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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Belletristik und Publizistik

! enden wir uns nun von den Worten zu den Taten, von der
Kritik zu den eignen Leistungen der beiden Zeitschriften und ihrer
Dichter, so fehlt selbstverständlich das, was man im prägnanten
Sinne Erotik nennt, vollständig, aber nicht die Liebe im edeln
! Sinn. Es sind kleine Sachen, wie sie die besten der protestantischen
Familienblätter zu bringen pflegen: Skizzen aus dem Volksleben, namentlich
zum Mitleid bewegende, Stimmungsbilder, Novellen und Novelletten, deren
Helden heroische Entsagung üben oder um einer Schuld willen einen tragischen
Tod erleiden. Unter den Autoren ist einer, den die Grenzbotenleser gut kennen,
mit zwei Geschichten vertreten: Timm Kröger. Einen andern kennen sie vielleicht,
da er auch im Feuilleton der Schlesischen Zeitung und andrer protestantischer
Organe nicht selten zu finden ist: den katholischen Volksschullehrer Paul Keller.
Ziemlich häufig sind die neutestcimentlichen Legenden in der Weise von Scina
Lagerlöf, die auch selbst mit einer solchen erscheint. Zu den Produktionen im
höhern Feuilletonstil dürfen wir wohl auch solche rechnen, wie den Bericht
über einen Besuch bei Freden Mistral und eine Unterhaltung von geistreichen
Freunden am Mittagtisch zu Weimar über das Thüringerland ("Der Nibelungen¬
dichter" von Fritz Lienhard). Der eine spricht: "Ich hätte nicht übel Lust, die
Wartburg zum Mittelpunkt einer großen dramatischen Dichtung zu wühlen.
Denn was für köstlich charakteristische drei Kulturwelten haben auf der Höhe
dieser Burg symbolische Gestalt gewonnen! Die Frühlingswelt der Minnesänger:
weltlich, lebensstark, umrauscht von der phantasievollen Hohenstaufenpvlitik.
Dann die ernste Gegenstimmung unter der heiligen Elisabeth, ein jäh hervor¬
brechendes Verlangen nach Heiligung und Verinnerlichung, unter dem herüber
wirkenden Einfluß jenes Gefühlslebens, das der herzensgeniale Franz von
Assisi entfesselt hatte. Endlich des stürmischen Martin Luthers Atemholen auf
der Wartburg nach dem Reichstage zu Worms." Es wird dann an Scheffels
Plan eines Wartburgromans erinnert, und als Frucht dieses Gesprächs folgt
die Skizze eines Romans: Niederlage, Läuterung und Sieg des Nibelungen¬
dichters Heinrich von Ofterdingen.

Unter den zahlreichen Gedichten der beiden Zeitschriften findet man auch
(in der Literarischen Warte) Stücke aus Liesse von Paul Verlaiue und Oscar




Katholische Belletristik und Publizistik

! enden wir uns nun von den Worten zu den Taten, von der
Kritik zu den eignen Leistungen der beiden Zeitschriften und ihrer
Dichter, so fehlt selbstverständlich das, was man im prägnanten
Sinne Erotik nennt, vollständig, aber nicht die Liebe im edeln
! Sinn. Es sind kleine Sachen, wie sie die besten der protestantischen
Familienblätter zu bringen pflegen: Skizzen aus dem Volksleben, namentlich
zum Mitleid bewegende, Stimmungsbilder, Novellen und Novelletten, deren
Helden heroische Entsagung üben oder um einer Schuld willen einen tragischen
Tod erleiden. Unter den Autoren ist einer, den die Grenzbotenleser gut kennen,
mit zwei Geschichten vertreten: Timm Kröger. Einen andern kennen sie vielleicht,
da er auch im Feuilleton der Schlesischen Zeitung und andrer protestantischer
Organe nicht selten zu finden ist: den katholischen Volksschullehrer Paul Keller.
Ziemlich häufig sind die neutestcimentlichen Legenden in der Weise von Scina
Lagerlöf, die auch selbst mit einer solchen erscheint. Zu den Produktionen im
höhern Feuilletonstil dürfen wir wohl auch solche rechnen, wie den Bericht
über einen Besuch bei Freden Mistral und eine Unterhaltung von geistreichen
Freunden am Mittagtisch zu Weimar über das Thüringerland („Der Nibelungen¬
dichter" von Fritz Lienhard). Der eine spricht: „Ich hätte nicht übel Lust, die
Wartburg zum Mittelpunkt einer großen dramatischen Dichtung zu wühlen.
Denn was für köstlich charakteristische drei Kulturwelten haben auf der Höhe
dieser Burg symbolische Gestalt gewonnen! Die Frühlingswelt der Minnesänger:
weltlich, lebensstark, umrauscht von der phantasievollen Hohenstaufenpvlitik.
Dann die ernste Gegenstimmung unter der heiligen Elisabeth, ein jäh hervor¬
brechendes Verlangen nach Heiligung und Verinnerlichung, unter dem herüber
wirkenden Einfluß jenes Gefühlslebens, das der herzensgeniale Franz von
Assisi entfesselt hatte. Endlich des stürmischen Martin Luthers Atemholen auf
der Wartburg nach dem Reichstage zu Worms." Es wird dann an Scheffels
Plan eines Wartburgromans erinnert, und als Frucht dieses Gesprächs folgt
die Skizze eines Romans: Niederlage, Läuterung und Sieg des Nibelungen¬
dichters Heinrich von Ofterdingen.

Unter den zahlreichen Gedichten der beiden Zeitschriften findet man auch
(in der Literarischen Warte) Stücke aus Liesse von Paul Verlaiue und Oscar


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[0638] [Abbildung] Katholische Belletristik und Publizistik ! enden wir uns nun von den Worten zu den Taten, von der Kritik zu den eignen Leistungen der beiden Zeitschriften und ihrer Dichter, so fehlt selbstverständlich das, was man im prägnanten Sinne Erotik nennt, vollständig, aber nicht die Liebe im edeln ! Sinn. Es sind kleine Sachen, wie sie die besten der protestantischen Familienblätter zu bringen pflegen: Skizzen aus dem Volksleben, namentlich zum Mitleid bewegende, Stimmungsbilder, Novellen und Novelletten, deren Helden heroische Entsagung üben oder um einer Schuld willen einen tragischen Tod erleiden. Unter den Autoren ist einer, den die Grenzbotenleser gut kennen, mit zwei Geschichten vertreten: Timm Kröger. Einen andern kennen sie vielleicht, da er auch im Feuilleton der Schlesischen Zeitung und andrer protestantischer Organe nicht selten zu finden ist: den katholischen Volksschullehrer Paul Keller. Ziemlich häufig sind die neutestcimentlichen Legenden in der Weise von Scina Lagerlöf, die auch selbst mit einer solchen erscheint. Zu den Produktionen im höhern Feuilletonstil dürfen wir wohl auch solche rechnen, wie den Bericht über einen Besuch bei Freden Mistral und eine Unterhaltung von geistreichen Freunden am Mittagtisch zu Weimar über das Thüringerland („Der Nibelungen¬ dichter" von Fritz Lienhard). Der eine spricht: „Ich hätte nicht übel Lust, die Wartburg zum Mittelpunkt einer großen dramatischen Dichtung zu wühlen. Denn was für köstlich charakteristische drei Kulturwelten haben auf der Höhe dieser Burg symbolische Gestalt gewonnen! Die Frühlingswelt der Minnesänger: weltlich, lebensstark, umrauscht von der phantasievollen Hohenstaufenpvlitik. Dann die ernste Gegenstimmung unter der heiligen Elisabeth, ein jäh hervor¬ brechendes Verlangen nach Heiligung und Verinnerlichung, unter dem herüber wirkenden Einfluß jenes Gefühlslebens, das der herzensgeniale Franz von Assisi entfesselt hatte. Endlich des stürmischen Martin Luthers Atemholen auf der Wartburg nach dem Reichstage zu Worms." Es wird dann an Scheffels Plan eines Wartburgromans erinnert, und als Frucht dieses Gesprächs folgt die Skizze eines Romans: Niederlage, Läuterung und Sieg des Nibelungen¬ dichters Heinrich von Ofterdingen. Unter den zahlreichen Gedichten der beiden Zeitschriften findet man auch (in der Literarischen Warte) Stücke aus Liesse von Paul Verlaiue und Oscar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/638>, abgerufen am 24.07.2024.