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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Bernard Shaw als Dramatiker

sozialistischen, geschickten aber exzentrischen Stück 'Wicionsrs' Housss Aufsehen
erregt, seine eigenartige Begabung und Urwüchsigkeit, seine satirisch-humoristische,
oft paradoxe Auffassung des Lebens und der Menschen, seine Ablehnung aller
traditionellen und sorgsam gepflegten Kulturideale und aller schulmäßig ange¬
lernten Schwärmerei und Heldenverehrung, seine meisterhafte Beherrschung der
Sprache und seine Neigung, die Gestalten so übertrieben zu charakterisieren, daß
sie fast Karikaturen werden -- alle diese Eigentümlichkeiten Shaws zeigen sich
zuerst in seinem Lustspiel ^rins g.na ed<z UM (1894), dessen Titel aus dem
Anfang von Vergils Äneis ^.riva viruniaus "emo genommen ist.

Die Handlung von ^rins auel eilf Ug.n (übersetzt unter dem Titel "Helden"
von S. Trebitsch: Drei Dramen von Bernard Shaw, Cottasche Buchhandlung,
1903) spielt in dem Kriege, den die Bulgaren im Jahre 1885 gegen die Serben
führten. Der bulgarifche Major Pettoff steht vor dem Feinde, und in banger
Sorge warten seine Frau Katharina und seine Tochter Rama auf den Aus¬
gang der Schlacht; die Sorge wird bei Rama durch den Gedanken an ihren Ver¬
lobten, den Major Sergius Saranoff, zu einer innern Qual. Endlich kommt
die Nachricht von dem Siege der Bulgaren bei Slivnitza. Die Frauen atmen
ans. Sergius hat sich angeblich als ein unvergleichlicher Held gezeigt, als
ein Muster der Tapferkeit und des Mutes. Rama ist stolz, um so stolzer, als
sie sich in ihrem Heldenideal nicht gctünscht sieht. "Als er mich, sagt sie zur
Mutter, in seinen Armen hielt und mir in die Augen schaute, da fiel es mir
gerade ein, daß wir unsre Vorstellungen von Heldengröße vielleicht nur daher
haben, daß wir gar so gern Byron und Puschkin lesen, und daß wir in diesem
Jahre von der Oper in Bukarest so entzückt waren. Das wirkliche Leben
glich so selten diesen Bildern -- ja niemals, soweit ich es bis dahin kennen
gelernt hatte. Denk dir nur, Mutter, ich zweifelte an ihm. Ich fragte mich,
ob sich nicht am Ende alle seine Heldeneigenschaften und sein Soldatentum
als Einbildung erweisen würden, sobald er sich in einer wirklichen Schlacht
befände." Diese Betrachtung ist die Achse der ganzen Komödie. Getreu
seinen sozialistischen Anschauungen will Berunrd Shaw der Welt die Augen
öffnen und nachweisen, daß die vielbesungne Tapferkeit im Kriege eine kon¬
ventionelle Lüge sei. Dazu führt er einen in serbische Dienste getretner
Schweizer Hauptmann Bluntschli ein, der auf der Flucht durch den bulgarischen
Ort rennt und verfolgt durch das Feuster in namah Schlafzimmer springt.
Rama versteckt ihn vor den Verfolgern. Dieser Hauptmann, eine der wunder¬
lichsten Karikaturen, die Shaw je auf die Bühne gebracht hat, treibt Rama
den Glauben an die Heldengröße der Offiziere gründlich aus. Er schildert ihr
den Kavallerieangrisf auf seine Batterie, die nicht schießen konnte, weil sie
keine Munition hatte, was die Reiter natürlich nicht hätten wissen können.
Der Führer hätte sich bei dem Angriff wie ein Operettentenor benommen,
wie ein Don Quichotte. Der Flüchtling sieht im Zimmer das Bild des Ver¬
lobten und erkennt in ihm den Führer. Rama ist entrüstet über diesen ideallosen


Bernard Shaw als Dramatiker

sozialistischen, geschickten aber exzentrischen Stück 'Wicionsrs' Housss Aufsehen
erregt, seine eigenartige Begabung und Urwüchsigkeit, seine satirisch-humoristische,
oft paradoxe Auffassung des Lebens und der Menschen, seine Ablehnung aller
traditionellen und sorgsam gepflegten Kulturideale und aller schulmäßig ange¬
lernten Schwärmerei und Heldenverehrung, seine meisterhafte Beherrschung der
Sprache und seine Neigung, die Gestalten so übertrieben zu charakterisieren, daß
sie fast Karikaturen werden — alle diese Eigentümlichkeiten Shaws zeigen sich
zuerst in seinem Lustspiel ^rins g.na ed<z UM (1894), dessen Titel aus dem
Anfang von Vergils Äneis ^.riva viruniaus «emo genommen ist.

Die Handlung von ^rins auel eilf Ug.n (übersetzt unter dem Titel „Helden"
von S. Trebitsch: Drei Dramen von Bernard Shaw, Cottasche Buchhandlung,
1903) spielt in dem Kriege, den die Bulgaren im Jahre 1885 gegen die Serben
führten. Der bulgarifche Major Pettoff steht vor dem Feinde, und in banger
Sorge warten seine Frau Katharina und seine Tochter Rama auf den Aus¬
gang der Schlacht; die Sorge wird bei Rama durch den Gedanken an ihren Ver¬
lobten, den Major Sergius Saranoff, zu einer innern Qual. Endlich kommt
die Nachricht von dem Siege der Bulgaren bei Slivnitza. Die Frauen atmen
ans. Sergius hat sich angeblich als ein unvergleichlicher Held gezeigt, als
ein Muster der Tapferkeit und des Mutes. Rama ist stolz, um so stolzer, als
sie sich in ihrem Heldenideal nicht gctünscht sieht. „Als er mich, sagt sie zur
Mutter, in seinen Armen hielt und mir in die Augen schaute, da fiel es mir
gerade ein, daß wir unsre Vorstellungen von Heldengröße vielleicht nur daher
haben, daß wir gar so gern Byron und Puschkin lesen, und daß wir in diesem
Jahre von der Oper in Bukarest so entzückt waren. Das wirkliche Leben
glich so selten diesen Bildern — ja niemals, soweit ich es bis dahin kennen
gelernt hatte. Denk dir nur, Mutter, ich zweifelte an ihm. Ich fragte mich,
ob sich nicht am Ende alle seine Heldeneigenschaften und sein Soldatentum
als Einbildung erweisen würden, sobald er sich in einer wirklichen Schlacht
befände." Diese Betrachtung ist die Achse der ganzen Komödie. Getreu
seinen sozialistischen Anschauungen will Berunrd Shaw der Welt die Augen
öffnen und nachweisen, daß die vielbesungne Tapferkeit im Kriege eine kon¬
ventionelle Lüge sei. Dazu führt er einen in serbische Dienste getretner
Schweizer Hauptmann Bluntschli ein, der auf der Flucht durch den bulgarischen
Ort rennt und verfolgt durch das Feuster in namah Schlafzimmer springt.
Rama versteckt ihn vor den Verfolgern. Dieser Hauptmann, eine der wunder¬
lichsten Karikaturen, die Shaw je auf die Bühne gebracht hat, treibt Rama
den Glauben an die Heldengröße der Offiziere gründlich aus. Er schildert ihr
den Kavallerieangrisf auf seine Batterie, die nicht schießen konnte, weil sie
keine Munition hatte, was die Reiter natürlich nicht hätten wissen können.
Der Führer hätte sich bei dem Angriff wie ein Operettentenor benommen,
wie ein Don Quichotte. Der Flüchtling sieht im Zimmer das Bild des Ver¬
lobten und erkennt in ihm den Führer. Rama ist entrüstet über diesen ideallosen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/565>, abgerufen am 24.07.2024.