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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Bernard Shaw als Dramatiker

Soldaten, der vor ihr sitzt und Pralines kaut; aber bei der Nachstellung rettet
sie ihn, und in einer Uniform des Vaters läßt sie ihn entkommen. Bald darauf
kehrt Sergius zu seiner Braut zurück, aber er ist entschlossen, seinen Abschied
zu nehmen. Er ist nicht befördert worden, weil er nicht korrekt wissenschaft¬
lich angegriffen habe. Er passe nicht zum modernen Soldaten. "Soldat sein,
sagt er, das ist die Kunst des Feiglings, erbarmungslos anzugreifen, wenn
er die Übermacht hat, und weit vom Schüsse zu bleiben, sobald er der
Schwächere ist." Rainas Träume und Ideale gehn in Trümmer und lösen
sich ganz auf, als ihr Held schließlich in ihrer Dienerin Louka das Ideal
eines Weibes sieht. Nach dem Frieden kehrt Bluntschli zu Petkoffs zurück.
Sein Vater ist gestorben und hat ihm in der Schweiz eine Reihe von Hotels
hinterlassen. Rama, die bis dahin nur von Märchenprinzen, Heldentaten und
Kavallerieattacken geträumt und Bluntschli seinen "Ladenschwengelsinn" vorge¬
worfen hat, reicht ihm schließlich doch die Hand, als er ihr vorrechnet, daß er
als Schweizer Hotelbesitzer zweihundert Pferde habe, siebzig Wagen, vier¬
tausend Tischtücher, neuntausendsechshundert Servietten und Leintücher, zehn¬
tausend Messer und Gabeln usw. "Zeigen Sie mir irgendeinen Mann in ganz
Bulgarien, ruft er aus, der soviel bieten kann!"

Die Komödie ist eine Satire auf die halbzivilisierten Zustände Bulgariens,
aber doch noch mehr eine allgemeine Satire auf den modernen Militarismus
und auf die gepriesnen Tugenden des Soldatenberufs. Im ersten Punkte
mag Bernard Shaw recht haben, im zweiten hat er eine Anschauung verraten,
die durchaus nicht mit der Wirklichkeit, auch nicht in England, übereinstimmt.
Der Held Bluntschli ist als Offizier eine unmögliche Gestalt, eine Karikatur,
die dadurch nicht verständlicher wird, daß Shaw den Offizier einen Schweizer
sein läßt.

In OiuuMii (übersetzt von S. Trebitsch in Drei Dramen von Bernard
Shaw, Cottasche Buchhandlung, 1903) zeigt sich der Einfluß Ibsens ganz
offenbar: die Gestalten haben alle einen leichten pathologischen Zug, und auch
die Atmosphäre, in der sich die Handlung abspielt, ist dumpf und bedrückend.
Aber Shaw versteht es vortrefflich, das Ungesunde und krankhaft Leidenschaft¬
liche so humorvoll zu beleuchten, daß wir über das Quälende mancher Szenen
hinwegkommen und der Entwicklung des psychologischen Problems mit wachsender
Spannung lauschen.

Der Stoff erinnert an die Novelle "Emanuel Hansted" von dem dänischen
Schriftsteller Pontoppidan und stellenweise auch an Humphrey Warth "Robert
Elsmere". Ccmdida ist die Frau des christlichsozialen Geistlichen Jakob Morett,
der ganz in seinen weltbeglückenden Bestrebungen lebt, mit Enthusiasmus für die
Verbreitung der christlichsozialen Ideen wirkt und nicht müde wird, auf der
Kanzel zu predigen und auf der Tribüne Reden und Ansprachen zu halten. Der
Gedanke an seine schöne und vortreffliche Ccmdida macht ihn glücklich: "Es ist
ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns im Himmel erwartet, und was


Bernard Shaw als Dramatiker

Soldaten, der vor ihr sitzt und Pralines kaut; aber bei der Nachstellung rettet
sie ihn, und in einer Uniform des Vaters läßt sie ihn entkommen. Bald darauf
kehrt Sergius zu seiner Braut zurück, aber er ist entschlossen, seinen Abschied
zu nehmen. Er ist nicht befördert worden, weil er nicht korrekt wissenschaft¬
lich angegriffen habe. Er passe nicht zum modernen Soldaten. „Soldat sein,
sagt er, das ist die Kunst des Feiglings, erbarmungslos anzugreifen, wenn
er die Übermacht hat, und weit vom Schüsse zu bleiben, sobald er der
Schwächere ist." Rainas Träume und Ideale gehn in Trümmer und lösen
sich ganz auf, als ihr Held schließlich in ihrer Dienerin Louka das Ideal
eines Weibes sieht. Nach dem Frieden kehrt Bluntschli zu Petkoffs zurück.
Sein Vater ist gestorben und hat ihm in der Schweiz eine Reihe von Hotels
hinterlassen. Rama, die bis dahin nur von Märchenprinzen, Heldentaten und
Kavallerieattacken geträumt und Bluntschli seinen „Ladenschwengelsinn" vorge¬
worfen hat, reicht ihm schließlich doch die Hand, als er ihr vorrechnet, daß er
als Schweizer Hotelbesitzer zweihundert Pferde habe, siebzig Wagen, vier¬
tausend Tischtücher, neuntausendsechshundert Servietten und Leintücher, zehn¬
tausend Messer und Gabeln usw. „Zeigen Sie mir irgendeinen Mann in ganz
Bulgarien, ruft er aus, der soviel bieten kann!"

Die Komödie ist eine Satire auf die halbzivilisierten Zustände Bulgariens,
aber doch noch mehr eine allgemeine Satire auf den modernen Militarismus
und auf die gepriesnen Tugenden des Soldatenberufs. Im ersten Punkte
mag Bernard Shaw recht haben, im zweiten hat er eine Anschauung verraten,
die durchaus nicht mit der Wirklichkeit, auch nicht in England, übereinstimmt.
Der Held Bluntschli ist als Offizier eine unmögliche Gestalt, eine Karikatur,
die dadurch nicht verständlicher wird, daß Shaw den Offizier einen Schweizer
sein läßt.

In OiuuMii (übersetzt von S. Trebitsch in Drei Dramen von Bernard
Shaw, Cottasche Buchhandlung, 1903) zeigt sich der Einfluß Ibsens ganz
offenbar: die Gestalten haben alle einen leichten pathologischen Zug, und auch
die Atmosphäre, in der sich die Handlung abspielt, ist dumpf und bedrückend.
Aber Shaw versteht es vortrefflich, das Ungesunde und krankhaft Leidenschaft¬
liche so humorvoll zu beleuchten, daß wir über das Quälende mancher Szenen
hinwegkommen und der Entwicklung des psychologischen Problems mit wachsender
Spannung lauschen.

Der Stoff erinnert an die Novelle „Emanuel Hansted" von dem dänischen
Schriftsteller Pontoppidan und stellenweise auch an Humphrey Warth „Robert
Elsmere". Ccmdida ist die Frau des christlichsozialen Geistlichen Jakob Morett,
der ganz in seinen weltbeglückenden Bestrebungen lebt, mit Enthusiasmus für die
Verbreitung der christlichsozialen Ideen wirkt und nicht müde wird, auf der
Kanzel zu predigen und auf der Tribüne Reden und Ansprachen zu halten. Der
Gedanke an seine schöne und vortreffliche Ccmdida macht ihn glücklich: „Es ist
ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns im Himmel erwartet, und was


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[0566] Bernard Shaw als Dramatiker Soldaten, der vor ihr sitzt und Pralines kaut; aber bei der Nachstellung rettet sie ihn, und in einer Uniform des Vaters läßt sie ihn entkommen. Bald darauf kehrt Sergius zu seiner Braut zurück, aber er ist entschlossen, seinen Abschied zu nehmen. Er ist nicht befördert worden, weil er nicht korrekt wissenschaft¬ lich angegriffen habe. Er passe nicht zum modernen Soldaten. „Soldat sein, sagt er, das ist die Kunst des Feiglings, erbarmungslos anzugreifen, wenn er die Übermacht hat, und weit vom Schüsse zu bleiben, sobald er der Schwächere ist." Rainas Träume und Ideale gehn in Trümmer und lösen sich ganz auf, als ihr Held schließlich in ihrer Dienerin Louka das Ideal eines Weibes sieht. Nach dem Frieden kehrt Bluntschli zu Petkoffs zurück. Sein Vater ist gestorben und hat ihm in der Schweiz eine Reihe von Hotels hinterlassen. Rama, die bis dahin nur von Märchenprinzen, Heldentaten und Kavallerieattacken geträumt und Bluntschli seinen „Ladenschwengelsinn" vorge¬ worfen hat, reicht ihm schließlich doch die Hand, als er ihr vorrechnet, daß er als Schweizer Hotelbesitzer zweihundert Pferde habe, siebzig Wagen, vier¬ tausend Tischtücher, neuntausendsechshundert Servietten und Leintücher, zehn¬ tausend Messer und Gabeln usw. „Zeigen Sie mir irgendeinen Mann in ganz Bulgarien, ruft er aus, der soviel bieten kann!" Die Komödie ist eine Satire auf die halbzivilisierten Zustände Bulgariens, aber doch noch mehr eine allgemeine Satire auf den modernen Militarismus und auf die gepriesnen Tugenden des Soldatenberufs. Im ersten Punkte mag Bernard Shaw recht haben, im zweiten hat er eine Anschauung verraten, die durchaus nicht mit der Wirklichkeit, auch nicht in England, übereinstimmt. Der Held Bluntschli ist als Offizier eine unmögliche Gestalt, eine Karikatur, die dadurch nicht verständlicher wird, daß Shaw den Offizier einen Schweizer sein läßt. In OiuuMii (übersetzt von S. Trebitsch in Drei Dramen von Bernard Shaw, Cottasche Buchhandlung, 1903) zeigt sich der Einfluß Ibsens ganz offenbar: die Gestalten haben alle einen leichten pathologischen Zug, und auch die Atmosphäre, in der sich die Handlung abspielt, ist dumpf und bedrückend. Aber Shaw versteht es vortrefflich, das Ungesunde und krankhaft Leidenschaft¬ liche so humorvoll zu beleuchten, daß wir über das Quälende mancher Szenen hinwegkommen und der Entwicklung des psychologischen Problems mit wachsender Spannung lauschen. Der Stoff erinnert an die Novelle „Emanuel Hansted" von dem dänischen Schriftsteller Pontoppidan und stellenweise auch an Humphrey Warth „Robert Elsmere". Ccmdida ist die Frau des christlichsozialen Geistlichen Jakob Morett, der ganz in seinen weltbeglückenden Bestrebungen lebt, mit Enthusiasmus für die Verbreitung der christlichsozialen Ideen wirkt und nicht müde wird, auf der Kanzel zu predigen und auf der Tribüne Reden und Ansprachen zu halten. Der Gedanke an seine schöne und vortreffliche Ccmdida macht ihn glücklich: „Es ist ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns im Himmel erwartet, und was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/566>, abgerufen am 24.07.2024.