Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Das höhere Schulwesen in Europa Schulen aussprach, im Herrenhause geschah es durch einen Konservativen, durch Die Ausführungen des Grafen Aork von Wartenburg haben dann den Das höhere Schulwesen in Europa Schulen aussprach, im Herrenhause geschah es durch einen Konservativen, durch Die Ausführungen des Grafen Aork von Wartenburg haben dann den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0636" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301890"/> <fw type="header" place="top"> Das höhere Schulwesen in Europa</fw><lb/> <p xml:id="ID_2330" prev="#ID_2329"> Schulen aussprach, im Herrenhause geschah es durch einen Konservativen, durch<lb/> Dr. Graf Jork von Wartenburg. Beide brachen eine Lanze für die Erhaltung<lb/> des humanistischen Gymnasiums mit seinem Unterricht im Lateinischen von Sexta<lb/> und im Griechischen von Quarta an, und beide brachten dabei wiederum die<lb/> bekannten Gründe zu Gehör. Man müßte tausendmal Gesagtes wiederholen,<lb/> um diese Gründe als durchaus hinfällig zu widerlegen. Davon kann heute<lb/> Abstand genommen werden. Aber eine Bemerkung, die Dr. Graf Uork von<lb/> Wartenburg in seiner Herrenhausrede vom 30. März v. I. zugunsten der<lb/> humanistischen Gymnasien gemacht hat, verdient hervorgehoben zu werden. Er<lb/> sagte: „Die Schüler, die nur Einjährige werden wollen, sollten lieber derartigen<lb/> Anstalten — ich sage es krauotiemsut — derartigen aristokratischen Anstalten —<lb/> fernbleiben." Will Dr. Graf Jork von Wartenburg die Erfüllung dieses Rates,<lb/> so muß er für die Reformschule unter den von uns aufgestellten Bedingungen<lb/> eintreten, denn nur so sind die „Einjährigen" von dem Besuche der neunstufigen<lb/> Anstalten fernzuhalten, und nur so ist auch die Möglichkeit gegeben, durch eine<lb/> verschiedenartige Ausgestaltung der Lehrpläne den alten Sprachen und der so¬<lb/> genannten klassischen Bildung eine gesicherte Stellung im höhern Schulunter¬<lb/> richte zu schaffen. Eine „Nivellierung der Jugendbildung nach demokratischer<lb/> Schablone", wie sie Dr. Graf Aork von Wartenburg von der allgemeinen Ein¬<lb/> führung der Reformschule befürchtet, ist damit um so weniger verbunden, als<lb/> gerade die Reformschule erst eine den nationalen, sozialen und wirtschaftlichen<lb/> Forderungen der Gegenwart entsprechende Differenzierung des höhern Schul¬<lb/> unterrichts ermöglicht und für das humanistische Gymnasium durch die Gleich¬<lb/> stellung mit den realen Anstalten in den Berechtigungen den Weg frei macht,<lb/> die Notwendigkeit seines Bestandes im Kampfe ums Dasein zu erweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2331" next="#ID_2332"> Die Ausführungen des Grafen Aork von Wartenburg haben dann den<lb/> Kultusminister Dr. Stube veranlaßt, nachzuweisen, daß das humanistische Gym¬<lb/> nasium durch die Schulreform von 1900 in den wesentlichen Grundlagen und<lb/> den wesentlichen Zielen durchaus nicht gefährdet worden ist. Weiterhin hat<lb/> dann der Geheime Regierungsrat Dr. Reinhardt die Entwicklung der Reform¬<lb/> anstalten in Preußen dargelegt. „Es gibt, sagte er, augenblicklich in Preußen<lb/> 66 sogenannte Reformanstalten; von diesen sind 18 humanistisch, die übrigen<lb/> realgymnasial; also unter 319 humanistischen Anstalten Preußens sind 18 huma¬<lb/> nistische Neformanstalten. Diese humanistischen Reformanstalten, in denen<lb/> wie in allen andern Gymnasien auch Griechisch gelehrt wird, sind durchaus<lb/> keine Feinde der humanistischen Bildung; im Gegenteil, sie pflegen die alten<lb/> Sprachen, Griechisch und Lateinisch, in den obern Klassen ganz besonders. Es<lb/> war eine sehr richtige Bemerkung des Herrn Vorredners, des Herrn Grasen<lb/> Uork, daß man die Schüler davor hüten solle, ihre Kräfte zu zersplittern. Um<lb/> diesem Grundsatze gerecht zu werden, verfolgen die Reformanstalten den Weg,<lb/> daß sie für das Nebeneinander der verschiednen Fächer, der altsprachlichen und<lb/> der modernen, ein Nacheinander eintreten lassen; also sie betreiben die realistischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0636]
Das höhere Schulwesen in Europa
Schulen aussprach, im Herrenhause geschah es durch einen Konservativen, durch
Dr. Graf Jork von Wartenburg. Beide brachen eine Lanze für die Erhaltung
des humanistischen Gymnasiums mit seinem Unterricht im Lateinischen von Sexta
und im Griechischen von Quarta an, und beide brachten dabei wiederum die
bekannten Gründe zu Gehör. Man müßte tausendmal Gesagtes wiederholen,
um diese Gründe als durchaus hinfällig zu widerlegen. Davon kann heute
Abstand genommen werden. Aber eine Bemerkung, die Dr. Graf Uork von
Wartenburg in seiner Herrenhausrede vom 30. März v. I. zugunsten der
humanistischen Gymnasien gemacht hat, verdient hervorgehoben zu werden. Er
sagte: „Die Schüler, die nur Einjährige werden wollen, sollten lieber derartigen
Anstalten — ich sage es krauotiemsut — derartigen aristokratischen Anstalten —
fernbleiben." Will Dr. Graf Jork von Wartenburg die Erfüllung dieses Rates,
so muß er für die Reformschule unter den von uns aufgestellten Bedingungen
eintreten, denn nur so sind die „Einjährigen" von dem Besuche der neunstufigen
Anstalten fernzuhalten, und nur so ist auch die Möglichkeit gegeben, durch eine
verschiedenartige Ausgestaltung der Lehrpläne den alten Sprachen und der so¬
genannten klassischen Bildung eine gesicherte Stellung im höhern Schulunter¬
richte zu schaffen. Eine „Nivellierung der Jugendbildung nach demokratischer
Schablone", wie sie Dr. Graf Aork von Wartenburg von der allgemeinen Ein¬
führung der Reformschule befürchtet, ist damit um so weniger verbunden, als
gerade die Reformschule erst eine den nationalen, sozialen und wirtschaftlichen
Forderungen der Gegenwart entsprechende Differenzierung des höhern Schul¬
unterrichts ermöglicht und für das humanistische Gymnasium durch die Gleich¬
stellung mit den realen Anstalten in den Berechtigungen den Weg frei macht,
die Notwendigkeit seines Bestandes im Kampfe ums Dasein zu erweisen.
Die Ausführungen des Grafen Aork von Wartenburg haben dann den
Kultusminister Dr. Stube veranlaßt, nachzuweisen, daß das humanistische Gym¬
nasium durch die Schulreform von 1900 in den wesentlichen Grundlagen und
den wesentlichen Zielen durchaus nicht gefährdet worden ist. Weiterhin hat
dann der Geheime Regierungsrat Dr. Reinhardt die Entwicklung der Reform¬
anstalten in Preußen dargelegt. „Es gibt, sagte er, augenblicklich in Preußen
66 sogenannte Reformanstalten; von diesen sind 18 humanistisch, die übrigen
realgymnasial; also unter 319 humanistischen Anstalten Preußens sind 18 huma¬
nistische Neformanstalten. Diese humanistischen Reformanstalten, in denen
wie in allen andern Gymnasien auch Griechisch gelehrt wird, sind durchaus
keine Feinde der humanistischen Bildung; im Gegenteil, sie pflegen die alten
Sprachen, Griechisch und Lateinisch, in den obern Klassen ganz besonders. Es
war eine sehr richtige Bemerkung des Herrn Vorredners, des Herrn Grasen
Uork, daß man die Schüler davor hüten solle, ihre Kräfte zu zersplittern. Um
diesem Grundsatze gerecht zu werden, verfolgen die Reformanstalten den Weg,
daß sie für das Nebeneinander der verschiednen Fächer, der altsprachlichen und
der modernen, ein Nacheinander eintreten lassen; also sie betreiben die realistischen
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