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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die militärpolitische Lage in den vereinigten Staaten von Nordamerika

ehrenvollen Diensten aus der regulären Armee ausgeschieden sind und es während
ihrer Militärpflicht bis zum Unteroffizier der Scharfschützen gebracht, aber das
vierzigste Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Sie werden auf die Dauer von
fünf Jahren als Reservisten angeworben und je nach ihrer Charge mit 24, 28
oder 31 Dollar für das Jahr besoldet. Dafür müssen sie sich verpflichten,
während der Dauer der Reservedienstzeit das Bundesgebiet niemals zu ver¬
lassen und sich dem Kriegsministerium in jedem Mobilmachungsfalle zur Ver¬
fügung zu stellen. Sie müssen sich auch gefallen lassen, jährlich einmal zu
einer zehntägigen oder alle zwei Jahre zu einer fünfzehntägigen Übung ein¬
berufen zu werden. Endlich müssen sie sich im Kriegsfalle ohne weiteres bei
dem Truppenteil, dem sie zugeteilt werden, stellen, um nach Bedarf die reguläre
Armee zu verstärken. Es sollen dann aus dieser ersten Reserve und dem stehende n
Heere Depotbataillone errichtet werden, und zwar je eins für jedes Infanterie-,
Kavallerie- und Feldartillerieregiment, für die Ingenieure und das Signalkorps
und vier für die Küstenartillerie. Bei ihrer ersten Aufstellung werden diese
Bataillone, deren Gliederung der eines Jnfanteriebataillons entspricht, als ein
Stamm von Offizieren, Unteroffizieren und achtzig Gemeinen formiert; sie sollen
aber mit der Zeit auf den Etat von je 150 Mann gebracht werden. Die Offiziere
für die Depotbataillone werden von den regulären Truppen abgegeben oder aus
der Zahl der verabschiedeten Offiziere und den nach dem Gesetz wählbaren Per¬
sönlichkeiten genommen.

Das einzig nachteilige an dieser an sich gewiß wichtigen Neuorganisation
ist nur, daß sie nicht sofort ins Leben treten kann, sondern daß erst in einigen
Jahren mit ihr zu rechnen ist, wenn das dafür nötige Mannschaftsmaterial
vorhanden sein wird. Auch erscheint nach dem Organisationsplan ihre Ver¬
wendung mehr als eine Art Stamm für Ersatzformationen, die doch im Kriegs¬
falle auch herangebildet werden müssen, in Aussicht genommen zu sein, als zur
Verstärkung der Feldarmee erster Linie. Für sie werden also nach wie vor die
Miliztruppen die hauptsächlichste Unterstützung bilden müssen. Das wäre auch
der Zahl nach sehr wohl möglich, denn nach dem Jahresbericht von 1906
wiesen die Milizen der fünfzig Gouvernements der Union eine Stärke von
9154 Offizieren und 110347 Mann auf. Der große Übelstand ist nur, daß die
Ausbildung der Milizformationen bis jetzt noch viel zu wünschen übrig läßt, und
nach der Bundesverfassung der Präsident im Frieden so gut wie nichts über sie
zu bestimmen hat. Der Präsident der Republik ist zu Friedenszeiten nur oberster
Kriegsherr der regulären Armee, während die Milizen lediglich den Befehlen
ihrer Staatsgouverneure unterstehn. Erst bei Ausbruch eines Krieges ändern
sich die Verhältnisse, und dann übernimmt das Staatsoberhaupt die von den
Gouverneuren zur Verfügung gestellten Miliztruppenteile, wobei jedoch keines¬
wegs für alle Territorien die Verpflichtung besteht, der Bundesregierung Heeres¬
folge zu leisten. Die großen Nachteile einer solchen Organisation sind ja aller¬
dings auch schon während des Krieges gegen Spanien scharf hervorgetreten, aber


Die militärpolitische Lage in den vereinigten Staaten von Nordamerika

ehrenvollen Diensten aus der regulären Armee ausgeschieden sind und es während
ihrer Militärpflicht bis zum Unteroffizier der Scharfschützen gebracht, aber das
vierzigste Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Sie werden auf die Dauer von
fünf Jahren als Reservisten angeworben und je nach ihrer Charge mit 24, 28
oder 31 Dollar für das Jahr besoldet. Dafür müssen sie sich verpflichten,
während der Dauer der Reservedienstzeit das Bundesgebiet niemals zu ver¬
lassen und sich dem Kriegsministerium in jedem Mobilmachungsfalle zur Ver¬
fügung zu stellen. Sie müssen sich auch gefallen lassen, jährlich einmal zu
einer zehntägigen oder alle zwei Jahre zu einer fünfzehntägigen Übung ein¬
berufen zu werden. Endlich müssen sie sich im Kriegsfalle ohne weiteres bei
dem Truppenteil, dem sie zugeteilt werden, stellen, um nach Bedarf die reguläre
Armee zu verstärken. Es sollen dann aus dieser ersten Reserve und dem stehende n
Heere Depotbataillone errichtet werden, und zwar je eins für jedes Infanterie-,
Kavallerie- und Feldartillerieregiment, für die Ingenieure und das Signalkorps
und vier für die Küstenartillerie. Bei ihrer ersten Aufstellung werden diese
Bataillone, deren Gliederung der eines Jnfanteriebataillons entspricht, als ein
Stamm von Offizieren, Unteroffizieren und achtzig Gemeinen formiert; sie sollen
aber mit der Zeit auf den Etat von je 150 Mann gebracht werden. Die Offiziere
für die Depotbataillone werden von den regulären Truppen abgegeben oder aus
der Zahl der verabschiedeten Offiziere und den nach dem Gesetz wählbaren Per¬
sönlichkeiten genommen.

Das einzig nachteilige an dieser an sich gewiß wichtigen Neuorganisation
ist nur, daß sie nicht sofort ins Leben treten kann, sondern daß erst in einigen
Jahren mit ihr zu rechnen ist, wenn das dafür nötige Mannschaftsmaterial
vorhanden sein wird. Auch erscheint nach dem Organisationsplan ihre Ver¬
wendung mehr als eine Art Stamm für Ersatzformationen, die doch im Kriegs¬
falle auch herangebildet werden müssen, in Aussicht genommen zu sein, als zur
Verstärkung der Feldarmee erster Linie. Für sie werden also nach wie vor die
Miliztruppen die hauptsächlichste Unterstützung bilden müssen. Das wäre auch
der Zahl nach sehr wohl möglich, denn nach dem Jahresbericht von 1906
wiesen die Milizen der fünfzig Gouvernements der Union eine Stärke von
9154 Offizieren und 110347 Mann auf. Der große Übelstand ist nur, daß die
Ausbildung der Milizformationen bis jetzt noch viel zu wünschen übrig läßt, und
nach der Bundesverfassung der Präsident im Frieden so gut wie nichts über sie
zu bestimmen hat. Der Präsident der Republik ist zu Friedenszeiten nur oberster
Kriegsherr der regulären Armee, während die Milizen lediglich den Befehlen
ihrer Staatsgouverneure unterstehn. Erst bei Ausbruch eines Krieges ändern
sich die Verhältnisse, und dann übernimmt das Staatsoberhaupt die von den
Gouverneuren zur Verfügung gestellten Miliztruppenteile, wobei jedoch keines¬
wegs für alle Territorien die Verpflichtung besteht, der Bundesregierung Heeres¬
folge zu leisten. Die großen Nachteile einer solchen Organisation sind ja aller¬
dings auch schon während des Krieges gegen Spanien scharf hervorgetreten, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/620>, abgerufen am 24.07.2024.