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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung der Politik am Stillen Vzecm

daß das Land der willkürlichen Verfügung durch zwei Einzelmächte entzogen
und in aller Förmlichkeit dem europäisch-amerikanischen Areopag unterstellt
worden ist. Leider erfüllt das Land selbst bis jetzt nicht die darauf gesetzten
Hoffnungen, Statt daß sich das Volk um seinen Sultan Schäre, um in Gemein¬
schaft mit diesem die letzte Gelegenheit zur Sicherung seiner Selbständigkeit
wahrzunehmen, ergibt es sich der Anarchie. Die Eifersucht seiner Großen, die
Feindseligkeit seiner Stämme schaffen die Gefahr eines neuen Brandes, einer
neuen Einmischung des Auslandes.

Neue Probleme entsteh" in Amerika. Die Monroelehre wird heutzutage
von keiner fremden Macht mehr angefochten. Die Monroelehre ist nur politisch.
Emporgesproßt sind aus ihr verschiedne andre Doktrinen, der politische, der
wirtschaftliche Pcmamerikcmismus und die Calvolehre. Diese letzte ist von
Argentinien ausgegangen; sie will, daß die Anwendung von Gewalt durch
ausländische Staaten nicht mehr für zulässig gelten soll, sofern es sich um die
Eintreibung wirtschaftlicher Forderungen handelt. Konkret gesprochen: sie will
Europa verbieten, die süd- und die mittelamerikanischen Republiken zu
zwingen, übernommne wirtschaftliche Verbindlichkeiten (zum Beispiel Rechts¬
gleichheit, Bürgschaften) zu erfüllen. Das geschehe nicht, wenn es sich um starke
Staaten oder auch nur um europäische Kleinstaaten handle. Wie könne man
den schwächern amerikanischen Republiken zumuten, sich eine solche Einmischung
in ihre Souverünitätsrechte gefallen zu lassen? Die Vereinigten Staaten
befürworteten dies nicht. Sie haben mit Mühe auf dem Panamerikanischen
Kongreß vom Juli 1906 erreicht, daß die Frage dem internationalen Schieds¬
gericht im Haag überwiesen werde. Polnischer Panamerikanismus ist zurzeit
nicht ernsthaft zu nehmen. Präsident Roosevelt und seine Staatssekretäre
haben mit aller Verbindlichkeit und zugleich mit aller Klarheit die Gründe an¬
erkannt, die eine politische Oberherrlichkeit der Vereinigten Staaten über süd-
und mittelamerikanische Republiken rundweg verbieten. In der Tat, man
braucht nur an die ungeheuern Areale zu erinnern, um die es sich handelt,
auf die gänzlich verschiedne Volksnatur des aus indianischen und spanisch¬
portugiesischem (hauptsächlich indianischen) und endlich aus Negerblut entstandnen
Kreolentums zu verweisen, um eine Regierung ganz Amerikas von Washington aus
für ein Abenteuer zu halten, dessen sich besonnene amerikanische Politiker niemals
schuldig machen werden.

Aber der wirtschaftliche Panamerikanismus kann gar nicht in Abrede ge¬
stellt werden, er ist wieder zu einem Teil der offiziellen Politik der Vereinigten
Staaten geworden. Er hatte längere Zeit geruht. Als der Republikaner
Harrison Bundespräsident war und Blaine sein Staatssekretär, 1888 bis 1892,
hatte er sich in einer ganzen Anzahl sogenannter Neziprozitätsvertrüge ver¬
körpert, in denen sich die Vereinigten Staaten mit andern Republiken gegen¬
seitig Zollvorteile einräumten. Sie sind nachher zum größten Teil wieder er¬
loschen, teils weil die andern Staaten eingesehen haben, daß sie keinen Gewinn


Die Neugestaltung der Politik am Stillen Vzecm

daß das Land der willkürlichen Verfügung durch zwei Einzelmächte entzogen
und in aller Förmlichkeit dem europäisch-amerikanischen Areopag unterstellt
worden ist. Leider erfüllt das Land selbst bis jetzt nicht die darauf gesetzten
Hoffnungen, Statt daß sich das Volk um seinen Sultan Schäre, um in Gemein¬
schaft mit diesem die letzte Gelegenheit zur Sicherung seiner Selbständigkeit
wahrzunehmen, ergibt es sich der Anarchie. Die Eifersucht seiner Großen, die
Feindseligkeit seiner Stämme schaffen die Gefahr eines neuen Brandes, einer
neuen Einmischung des Auslandes.

Neue Probleme entsteh» in Amerika. Die Monroelehre wird heutzutage
von keiner fremden Macht mehr angefochten. Die Monroelehre ist nur politisch.
Emporgesproßt sind aus ihr verschiedne andre Doktrinen, der politische, der
wirtschaftliche Pcmamerikcmismus und die Calvolehre. Diese letzte ist von
Argentinien ausgegangen; sie will, daß die Anwendung von Gewalt durch
ausländische Staaten nicht mehr für zulässig gelten soll, sofern es sich um die
Eintreibung wirtschaftlicher Forderungen handelt. Konkret gesprochen: sie will
Europa verbieten, die süd- und die mittelamerikanischen Republiken zu
zwingen, übernommne wirtschaftliche Verbindlichkeiten (zum Beispiel Rechts¬
gleichheit, Bürgschaften) zu erfüllen. Das geschehe nicht, wenn es sich um starke
Staaten oder auch nur um europäische Kleinstaaten handle. Wie könne man
den schwächern amerikanischen Republiken zumuten, sich eine solche Einmischung
in ihre Souverünitätsrechte gefallen zu lassen? Die Vereinigten Staaten
befürworteten dies nicht. Sie haben mit Mühe auf dem Panamerikanischen
Kongreß vom Juli 1906 erreicht, daß die Frage dem internationalen Schieds¬
gericht im Haag überwiesen werde. Polnischer Panamerikanismus ist zurzeit
nicht ernsthaft zu nehmen. Präsident Roosevelt und seine Staatssekretäre
haben mit aller Verbindlichkeit und zugleich mit aller Klarheit die Gründe an¬
erkannt, die eine politische Oberherrlichkeit der Vereinigten Staaten über süd-
und mittelamerikanische Republiken rundweg verbieten. In der Tat, man
braucht nur an die ungeheuern Areale zu erinnern, um die es sich handelt,
auf die gänzlich verschiedne Volksnatur des aus indianischen und spanisch¬
portugiesischem (hauptsächlich indianischen) und endlich aus Negerblut entstandnen
Kreolentums zu verweisen, um eine Regierung ganz Amerikas von Washington aus
für ein Abenteuer zu halten, dessen sich besonnene amerikanische Politiker niemals
schuldig machen werden.

Aber der wirtschaftliche Panamerikanismus kann gar nicht in Abrede ge¬
stellt werden, er ist wieder zu einem Teil der offiziellen Politik der Vereinigten
Staaten geworden. Er hatte längere Zeit geruht. Als der Republikaner
Harrison Bundespräsident war und Blaine sein Staatssekretär, 1888 bis 1892,
hatte er sich in einer ganzen Anzahl sogenannter Neziprozitätsvertrüge ver¬
körpert, in denen sich die Vereinigten Staaten mit andern Republiken gegen¬
seitig Zollvorteile einräumten. Sie sind nachher zum größten Teil wieder er¬
loschen, teils weil die andern Staaten eingesehen haben, daß sie keinen Gewinn


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[0074] Die Neugestaltung der Politik am Stillen Vzecm daß das Land der willkürlichen Verfügung durch zwei Einzelmächte entzogen und in aller Förmlichkeit dem europäisch-amerikanischen Areopag unterstellt worden ist. Leider erfüllt das Land selbst bis jetzt nicht die darauf gesetzten Hoffnungen, Statt daß sich das Volk um seinen Sultan Schäre, um in Gemein¬ schaft mit diesem die letzte Gelegenheit zur Sicherung seiner Selbständigkeit wahrzunehmen, ergibt es sich der Anarchie. Die Eifersucht seiner Großen, die Feindseligkeit seiner Stämme schaffen die Gefahr eines neuen Brandes, einer neuen Einmischung des Auslandes. Neue Probleme entsteh» in Amerika. Die Monroelehre wird heutzutage von keiner fremden Macht mehr angefochten. Die Monroelehre ist nur politisch. Emporgesproßt sind aus ihr verschiedne andre Doktrinen, der politische, der wirtschaftliche Pcmamerikcmismus und die Calvolehre. Diese letzte ist von Argentinien ausgegangen; sie will, daß die Anwendung von Gewalt durch ausländische Staaten nicht mehr für zulässig gelten soll, sofern es sich um die Eintreibung wirtschaftlicher Forderungen handelt. Konkret gesprochen: sie will Europa verbieten, die süd- und die mittelamerikanischen Republiken zu zwingen, übernommne wirtschaftliche Verbindlichkeiten (zum Beispiel Rechts¬ gleichheit, Bürgschaften) zu erfüllen. Das geschehe nicht, wenn es sich um starke Staaten oder auch nur um europäische Kleinstaaten handle. Wie könne man den schwächern amerikanischen Republiken zumuten, sich eine solche Einmischung in ihre Souverünitätsrechte gefallen zu lassen? Die Vereinigten Staaten befürworteten dies nicht. Sie haben mit Mühe auf dem Panamerikanischen Kongreß vom Juli 1906 erreicht, daß die Frage dem internationalen Schieds¬ gericht im Haag überwiesen werde. Polnischer Panamerikanismus ist zurzeit nicht ernsthaft zu nehmen. Präsident Roosevelt und seine Staatssekretäre haben mit aller Verbindlichkeit und zugleich mit aller Klarheit die Gründe an¬ erkannt, die eine politische Oberherrlichkeit der Vereinigten Staaten über süd- und mittelamerikanische Republiken rundweg verbieten. In der Tat, man braucht nur an die ungeheuern Areale zu erinnern, um die es sich handelt, auf die gänzlich verschiedne Volksnatur des aus indianischen und spanisch¬ portugiesischem (hauptsächlich indianischen) und endlich aus Negerblut entstandnen Kreolentums zu verweisen, um eine Regierung ganz Amerikas von Washington aus für ein Abenteuer zu halten, dessen sich besonnene amerikanische Politiker niemals schuldig machen werden. Aber der wirtschaftliche Panamerikanismus kann gar nicht in Abrede ge¬ stellt werden, er ist wieder zu einem Teil der offiziellen Politik der Vereinigten Staaten geworden. Er hatte längere Zeit geruht. Als der Republikaner Harrison Bundespräsident war und Blaine sein Staatssekretär, 1888 bis 1892, hatte er sich in einer ganzen Anzahl sogenannter Neziprozitätsvertrüge ver¬ körpert, in denen sich die Vereinigten Staaten mit andern Republiken gegen¬ seitig Zollvorteile einräumten. Sie sind nachher zum größten Teil wieder er¬ loschen, teils weil die andern Staaten eingesehen haben, daß sie keinen Gewinn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/74>, abgerufen am 24.07.2024.