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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Beiträge zur Rassenkunde

rechtzeitig nach, und der Adel selbst war im innersten Mark entartet. Seit
Carlyle ist es Mode geworden, die ungeheuern Wohltaten, die die moderne
Welt dieser großen Revolution schuldet, undankbar zu vergessen; und die ge¬
sättigten Existenzen der Bourgeoisie von heute, die nur dnrch sie zur Freiheit,
zur Herrschaft gelangt sind und sich nun der Arbeiterklasse gegenüber aristo¬
kratisch gebärden, haben kein Recht, diese Großtat der Geschichte zu beschmutzen;
denn eine solche bleibt sie, da sie die moderne Welt unter Schmerzen geboren
hat." Es fragt sich doch, ob diese moderne Welt, deren Hauptcharakterzug der
Jndustrialismus samt Spekulation und Schacher ist, vom Standpunkte der
Rassentheoretiker aus mit Freuden begrüßt werden darf. Denn unkriegerischer
Erwerbssinn ist nach ihnen der Grundcharakter der braunen Nasse, und sein
Borherrschen, das Schwinden des Rittersinns, ist ja eben das auffällige Symptom
der Vernichtung der weißen Nasse, die sie als das größte Unglück, als das
tragische Verhängnis des Menschengeschlechts beklagen. Unter den Beweisen
für die anthropologische Verschlechterung der französischen Nation führt Wolt-
mann natürlich auch das Zweikindersystem und die Abnahme der Geburten an,
dann aber auch den Mangel an Unternehmungsgeist und die wachsende Friedens¬
liebe. "Die politische Herrschaft -- so schließt er seine Charakteristik der heutigen
Franzosen -- ist in Frankreich der germanischen Nasse endgiltig verloren, denn
sie hat aufgehört, eine sozial herrschende Schicht zu sein. Nicht als wenn
germanische Abkömmlinge unter den Staatsmännern des gegenwärtigen Frank¬
reichs fehlten, aber in der überwiegenden Mehrzahl sind an ihre Stelle Rund¬
köpfe, Mittelländer und altgallische Mischlinge getreten. Die Abwicklung der
Dreyfusaffäre hat jedoch gezeigt, daß die Nation noch großer sittlicher Be¬
geiferung fähig ist, und der Kampf gegen die Kirche und ihre Trennung vom
Staat ist ein Unternehmen, um das Frankreich beneidet werden muß. Leider kommt
dieser Kampf zu spät und ist er nicht gründlich genug. Es fehlt die Bekämpfung
des völkermordenden Zölibats. Ob die Nation noch einmal einen politischen
Aufschwung erleben wird, wie zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten und Napoleons,
muß die Zukunft lehren, doch ist es mehr zweifelhaft als gewiß. Indes flüchtet
sich das germanische Element in die Regionen der geistigen Welt und sichert
der französischen Nation in der Kunst die hohe Stellung unter den Völkern,
die sie in Wirtschaft Stoch bloß in der Exportindustrie; wirtschaftlich sind die
Franzosen sogar Virtuosen> und Politik verloren hat." Als ein Symptom der
abnehmenden Kriegslust der Franzosen darf man wohl auch das Ergebnis eines
Plebiszits ansehen, über das in diesem Augenblick die Zeitungen berichten.
?seit ?ari8i<zu hat seine anderthalb Millionen Abnehmer gefragt, wen sie für
den größten Mann Frankreichs halten. Die meisten Stimmen, nämlich 424201,
hat ein Mann der hygienischen Wissenschaft bekommen, nämlich Pasteur; dann
folgt Viktor Hugo mit 409 673, dann erst Gambetta mit 407814, hierauf Na¬
poleon der Erste mit 381153 Stimmen. Bei dieser Gelegenheit mag noch einmal
daran erinnert werden, daß Friedrich List, der von der modernen Anthropologie


Grenzboten I 1907 89
Beiträge zur Rassenkunde

rechtzeitig nach, und der Adel selbst war im innersten Mark entartet. Seit
Carlyle ist es Mode geworden, die ungeheuern Wohltaten, die die moderne
Welt dieser großen Revolution schuldet, undankbar zu vergessen; und die ge¬
sättigten Existenzen der Bourgeoisie von heute, die nur dnrch sie zur Freiheit,
zur Herrschaft gelangt sind und sich nun der Arbeiterklasse gegenüber aristo¬
kratisch gebärden, haben kein Recht, diese Großtat der Geschichte zu beschmutzen;
denn eine solche bleibt sie, da sie die moderne Welt unter Schmerzen geboren
hat." Es fragt sich doch, ob diese moderne Welt, deren Hauptcharakterzug der
Jndustrialismus samt Spekulation und Schacher ist, vom Standpunkte der
Rassentheoretiker aus mit Freuden begrüßt werden darf. Denn unkriegerischer
Erwerbssinn ist nach ihnen der Grundcharakter der braunen Nasse, und sein
Borherrschen, das Schwinden des Rittersinns, ist ja eben das auffällige Symptom
der Vernichtung der weißen Nasse, die sie als das größte Unglück, als das
tragische Verhängnis des Menschengeschlechts beklagen. Unter den Beweisen
für die anthropologische Verschlechterung der französischen Nation führt Wolt-
mann natürlich auch das Zweikindersystem und die Abnahme der Geburten an,
dann aber auch den Mangel an Unternehmungsgeist und die wachsende Friedens¬
liebe. „Die politische Herrschaft — so schließt er seine Charakteristik der heutigen
Franzosen — ist in Frankreich der germanischen Nasse endgiltig verloren, denn
sie hat aufgehört, eine sozial herrschende Schicht zu sein. Nicht als wenn
germanische Abkömmlinge unter den Staatsmännern des gegenwärtigen Frank¬
reichs fehlten, aber in der überwiegenden Mehrzahl sind an ihre Stelle Rund¬
köpfe, Mittelländer und altgallische Mischlinge getreten. Die Abwicklung der
Dreyfusaffäre hat jedoch gezeigt, daß die Nation noch großer sittlicher Be¬
geiferung fähig ist, und der Kampf gegen die Kirche und ihre Trennung vom
Staat ist ein Unternehmen, um das Frankreich beneidet werden muß. Leider kommt
dieser Kampf zu spät und ist er nicht gründlich genug. Es fehlt die Bekämpfung
des völkermordenden Zölibats. Ob die Nation noch einmal einen politischen
Aufschwung erleben wird, wie zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten und Napoleons,
muß die Zukunft lehren, doch ist es mehr zweifelhaft als gewiß. Indes flüchtet
sich das germanische Element in die Regionen der geistigen Welt und sichert
der französischen Nation in der Kunst die hohe Stellung unter den Völkern,
die sie in Wirtschaft Stoch bloß in der Exportindustrie; wirtschaftlich sind die
Franzosen sogar Virtuosen> und Politik verloren hat." Als ein Symptom der
abnehmenden Kriegslust der Franzosen darf man wohl auch das Ergebnis eines
Plebiszits ansehen, über das in diesem Augenblick die Zeitungen berichten.
?seit ?ari8i<zu hat seine anderthalb Millionen Abnehmer gefragt, wen sie für
den größten Mann Frankreichs halten. Die meisten Stimmen, nämlich 424201,
hat ein Mann der hygienischen Wissenschaft bekommen, nämlich Pasteur; dann
folgt Viktor Hugo mit 409 673, dann erst Gambetta mit 407814, hierauf Na¬
poleon der Erste mit 381153 Stimmen. Bei dieser Gelegenheit mag noch einmal
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Grenzboten I 1907 89
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[0697] Beiträge zur Rassenkunde rechtzeitig nach, und der Adel selbst war im innersten Mark entartet. Seit Carlyle ist es Mode geworden, die ungeheuern Wohltaten, die die moderne Welt dieser großen Revolution schuldet, undankbar zu vergessen; und die ge¬ sättigten Existenzen der Bourgeoisie von heute, die nur dnrch sie zur Freiheit, zur Herrschaft gelangt sind und sich nun der Arbeiterklasse gegenüber aristo¬ kratisch gebärden, haben kein Recht, diese Großtat der Geschichte zu beschmutzen; denn eine solche bleibt sie, da sie die moderne Welt unter Schmerzen geboren hat." Es fragt sich doch, ob diese moderne Welt, deren Hauptcharakterzug der Jndustrialismus samt Spekulation und Schacher ist, vom Standpunkte der Rassentheoretiker aus mit Freuden begrüßt werden darf. Denn unkriegerischer Erwerbssinn ist nach ihnen der Grundcharakter der braunen Nasse, und sein Borherrschen, das Schwinden des Rittersinns, ist ja eben das auffällige Symptom der Vernichtung der weißen Nasse, die sie als das größte Unglück, als das tragische Verhängnis des Menschengeschlechts beklagen. Unter den Beweisen für die anthropologische Verschlechterung der französischen Nation führt Wolt- mann natürlich auch das Zweikindersystem und die Abnahme der Geburten an, dann aber auch den Mangel an Unternehmungsgeist und die wachsende Friedens¬ liebe. „Die politische Herrschaft — so schließt er seine Charakteristik der heutigen Franzosen — ist in Frankreich der germanischen Nasse endgiltig verloren, denn sie hat aufgehört, eine sozial herrschende Schicht zu sein. Nicht als wenn germanische Abkömmlinge unter den Staatsmännern des gegenwärtigen Frank¬ reichs fehlten, aber in der überwiegenden Mehrzahl sind an ihre Stelle Rund¬ köpfe, Mittelländer und altgallische Mischlinge getreten. Die Abwicklung der Dreyfusaffäre hat jedoch gezeigt, daß die Nation noch großer sittlicher Be¬ geiferung fähig ist, und der Kampf gegen die Kirche und ihre Trennung vom Staat ist ein Unternehmen, um das Frankreich beneidet werden muß. Leider kommt dieser Kampf zu spät und ist er nicht gründlich genug. Es fehlt die Bekämpfung des völkermordenden Zölibats. Ob die Nation noch einmal einen politischen Aufschwung erleben wird, wie zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten und Napoleons, muß die Zukunft lehren, doch ist es mehr zweifelhaft als gewiß. Indes flüchtet sich das germanische Element in die Regionen der geistigen Welt und sichert der französischen Nation in der Kunst die hohe Stellung unter den Völkern, die sie in Wirtschaft Stoch bloß in der Exportindustrie; wirtschaftlich sind die Franzosen sogar Virtuosen> und Politik verloren hat." Als ein Symptom der abnehmenden Kriegslust der Franzosen darf man wohl auch das Ergebnis eines Plebiszits ansehen, über das in diesem Augenblick die Zeitungen berichten. ?seit ?ari8i<zu hat seine anderthalb Millionen Abnehmer gefragt, wen sie für den größten Mann Frankreichs halten. Die meisten Stimmen, nämlich 424201, hat ein Mann der hygienischen Wissenschaft bekommen, nämlich Pasteur; dann folgt Viktor Hugo mit 409 673, dann erst Gambetta mit 407814, hierauf Na¬ poleon der Erste mit 381153 Stimmen. Bei dieser Gelegenheit mag noch einmal daran erinnert werden, daß Friedrich List, der von der modernen Anthropologie Grenzboten I 1907 89

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/697>, abgerufen am 24.07.2024.