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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean

dabei machten, teils weil die nachfolgende demokratische Verwaltung Clevelands
die Sache durchaus nicht begünstigte, Europa kauft eben von allen süd- und
mittelamerikanischen Erzeugnissen ganz bedeutend mehr als die Vereinigten
Staaten. Überdies stehn die Produkte Süd- und Mittelamerikas mit Aus¬
nahme von Zucker kaum in irgendwelcher Konkurrenz zu Europa, die Bevor¬
zugung kann ihnen also nichts nützen. Endlich müssen die kleinern Staaten
die im Zoll begünstigten nordamerikanischen Waren gerade so teuer bezahlen
wie die europäischen. Den Vorteil hat also nicht der südamerikanische Ver¬
braucher sondern der nordamerikanische Lieferant, die Zollkassen der südlichen
Länder aber haben einen empfindlichen Ausfall, den die Bürger auf andre Art
decken müssen. Damit ging der erste Abschnitt des wirtschaftlichen Pan-
amerikanismus negativ zu Ende. In der letzten Zeit hat der zweite begonnen.
Man hat Kuba unter die Flügel genommen und mit ihm wieder einen Gegen-
seitigkeitsvertrag abgeschlossen. Die Sache wurde für so ernst gehalten, daß
innerhalb und außerhalb der Vereinigten Staaten angenommen wurde, es
werde nach der jüngsten kubanischen Revolution die Annexion kommen. Zum
politischen Panamerikanismus will jedoch Präsident Roosevelt nicht den ersten
Schritt tun.

Imperialismus und Expansion werden für andre Dinge gehalten. Die
Ausdehnung des politischen und des wirtschaftlichen Prestiges werden als na¬
tionale Notwendigkeiten betrachtet. Deshalb nimmt man den Faden der Gegen¬
seitigkeitsverträge wieder auf. Staatssekretär Rook ist nach Rio de Janeiro
zum Panamerikanischen Kongreß gereist und scheint dort sehr im Sinne der An¬
näherung aller amerikanischen Länder gewirkt zu haben. Gegenseitige Zoll-
ermüßigungeu standen nicht auf der Tagesordnung. Durch private Verhand¬
lungen hat Staatssekretär Rook aber zwei neue Verträge dieser Art fertig
gebracht, einen mit Brasilien und einen mit Ecuador. Der letzte gelang ihm
auf der Rückreise von Rio de Janeiro, die er über Montevideo und Buenos
Aires und dann an der ganzen Westküste entlang einschlug. Ob das nun
Panamerikanismus heißt oder nicht, es gehört zu der wirtschaftlichen Richtung
dieses Systems.

Der wichtigste Akt des Imperialismus war die Annexion der Philippinen.
Er hat den Amerikanern nicht viel Freude gemacht. Die Tagalen sind ein in
der Zivilisation schon weit fortgeschrittenes Volk. Sie wollen sich die Fremd¬
herrschaft nicht gefallen lasten und fügen sich nur widerwillig dem äußersten
Druck. Bei ihrer Volkszahl von 7 Millionen glauben sie sich zu der Hoffnung
berechtigt, daß sie ihre Freiheit wieder erringen, sobald sie Beistand erlangen,
oder sobald die Vereinigten Staaten in eine auswärtige Verwicklung geraten.
Die Härte des Auftretens gegen sie hat in den Vereinigten Staaten selbst viel
böses Blut gemacht. Die Gegner des Imperialismus, die Demokraten, machen
Propaganda, indem sie die Grausamkeiten schildern; und sie haben bei der
letzten Wahl an Terrain gewonnen. Der Zweck dieser Annexion war zunächst


Die Neugestaltung der Politik am Stillen Gzean

dabei machten, teils weil die nachfolgende demokratische Verwaltung Clevelands
die Sache durchaus nicht begünstigte, Europa kauft eben von allen süd- und
mittelamerikanischen Erzeugnissen ganz bedeutend mehr als die Vereinigten
Staaten. Überdies stehn die Produkte Süd- und Mittelamerikas mit Aus¬
nahme von Zucker kaum in irgendwelcher Konkurrenz zu Europa, die Bevor¬
zugung kann ihnen also nichts nützen. Endlich müssen die kleinern Staaten
die im Zoll begünstigten nordamerikanischen Waren gerade so teuer bezahlen
wie die europäischen. Den Vorteil hat also nicht der südamerikanische Ver¬
braucher sondern der nordamerikanische Lieferant, die Zollkassen der südlichen
Länder aber haben einen empfindlichen Ausfall, den die Bürger auf andre Art
decken müssen. Damit ging der erste Abschnitt des wirtschaftlichen Pan-
amerikanismus negativ zu Ende. In der letzten Zeit hat der zweite begonnen.
Man hat Kuba unter die Flügel genommen und mit ihm wieder einen Gegen-
seitigkeitsvertrag abgeschlossen. Die Sache wurde für so ernst gehalten, daß
innerhalb und außerhalb der Vereinigten Staaten angenommen wurde, es
werde nach der jüngsten kubanischen Revolution die Annexion kommen. Zum
politischen Panamerikanismus will jedoch Präsident Roosevelt nicht den ersten
Schritt tun.

Imperialismus und Expansion werden für andre Dinge gehalten. Die
Ausdehnung des politischen und des wirtschaftlichen Prestiges werden als na¬
tionale Notwendigkeiten betrachtet. Deshalb nimmt man den Faden der Gegen¬
seitigkeitsverträge wieder auf. Staatssekretär Rook ist nach Rio de Janeiro
zum Panamerikanischen Kongreß gereist und scheint dort sehr im Sinne der An¬
näherung aller amerikanischen Länder gewirkt zu haben. Gegenseitige Zoll-
ermüßigungeu standen nicht auf der Tagesordnung. Durch private Verhand¬
lungen hat Staatssekretär Rook aber zwei neue Verträge dieser Art fertig
gebracht, einen mit Brasilien und einen mit Ecuador. Der letzte gelang ihm
auf der Rückreise von Rio de Janeiro, die er über Montevideo und Buenos
Aires und dann an der ganzen Westküste entlang einschlug. Ob das nun
Panamerikanismus heißt oder nicht, es gehört zu der wirtschaftlichen Richtung
dieses Systems.

Der wichtigste Akt des Imperialismus war die Annexion der Philippinen.
Er hat den Amerikanern nicht viel Freude gemacht. Die Tagalen sind ein in
der Zivilisation schon weit fortgeschrittenes Volk. Sie wollen sich die Fremd¬
herrschaft nicht gefallen lasten und fügen sich nur widerwillig dem äußersten
Druck. Bei ihrer Volkszahl von 7 Millionen glauben sie sich zu der Hoffnung
berechtigt, daß sie ihre Freiheit wieder erringen, sobald sie Beistand erlangen,
oder sobald die Vereinigten Staaten in eine auswärtige Verwicklung geraten.
Die Härte des Auftretens gegen sie hat in den Vereinigten Staaten selbst viel
böses Blut gemacht. Die Gegner des Imperialismus, die Demokraten, machen
Propaganda, indem sie die Grausamkeiten schildern; und sie haben bei der
letzten Wahl an Terrain gewonnen. Der Zweck dieser Annexion war zunächst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/75>, abgerufen am 24.07.2024.