Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Kapitän Storm tollgewordnes Walroß. Aber Geld hat er unbändig viel, das muß man sagen, er Brand kletterte auf den Holzsteg und tastete sich an dem Geländer vorwärts Storm blickte eine Weile finster auf den Tisch, dann nahm er die Pfeife und Er hörte nicht auf das Rollen und Tosen der Brandung, nicht auf das Heulen Storm ballte die Faust. Jene Unglücksnacht in der Nordsee! Wie oft hatte Himmel, Hölle oder Edinburg in achtundvierzig Stunden! hatte ihm der Storm durchlebte wieder in Gedanken diese ganze schauderhafte Fahrt, wie Und dann geschah das Gräßliche. Er sah wieder im Geiste die Fischerschmack Kapitän Storm tollgewordnes Walroß. Aber Geld hat er unbändig viel, das muß man sagen, er Brand kletterte auf den Holzsteg und tastete sich an dem Geländer vorwärts Storm blickte eine Weile finster auf den Tisch, dann nahm er die Pfeife und Er hörte nicht auf das Rollen und Tosen der Brandung, nicht auf das Heulen Storm ballte die Faust. Jene Unglücksnacht in der Nordsee! Wie oft hatte Himmel, Hölle oder Edinburg in achtundvierzig Stunden! hatte ihm der Storm durchlebte wieder in Gedanken diese ganze schauderhafte Fahrt, wie Und dann geschah das Gräßliche. Er sah wieder im Geiste die Fischerschmack <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0060" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301314"/> <fw type="header" place="top"> Kapitän Storm</fw><lb/> <p xml:id="ID_176" prev="#ID_175"> tollgewordnes Walroß. Aber Geld hat er unbändig viel, das muß man sagen, er<lb/> hält alle Welt frei; und er meinte neulich, er könnte sich jeden Tag soviel Moneten<lb/> verschaffen, wie er wollte. Nur ein einziges Wort brauche er zu sagen, dann rolle<lb/> das Geld nur so. Aber laß ihn laufen, Ludwig, uns soll er die Silvesternacht nicht<lb/> verderben. Mach Wasser warm, in einer halben Stunde bin ich wieder hier an Bord.</p><lb/> <p xml:id="ID_177"> Brand kletterte auf den Holzsteg und tastete sich an dem Geländer vorwärts<lb/> nach dem Strande. Eine Weile schaute ihm Storm nach, dann trat er in seinen<lb/> Wachraum zurück, der wie der Leuchtturm rund gebaut war. Vorn links führte<lb/> eine Tür zu der Turmtreppe nach dem Leuchtfeuer. Im Hintergrunde des Raumes<lb/> stand eine eiserne Bettstelle mit einfacher Matratze und wollnen Decken, rechts daneben<lb/> war ein Kachelofen und davor eine Holzbank; Kisten und Kasten waren unter die<lb/> Treppe geschoben. Storm trat an den runden Tisch in der Mitte des Raumes,<lb/> sodaß das Licht der Hängelampe voll auf seine Gestalt fiel. Er war hager, etwas<lb/> vornübergebeugt, aber fest und sehnig. Echte, etwas tiefliegende Seemannsaugen<lb/> blickten aus seinem gebräunten, verwitterten Gesicht, um das sich ein struppiger<lb/> grauer Bart zog, der Mund und Kinn frei ließ, aber den ganzen Hals verdeckte<lb/> und sich von unten hinter dem Hemdkragen in langen Strähnen nach oben hervor<lb/> drängte. Auf dem Tische lag eine kurze Tonpfeife neben einem alten ledernen<lb/> Tabaksbeutel und einem Päckchen Schwefelhölzer.</p><lb/> <p xml:id="ID_178"> Storm blickte eine Weile finster auf den Tisch, dann nahm er die Pfeife und<lb/> begann sie hastig zu stopfen, aber er legte sie bald wieder beiseite, setzte sich auf<lb/> die Ofenbank und starrte vor sich hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_179"> Er hörte nicht auf das Rollen und Tosen der Brandung, nicht auf das Heulen<lb/> und Pfeifen des Sturmes, der durch alle Ritzen der Tür und der Fenster sauste,<lb/> er mußte an die entsetzliche Silvesterfahrt auf der Angelika vor dreizehn Jahren<lb/> denken, er mußte an Johann Rüsch, seinen damaligen Bootsmann, denken und den<lb/> gräßlichen Untergang der Fischerschmack. Dreizehn Jahre schon hatte ihn die Geschichte<lb/> gequält, gehetzt, gemartert, dreizehn Jahre lang hatte er versucht, die ganze schauder¬<lb/> hafte Szene zu vergessen, aus seiner Erinnerung auszuwischen — und nun kam<lb/> ihm dieser Mensch, der einzige Zeuge seines Verbrechens, der einzige, der in der<lb/> Nacht mit ihm auf dem Deck des Dampfers gewesen war, immer wieder in die<lb/> Quere, preßte ihm jedesmal, wenn er in den Hafen kam, Geld aus und drohte<lb/> mit Anzeige und Verfolgung.</p><lb/> <p xml:id="ID_180"> Storm ballte die Faust. Jene Unglücksnacht in der Nordsee! Wie oft hatte<lb/> ihn die ganze Geschichte bis in seine Träume verfolgt! Und wenn er nachts auf<lb/> der Ofenbank lag, und der Sturm um den Leuchtturm tobte, und die See heulte,<lb/> da wars ihm, als führe er wieder mit seinem Dampfer auf hoher See.</p><lb/> <p xml:id="ID_181"> Himmel, Hölle oder Edinburg in achtundvierzig Stunden! hatte ihm der<lb/> Schiffsreeder zugerufen. Die Fracht muß noch im alten Jahre vor zwölf Uhr<lb/> nachts im Hafen sein. Fahren Sie zu, Storm, daß es nur so spritzt! Wenn Sie<lb/> nicht wollen oder keine Courage haben, sind wir miteinander fertig, und es fährt<lb/> ein andrer; es handelt sich um eine halbe Million!</p><lb/> <p xml:id="ID_182"> Storm durchlebte wieder in Gedanken diese ganze schauderhafte Fahrt, wie<lb/> sie am Silvesterabend in Nebel und dickes Wetter gerieten, daß sie zwanzig Meter<lb/> vor dem Bug nichts mehr erkennen konnten, wie sie trotzdem gegen alle Fahr¬<lb/> vorschriften mit vollem Dampfe dahinrasten, daß das Wasser vor dem scharfen Bug<lb/> rechts und links wie aus den Nüstern eines Seeungeheuers emporspritzte.</p><lb/> <p xml:id="ID_183" next="#ID_184"> Und dann geschah das Gräßliche. Er sah wieder im Geiste die Fischerschmack<lb/> vorm Bug seines Dampfers aus dem Nebel auftauchen, alles verschwommen wie<lb/> ein Trugbild, die Masten mit allen Segeln wie einen Schatten — nur einen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
Kapitän Storm
tollgewordnes Walroß. Aber Geld hat er unbändig viel, das muß man sagen, er
hält alle Welt frei; und er meinte neulich, er könnte sich jeden Tag soviel Moneten
verschaffen, wie er wollte. Nur ein einziges Wort brauche er zu sagen, dann rolle
das Geld nur so. Aber laß ihn laufen, Ludwig, uns soll er die Silvesternacht nicht
verderben. Mach Wasser warm, in einer halben Stunde bin ich wieder hier an Bord.
Brand kletterte auf den Holzsteg und tastete sich an dem Geländer vorwärts
nach dem Strande. Eine Weile schaute ihm Storm nach, dann trat er in seinen
Wachraum zurück, der wie der Leuchtturm rund gebaut war. Vorn links führte
eine Tür zu der Turmtreppe nach dem Leuchtfeuer. Im Hintergrunde des Raumes
stand eine eiserne Bettstelle mit einfacher Matratze und wollnen Decken, rechts daneben
war ein Kachelofen und davor eine Holzbank; Kisten und Kasten waren unter die
Treppe geschoben. Storm trat an den runden Tisch in der Mitte des Raumes,
sodaß das Licht der Hängelampe voll auf seine Gestalt fiel. Er war hager, etwas
vornübergebeugt, aber fest und sehnig. Echte, etwas tiefliegende Seemannsaugen
blickten aus seinem gebräunten, verwitterten Gesicht, um das sich ein struppiger
grauer Bart zog, der Mund und Kinn frei ließ, aber den ganzen Hals verdeckte
und sich von unten hinter dem Hemdkragen in langen Strähnen nach oben hervor
drängte. Auf dem Tische lag eine kurze Tonpfeife neben einem alten ledernen
Tabaksbeutel und einem Päckchen Schwefelhölzer.
Storm blickte eine Weile finster auf den Tisch, dann nahm er die Pfeife und
begann sie hastig zu stopfen, aber er legte sie bald wieder beiseite, setzte sich auf
die Ofenbank und starrte vor sich hin.
Er hörte nicht auf das Rollen und Tosen der Brandung, nicht auf das Heulen
und Pfeifen des Sturmes, der durch alle Ritzen der Tür und der Fenster sauste,
er mußte an die entsetzliche Silvesterfahrt auf der Angelika vor dreizehn Jahren
denken, er mußte an Johann Rüsch, seinen damaligen Bootsmann, denken und den
gräßlichen Untergang der Fischerschmack. Dreizehn Jahre schon hatte ihn die Geschichte
gequält, gehetzt, gemartert, dreizehn Jahre lang hatte er versucht, die ganze schauder¬
hafte Szene zu vergessen, aus seiner Erinnerung auszuwischen — und nun kam
ihm dieser Mensch, der einzige Zeuge seines Verbrechens, der einzige, der in der
Nacht mit ihm auf dem Deck des Dampfers gewesen war, immer wieder in die
Quere, preßte ihm jedesmal, wenn er in den Hafen kam, Geld aus und drohte
mit Anzeige und Verfolgung.
Storm ballte die Faust. Jene Unglücksnacht in der Nordsee! Wie oft hatte
ihn die ganze Geschichte bis in seine Träume verfolgt! Und wenn er nachts auf
der Ofenbank lag, und der Sturm um den Leuchtturm tobte, und die See heulte,
da wars ihm, als führe er wieder mit seinem Dampfer auf hoher See.
Himmel, Hölle oder Edinburg in achtundvierzig Stunden! hatte ihm der
Schiffsreeder zugerufen. Die Fracht muß noch im alten Jahre vor zwölf Uhr
nachts im Hafen sein. Fahren Sie zu, Storm, daß es nur so spritzt! Wenn Sie
nicht wollen oder keine Courage haben, sind wir miteinander fertig, und es fährt
ein andrer; es handelt sich um eine halbe Million!
Storm durchlebte wieder in Gedanken diese ganze schauderhafte Fahrt, wie
sie am Silvesterabend in Nebel und dickes Wetter gerieten, daß sie zwanzig Meter
vor dem Bug nichts mehr erkennen konnten, wie sie trotzdem gegen alle Fahr¬
vorschriften mit vollem Dampfe dahinrasten, daß das Wasser vor dem scharfen Bug
rechts und links wie aus den Nüstern eines Seeungeheuers emporspritzte.
Und dann geschah das Gräßliche. Er sah wieder im Geiste die Fischerschmack
vorm Bug seines Dampfers aus dem Nebel auftauchen, alles verschwommen wie
ein Trugbild, die Masten mit allen Segeln wie einen Schatten — nur einen
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