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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Belletristik und Publizistik

Wildes Ballade vom Zuchthause zu Reading sowie (im Hochland) einige Oden
des 1604 gebornen Jakob Bälde (er hat seine Gedichte in horazischen Meeren
bekanntlich als Jesuit verfaßt). Zwei Strophen aus der Ode: "An die Deutschen"
lauten

^ Länder! ^Völker!) Ziehn umher sie,
Daß sie nirgend in aller Welt als sich nur
Fremde bleiben? Sie sehn das Ausland an mit
stolzer Verachtung.
Und du, Deutscher, allein, willst deine Mutter,
Aus der Fremde gekehrt, französisch grüßen?
O spei aus, vor der Haustür spei der Seine
Häßlichen Schlamm aus.
.

Bravo! muß man rufen, aber wenn Bälde gute deutsche und schlechte lateinische
Verse gemacht hätte, statt viel gute lateinische und wenige aber desto schlechtere
deutsche zu dichten, so würde das Bravo noch herzlicher herauskommen. In
demselben Hefte wird gezeigt, wie gerade die Jesuiten schuld gewesen sind an der
literarischen Rückstündigkeit Süddeutschlands, indem ihre Schulen noch fort¬
fuhren, ausschließlich das Lateinische zu pflegen, als die protestantischen Schulen
Norddeutschlands von dieser humanistischen Verirrung schon zurückgekommen
waren. Auch an längern Erzählungen in Versen fehlt es nicht, wie (Lie. W.)
"Im Banne des Karussells" von Nikolaus Welter. Der bedeutendste Beitrag
in Versen aber ist: "Der Narr in der Mansarde", ein zur Feier des Cervantes-
jubilüums von Don Narzisse Serra gedichteter Schwank, der eine lustige Episode
aus der Entstehungsgeschichte des Don Quixote dramatisch darstellt. Die
Prinzessin Maria de la Paz hat ihn für die L. W. sehr schön in vierfttßigen
Jamben bearbeitet. Der Pater Dr. Expeditus Schmidt schreibt in einer Rezension
dieser Übersetzung, hier scheine der Stil gefunden zu sein, in dem man spanische
Dramen übersetzen müsse; "ihre Achtsilber sind einmal keine Trochäen, wie wäre
es, wenn wir sie gleich zu Jamben machten?" Da wir gerade bei der Poesie
im engern Sinne angelangt sind, so mag hier noch zweierlei eingeschaltet
werden. Einmal, daß der Beuroner Benediktiner Ansgar Pöllmann zur
Schillerfeier einen Jubiläumsbeitrag: "Was ist uns Schiller?" (Jos. Kösel,
Kempten und München, 1905) geliefert hat, in dem es heißt: "Das ist uns
Schiller neben dem, was er anch den andern ist: der Schöpfer einer wunder¬
samen geistigen Welt, in der wir als in einer Oase, vom Staube des Alltags
gereinigt, unser heißes Herz eintauchen dürfen in kastalische Quellen, und darum
nennen wir Katholiken ihn mit doppeltem Recht unsern Schiller." Zum
zweiten, daß man mir auch ein paar Dutzend Hefte von zwei katholischen
Monatsschriften geschickt hat, die ausschließlich der Lyrik gewidmet sind, auf
deren Studium ich aber schon darum verzichten muß, weil mein Magen, gleich
dem der Mehrzahl der heutigen Menschen, soviel Lyrik nicht verträgt. Die
eine, von dem eben genannten Pater Pöllmann herausgegebne, heißt "Gottes¬
minne", die andre: "Dichterstimmen der Gegenwart. Illustriertes poetisches


Katholische Belletristik und Publizistik

Wildes Ballade vom Zuchthause zu Reading sowie (im Hochland) einige Oden
des 1604 gebornen Jakob Bälde (er hat seine Gedichte in horazischen Meeren
bekanntlich als Jesuit verfaßt). Zwei Strophen aus der Ode: „An die Deutschen"
lauten

^ Länder! ^Völker!) Ziehn umher sie,
Daß sie nirgend in aller Welt als sich nur
Fremde bleiben? Sie sehn das Ausland an mit
stolzer Verachtung.
Und du, Deutscher, allein, willst deine Mutter,
Aus der Fremde gekehrt, französisch grüßen?
O spei aus, vor der Haustür spei der Seine
Häßlichen Schlamm aus.
.

Bravo! muß man rufen, aber wenn Bälde gute deutsche und schlechte lateinische
Verse gemacht hätte, statt viel gute lateinische und wenige aber desto schlechtere
deutsche zu dichten, so würde das Bravo noch herzlicher herauskommen. In
demselben Hefte wird gezeigt, wie gerade die Jesuiten schuld gewesen sind an der
literarischen Rückstündigkeit Süddeutschlands, indem ihre Schulen noch fort¬
fuhren, ausschließlich das Lateinische zu pflegen, als die protestantischen Schulen
Norddeutschlands von dieser humanistischen Verirrung schon zurückgekommen
waren. Auch an längern Erzählungen in Versen fehlt es nicht, wie (Lie. W.)
„Im Banne des Karussells" von Nikolaus Welter. Der bedeutendste Beitrag
in Versen aber ist: „Der Narr in der Mansarde", ein zur Feier des Cervantes-
jubilüums von Don Narzisse Serra gedichteter Schwank, der eine lustige Episode
aus der Entstehungsgeschichte des Don Quixote dramatisch darstellt. Die
Prinzessin Maria de la Paz hat ihn für die L. W. sehr schön in vierfttßigen
Jamben bearbeitet. Der Pater Dr. Expeditus Schmidt schreibt in einer Rezension
dieser Übersetzung, hier scheine der Stil gefunden zu sein, in dem man spanische
Dramen übersetzen müsse; „ihre Achtsilber sind einmal keine Trochäen, wie wäre
es, wenn wir sie gleich zu Jamben machten?" Da wir gerade bei der Poesie
im engern Sinne angelangt sind, so mag hier noch zweierlei eingeschaltet
werden. Einmal, daß der Beuroner Benediktiner Ansgar Pöllmann zur
Schillerfeier einen Jubiläumsbeitrag: „Was ist uns Schiller?" (Jos. Kösel,
Kempten und München, 1905) geliefert hat, in dem es heißt: „Das ist uns
Schiller neben dem, was er anch den andern ist: der Schöpfer einer wunder¬
samen geistigen Welt, in der wir als in einer Oase, vom Staube des Alltags
gereinigt, unser heißes Herz eintauchen dürfen in kastalische Quellen, und darum
nennen wir Katholiken ihn mit doppeltem Recht unsern Schiller." Zum
zweiten, daß man mir auch ein paar Dutzend Hefte von zwei katholischen
Monatsschriften geschickt hat, die ausschließlich der Lyrik gewidmet sind, auf
deren Studium ich aber schon darum verzichten muß, weil mein Magen, gleich
dem der Mehrzahl der heutigen Menschen, soviel Lyrik nicht verträgt. Die
eine, von dem eben genannten Pater Pöllmann herausgegebne, heißt „Gottes¬
minne", die andre: „Dichterstimmen der Gegenwart. Illustriertes poetisches


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[0639] Katholische Belletristik und Publizistik Wildes Ballade vom Zuchthause zu Reading sowie (im Hochland) einige Oden des 1604 gebornen Jakob Bälde (er hat seine Gedichte in horazischen Meeren bekanntlich als Jesuit verfaßt). Zwei Strophen aus der Ode: „An die Deutschen" lauten ^ Länder! ^Völker!) Ziehn umher sie, Daß sie nirgend in aller Welt als sich nur Fremde bleiben? Sie sehn das Ausland an mit stolzer Verachtung. Und du, Deutscher, allein, willst deine Mutter, Aus der Fremde gekehrt, französisch grüßen? O spei aus, vor der Haustür spei der Seine Häßlichen Schlamm aus. . Bravo! muß man rufen, aber wenn Bälde gute deutsche und schlechte lateinische Verse gemacht hätte, statt viel gute lateinische und wenige aber desto schlechtere deutsche zu dichten, so würde das Bravo noch herzlicher herauskommen. In demselben Hefte wird gezeigt, wie gerade die Jesuiten schuld gewesen sind an der literarischen Rückstündigkeit Süddeutschlands, indem ihre Schulen noch fort¬ fuhren, ausschließlich das Lateinische zu pflegen, als die protestantischen Schulen Norddeutschlands von dieser humanistischen Verirrung schon zurückgekommen waren. Auch an längern Erzählungen in Versen fehlt es nicht, wie (Lie. W.) „Im Banne des Karussells" von Nikolaus Welter. Der bedeutendste Beitrag in Versen aber ist: „Der Narr in der Mansarde", ein zur Feier des Cervantes- jubilüums von Don Narzisse Serra gedichteter Schwank, der eine lustige Episode aus der Entstehungsgeschichte des Don Quixote dramatisch darstellt. Die Prinzessin Maria de la Paz hat ihn für die L. W. sehr schön in vierfttßigen Jamben bearbeitet. Der Pater Dr. Expeditus Schmidt schreibt in einer Rezension dieser Übersetzung, hier scheine der Stil gefunden zu sein, in dem man spanische Dramen übersetzen müsse; „ihre Achtsilber sind einmal keine Trochäen, wie wäre es, wenn wir sie gleich zu Jamben machten?" Da wir gerade bei der Poesie im engern Sinne angelangt sind, so mag hier noch zweierlei eingeschaltet werden. Einmal, daß der Beuroner Benediktiner Ansgar Pöllmann zur Schillerfeier einen Jubiläumsbeitrag: „Was ist uns Schiller?" (Jos. Kösel, Kempten und München, 1905) geliefert hat, in dem es heißt: „Das ist uns Schiller neben dem, was er anch den andern ist: der Schöpfer einer wunder¬ samen geistigen Welt, in der wir als in einer Oase, vom Staube des Alltags gereinigt, unser heißes Herz eintauchen dürfen in kastalische Quellen, und darum nennen wir Katholiken ihn mit doppeltem Recht unsern Schiller." Zum zweiten, daß man mir auch ein paar Dutzend Hefte von zwei katholischen Monatsschriften geschickt hat, die ausschließlich der Lyrik gewidmet sind, auf deren Studium ich aber schon darum verzichten muß, weil mein Magen, gleich dem der Mehrzahl der heutigen Menschen, soviel Lyrik nicht verträgt. Die eine, von dem eben genannten Pater Pöllmann herausgegebne, heißt „Gottes¬ minne", die andre: „Dichterstimmen der Gegenwart. Illustriertes poetisches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/639>, abgerufen am 24.07.2024.