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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

eben bedingt ist dadurch, daß der Beamte seine Amtspflicht "fahrlässig" verletzt
hat, und diese Feststellung wird überall, wo die Amtspflichtverletzung sich in un¬
richtiger Auslegung des Gesetzes beendigt, nur ganz ausnahmsweise zulässig sein.

Der jetzige Rechtszustand genügt danach in keiner Weise den Anforderungen
des Rechtsverkehrs, der Billigkeit und der Gerechtigkeit. Wenn der Staat ver¬
langt, daß man zum Erwerb von Rechten an Grundstücken oder zur Erhaltung
des Wechselanspruchs sich der staatlichen Einrichtung des Grundbuchs bedienen
oder die amtliche Tätigkeit des Notars in Anspruch nehmen muß, und diese
Tätigkeit versagt, weil die berufnen Beamten eine Nechtsansicht betätigen, die die
Nichtigkeit ihrer Amtshandlung und hiermit das Versagen der staatlichen Ein¬
richtung zur Folge hat, dann müßte der Staat unter allen Umständen zum
Schadenersatz verpflichtet sein, dies gemäß dem in der neuern Gesetzgebung mehr
und mehr zur Anerkennung gelangenden Grundsatz von der Gefährdehaftung,
also ohne Rücksicht auf Verschulden des Beamten. Die hier erörterten Fälle der
Nichtigkeit einer Grundbucheintragung und eines Wechselprotestes, also von Amts¬
handlungen, die zum Erwerbe oder zur Erhaltung von Rechten vorgeschrieben
sind, unterscheiden sich eben ihrem Wesen nach von den andern oben erörterten
Fällen schuldhafter Schädigung durch Amtshandlungen. Die Sicherheit des
Grundbuch- und des Wechselverkehrs müssen entschieden darunter leiden, wenn
der Gläubiger der Gefahr ausgesetzt ist, infolge unklarer und lückenhafter Gesetze
um seine Ansprüche zu kommen, während er andrerseits darauf angewiesen ist,
zur Erlangung oder Erhaltung seines Rechts die staatliche Einrichtung des
Grundbuchs oder die Amtstätigkeit des Notars in Anspruch zu nehmen. Gewiß
wird die Abgrenzung dieses Rechtsgedankens von den andern Fällen der Haftung
des Staats, die grundsätzlich nur bei fahrlässiger Amtspflichtverletzung stattfindet,
also ein Verschulden des Beamten zur Voraussetzung hat, nicht leicht sein.
Aber vieles, was Gesetz ist und heute von jedermann als Anforderung der
Gerechtigkeit für selbstverständlich befunden wird, hat sich erst mühsam, unter
Überwindung von gesetzestechnischen und andern Schwierigkeiten Bahn gebrochen,
so die schon oben erwähnte Entschüdigungspflicht des Staats an unschuldig
Verurteilte und unschuldig zur Untersuchungshaft gezogne Personen, die doch
auch ein Verschulden der Staatsbeamten nicht zur Voraussetzung hat. So legen
denn die oben mitgeteilten Entscheidungen des Reichsgerichts, nach denen der
jetzige Rechtszustand ein durchaus unzureichender, geradezu dem Rechtsgefühl
und den Anforderungen der Billigkeit widerstreitender ist, den Wunsch nahe,
daß eine unbeschränkte Gefährdehaftung des Staats für objektiv unrichtige
Handlungen der Beamte", also ohne Rücksicht auf Fahrlässigkeit und schuldhaftes
Verhalten des Beamten, auch in andern Fällen gesetzlich festgelegt werde.




Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten

eben bedingt ist dadurch, daß der Beamte seine Amtspflicht „fahrlässig" verletzt
hat, und diese Feststellung wird überall, wo die Amtspflichtverletzung sich in un¬
richtiger Auslegung des Gesetzes beendigt, nur ganz ausnahmsweise zulässig sein.

Der jetzige Rechtszustand genügt danach in keiner Weise den Anforderungen
des Rechtsverkehrs, der Billigkeit und der Gerechtigkeit. Wenn der Staat ver¬
langt, daß man zum Erwerb von Rechten an Grundstücken oder zur Erhaltung
des Wechselanspruchs sich der staatlichen Einrichtung des Grundbuchs bedienen
oder die amtliche Tätigkeit des Notars in Anspruch nehmen muß, und diese
Tätigkeit versagt, weil die berufnen Beamten eine Nechtsansicht betätigen, die die
Nichtigkeit ihrer Amtshandlung und hiermit das Versagen der staatlichen Ein¬
richtung zur Folge hat, dann müßte der Staat unter allen Umständen zum
Schadenersatz verpflichtet sein, dies gemäß dem in der neuern Gesetzgebung mehr
und mehr zur Anerkennung gelangenden Grundsatz von der Gefährdehaftung,
also ohne Rücksicht auf Verschulden des Beamten. Die hier erörterten Fälle der
Nichtigkeit einer Grundbucheintragung und eines Wechselprotestes, also von Amts¬
handlungen, die zum Erwerbe oder zur Erhaltung von Rechten vorgeschrieben
sind, unterscheiden sich eben ihrem Wesen nach von den andern oben erörterten
Fällen schuldhafter Schädigung durch Amtshandlungen. Die Sicherheit des
Grundbuch- und des Wechselverkehrs müssen entschieden darunter leiden, wenn
der Gläubiger der Gefahr ausgesetzt ist, infolge unklarer und lückenhafter Gesetze
um seine Ansprüche zu kommen, während er andrerseits darauf angewiesen ist,
zur Erlangung oder Erhaltung seines Rechts die staatliche Einrichtung des
Grundbuchs oder die Amtstätigkeit des Notars in Anspruch zu nehmen. Gewiß
wird die Abgrenzung dieses Rechtsgedankens von den andern Fällen der Haftung
des Staats, die grundsätzlich nur bei fahrlässiger Amtspflichtverletzung stattfindet,
also ein Verschulden des Beamten zur Voraussetzung hat, nicht leicht sein.
Aber vieles, was Gesetz ist und heute von jedermann als Anforderung der
Gerechtigkeit für selbstverständlich befunden wird, hat sich erst mühsam, unter
Überwindung von gesetzestechnischen und andern Schwierigkeiten Bahn gebrochen,
so die schon oben erwähnte Entschüdigungspflicht des Staats an unschuldig
Verurteilte und unschuldig zur Untersuchungshaft gezogne Personen, die doch
auch ein Verschulden der Staatsbeamten nicht zur Voraussetzung hat. So legen
denn die oben mitgeteilten Entscheidungen des Reichsgerichts, nach denen der
jetzige Rechtszustand ein durchaus unzureichender, geradezu dem Rechtsgefühl
und den Anforderungen der Billigkeit widerstreitender ist, den Wunsch nahe,
daß eine unbeschränkte Gefährdehaftung des Staats für objektiv unrichtige
Handlungen der Beamte», also ohne Rücksicht auf Fahrlässigkeit und schuldhaftes
Verhalten des Beamten, auch in andern Fällen gesetzlich festgelegt werde.




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[0692] Die Haftung des Staats für schuldhafte Handlungen der Beamten eben bedingt ist dadurch, daß der Beamte seine Amtspflicht „fahrlässig" verletzt hat, und diese Feststellung wird überall, wo die Amtspflichtverletzung sich in un¬ richtiger Auslegung des Gesetzes beendigt, nur ganz ausnahmsweise zulässig sein. Der jetzige Rechtszustand genügt danach in keiner Weise den Anforderungen des Rechtsverkehrs, der Billigkeit und der Gerechtigkeit. Wenn der Staat ver¬ langt, daß man zum Erwerb von Rechten an Grundstücken oder zur Erhaltung des Wechselanspruchs sich der staatlichen Einrichtung des Grundbuchs bedienen oder die amtliche Tätigkeit des Notars in Anspruch nehmen muß, und diese Tätigkeit versagt, weil die berufnen Beamten eine Nechtsansicht betätigen, die die Nichtigkeit ihrer Amtshandlung und hiermit das Versagen der staatlichen Ein¬ richtung zur Folge hat, dann müßte der Staat unter allen Umständen zum Schadenersatz verpflichtet sein, dies gemäß dem in der neuern Gesetzgebung mehr und mehr zur Anerkennung gelangenden Grundsatz von der Gefährdehaftung, also ohne Rücksicht auf Verschulden des Beamten. Die hier erörterten Fälle der Nichtigkeit einer Grundbucheintragung und eines Wechselprotestes, also von Amts¬ handlungen, die zum Erwerbe oder zur Erhaltung von Rechten vorgeschrieben sind, unterscheiden sich eben ihrem Wesen nach von den andern oben erörterten Fällen schuldhafter Schädigung durch Amtshandlungen. Die Sicherheit des Grundbuch- und des Wechselverkehrs müssen entschieden darunter leiden, wenn der Gläubiger der Gefahr ausgesetzt ist, infolge unklarer und lückenhafter Gesetze um seine Ansprüche zu kommen, während er andrerseits darauf angewiesen ist, zur Erlangung oder Erhaltung seines Rechts die staatliche Einrichtung des Grundbuchs oder die Amtstätigkeit des Notars in Anspruch zu nehmen. Gewiß wird die Abgrenzung dieses Rechtsgedankens von den andern Fällen der Haftung des Staats, die grundsätzlich nur bei fahrlässiger Amtspflichtverletzung stattfindet, also ein Verschulden des Beamten zur Voraussetzung hat, nicht leicht sein. Aber vieles, was Gesetz ist und heute von jedermann als Anforderung der Gerechtigkeit für selbstverständlich befunden wird, hat sich erst mühsam, unter Überwindung von gesetzestechnischen und andern Schwierigkeiten Bahn gebrochen, so die schon oben erwähnte Entschüdigungspflicht des Staats an unschuldig Verurteilte und unschuldig zur Untersuchungshaft gezogne Personen, die doch auch ein Verschulden der Staatsbeamten nicht zur Voraussetzung hat. So legen denn die oben mitgeteilten Entscheidungen des Reichsgerichts, nach denen der jetzige Rechtszustand ein durchaus unzureichender, geradezu dem Rechtsgefühl und den Anforderungen der Billigkeit widerstreitender ist, den Wunsch nahe, daß eine unbeschränkte Gefährdehaftung des Staats für objektiv unrichtige Handlungen der Beamte», also ohne Rücksicht auf Fahrlässigkeit und schuldhaftes Verhalten des Beamten, auch in andern Fällen gesetzlich festgelegt werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/692>, abgerufen am 24.07.2024.