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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aunstgeschichtliche Umschau

also eigentlich recht überflüssig. Trotzdem bekenne ich mich gern zu ihm, denn
die lahme Art unsrer heutigen mit dem Öle des triefenden Wohlwollens nur
zu glatt gesalbten Kritik nützt am Ende keinem was, weder dem Publikum noch
dem Kritisierten. Beide wollen sie doch die Wirkung so unverfälscht wie möglich
spüren. Gewässerten Wein oder auch Zuckerwasser mag trinken, wer keinen reinen
Wein vertragen kann. Ich hoffe, der Leser hat trotzdem den Eindruck, daß
hier ein Buch vorliegt, mit dem man sich schon auseinandersetzen kann, nur
ohne Kritik sollte mans nicht.

Unsre billigen Bilderpublikationen hat Eduard Engels durch ein "Haus¬
hund deutscher Kunst" vermehrt (Stuttgart, Verlagsanstalt). Die Bilder sind
ähnlich zyklisch angeordnet wie die Gedichte im "Haushunde deutscher Lyrik"
von Avenarius, das wohl die Anregung gegeben hat. Ich nenne ein paar
Sammelbegriffe: die Abteilung Naturleben sondert sich ki. a. in: Burgen, Schlösser,
alte Nester. -- Aus Wald und Einsamkeit. -- In der Mondnacht usw. Ähnlich
ist in: Von der Wiege bis zum Grabe; Ans vergangnen Tagen; Religiöses,
Betrachtungen -- versucht worden, aus Bildern Stimmungsbilder zu komponieren.
375 Autotypien in meist ganz zureichenden Druck führen den Leser so durch
die Sinnen- und Gemütswelt der deutschen Meister aus den verschiedensten Zeiten.
Auch die Plastik spricht mit. Die Auswahl ist nicht schlecht, sie ist sogar in
Anbetracht der sehr weiten Kreise, für die sie bestimmt ist, recht gut. Ein Be¬
denken freilich Unterdrücke ich nicht, eigentlich ist es ein Wunsch: Engels betont
das rein Persönliche und Familienhafte seiner Bildermappe, deren Schätze er
hier veröffentlicht. Ich möchte wünschen, daß dieses Haushund bei seineii Be¬
sitzern wiederum den Wunsch erwecke, sich eine solche Mappe loser Bilder als
"Hciusbilderei" anzulegen. An dieser zu bauen und zu gliedern scheint mir
ein ersprießlicheres Ziel, als in einer noch so geschmackvoll zusammengestellten
Bilderbibel gelegentlich zu blättern. Ich weiß nicht, aber mir ist bei etwas so
"fertigen" immer so unbehaglich wie beim "fertigen Herrenkleidermacher".
Manchmal paßt der Kittel, meist aber uicht. Und diese unpassende" Menschen
sind mir entschieden lieber. Eine Frage zum Schluß: Warum nennen Heraus¬
geber und Verlag unter einer ganzen Anzahl von Bildern den "Kunstwart"
oder seine Künstlermappen nicht als die Quelle, die sie uicht nur für die
Auswahl, sondern auch rein technisch durch die Drnckvorlagcn so offensichtlich
unterstützt zu haben scheint? Das berührt um so peinlicher, als Bruckmann,
Photographische Union, Photvgraphische Gesellschaft, Berlin und andre immer
genau genannt sind. Übrigens ist dies auch ein Werk, das von der Jahr-
hundertausstelllmg reichlich profitiert haben dürfte. Das vermindert seinen Wert
Lügen Ralkschmidt nicht, im Gegenteil: es hebt ihn.




Aunstgeschichtliche Umschau

also eigentlich recht überflüssig. Trotzdem bekenne ich mich gern zu ihm, denn
die lahme Art unsrer heutigen mit dem Öle des triefenden Wohlwollens nur
zu glatt gesalbten Kritik nützt am Ende keinem was, weder dem Publikum noch
dem Kritisierten. Beide wollen sie doch die Wirkung so unverfälscht wie möglich
spüren. Gewässerten Wein oder auch Zuckerwasser mag trinken, wer keinen reinen
Wein vertragen kann. Ich hoffe, der Leser hat trotzdem den Eindruck, daß
hier ein Buch vorliegt, mit dem man sich schon auseinandersetzen kann, nur
ohne Kritik sollte mans nicht.

Unsre billigen Bilderpublikationen hat Eduard Engels durch ein „Haus¬
hund deutscher Kunst" vermehrt (Stuttgart, Verlagsanstalt). Die Bilder sind
ähnlich zyklisch angeordnet wie die Gedichte im „Haushunde deutscher Lyrik"
von Avenarius, das wohl die Anregung gegeben hat. Ich nenne ein paar
Sammelbegriffe: die Abteilung Naturleben sondert sich ki. a. in: Burgen, Schlösser,
alte Nester. — Aus Wald und Einsamkeit. — In der Mondnacht usw. Ähnlich
ist in: Von der Wiege bis zum Grabe; Ans vergangnen Tagen; Religiöses,
Betrachtungen — versucht worden, aus Bildern Stimmungsbilder zu komponieren.
375 Autotypien in meist ganz zureichenden Druck führen den Leser so durch
die Sinnen- und Gemütswelt der deutschen Meister aus den verschiedensten Zeiten.
Auch die Plastik spricht mit. Die Auswahl ist nicht schlecht, sie ist sogar in
Anbetracht der sehr weiten Kreise, für die sie bestimmt ist, recht gut. Ein Be¬
denken freilich Unterdrücke ich nicht, eigentlich ist es ein Wunsch: Engels betont
das rein Persönliche und Familienhafte seiner Bildermappe, deren Schätze er
hier veröffentlicht. Ich möchte wünschen, daß dieses Haushund bei seineii Be¬
sitzern wiederum den Wunsch erwecke, sich eine solche Mappe loser Bilder als
„Hciusbilderei" anzulegen. An dieser zu bauen und zu gliedern scheint mir
ein ersprießlicheres Ziel, als in einer noch so geschmackvoll zusammengestellten
Bilderbibel gelegentlich zu blättern. Ich weiß nicht, aber mir ist bei etwas so
„fertigen" immer so unbehaglich wie beim „fertigen Herrenkleidermacher".
Manchmal paßt der Kittel, meist aber uicht. Und diese unpassende« Menschen
sind mir entschieden lieber. Eine Frage zum Schluß: Warum nennen Heraus¬
geber und Verlag unter einer ganzen Anzahl von Bildern den „Kunstwart"
oder seine Künstlermappen nicht als die Quelle, die sie uicht nur für die
Auswahl, sondern auch rein technisch durch die Drnckvorlagcn so offensichtlich
unterstützt zu haben scheint? Das berührt um so peinlicher, als Bruckmann,
Photographische Union, Photvgraphische Gesellschaft, Berlin und andre immer
genau genannt sind. Übrigens ist dies auch ein Werk, das von der Jahr-
hundertausstelllmg reichlich profitiert haben dürfte. Das vermindert seinen Wert
Lügen Ralkschmidt nicht, im Gegenteil: es hebt ihn.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/650>, abgerufen am 24.07.2024.