivilisierte Teil des Landes ist stark übervölkert. Sogar Formosa hat 77,0. Nun hat Japan Korea gewonnen, das fast ebenso groß ist wie die Hauptinsel Nippon, aber auch schon mit 9,7 Millionen Seelen (44 auf dem Quadratkilometer) bevölkert ist. Das gibt der notwendigen Massenaus¬ wanderung noch nicht Raum genug. Es heißt also: auf nach den andern Küsten des Großen Ozeans, nach den noch so wenig bevölkerten! Hier stellen sich nur die drei amerikanischen Weststaaten dar: 1900QuadratkilometerBevölkerungauf den Quadratkilonieterdarunter Japaner Kaliformen. . 410140148S0003.610131 Oregon. . 248 710414000l,72601 Washington. . 179170S180002,8S617 83802024170002,918269 Noch ist also der japanische Teil der angloamerikanischen Bevölkerung dort ganz winzig; er ist noch nicht ein Hundertstel des Ganzen. Aber man muß berück¬ sichtigen, daß die Gesamtbevölkerung noch außerordentlich dünn ist. Die drei Staaten sind zusammen mehr als anderthalbmal so groß als Deutschland und haben nur 2^ Millionen Einwohner. Dagegen sitzt jenseits des Großen Ozeans ein Volk, dem die Heimat viel zu eng ist, und das leicht 10 Millionen Seelen abgeben könnte. Und hinter ihm erscheinen die Umrisse des Chinesentums, das, gering gerechnet, 320 Millionen Seelen im eigentlichen China stark ist, das auch allmählich erwacht. Hier das noch fast unbevölkerte Westamerika mit außerordentlichen Reichtümern im Eigentum eines Häufleins Weißer. Dort Ostasien mit 370 bis 380 Millionen schlecht genährter, allzu dicht aufeinander gedrängter Menschen, denen der heimatliche Boden nicht mehr das Nötigste bietet, die aber um durch die Berührung mit der Außenwelt gelernt haben, was für Ansprüche der Mensch an die Erde stellen kann. Der Westamerikaner fühlt instinktiv das Näherrücken der Gefahr. Er hat die Proben davon er¬ halten. Faßt man das Problem in dieser Tiefe auf, so kann man schwerlich annehmen, daß es schon seine Lösung finden wird, wenn man hie und da einmal einen Ausweg schafft. Es wird noch oft und in mancherlei Gestalt wiederkehren. Die Kalifornier haben dem Andrängen einen kleinen Damm entgegensetzen wollen, indem sie die Japaner als Farbige stigmatisieren und sie damit der mächtigen Nassenantipathie aussetzen, von der das ganze nordamerikanische Volk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/80>, abgerufen am 24.07.2024.