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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aufforderung zum Kampf gegen die unechten .färben

ovlorantös 1904 S. 328): Früher wurde der rote Stoff, der von jeher der
am meisten gebrauchte gewesen ist, mit Türkischrot gefärbt. Der hohe Preis
dieser Färbung war der Hauptgrund, daß dieser Artikel beinahe vollständig
aufgegeben wurde. Wie es so oft vorkommt, hat die Güte unter der Billig¬
keit leiden müssen. Wenn man die roten Einbände aus der frühern Zeit,
zum Beispiel in der LibliiMkauö rosg der lldiÄÜ'is Usollötts, mit den heutigen
Roth vergleicht, verwundert man sich über die vollständige Echtheit der Farbe
von vor vierzig Jahren, während die Farbe von ganz neuen Werken in der
kürzesten Zeit verblichen ist.

Nun die Tapeten. Auf was sehen wir, wenn wir eine Tapete aus¬
wählen? Sie muß zu deu Möbeln und der sonstigen Ausstattung des Zimmers
passen, das Muster muß uns gefallen, sie darf nicht zu teuer sein. Echt?
Ach du liebe Zeit, nur nicht fragen, lieber die Nollläden herunterlassen, wenn
die Sonne kommt. Und doch ist es ebensogut möglich, lichtechte Tapeten zu
machen wie lichtechte Textilstosfe; die Materialien, die Farbstoffe, alles ist
da, man darf nur nicht gerade Holzpapier und das allerbilligste Farben¬
geschmier nehmen, wie es aus 100 Kilo Ton und 100 Gramm eines un¬
echten Farbstoffes freilich billig genug gemacht werden kann. Die meisten
Tapeten nehmen nach kurzer Zeit an den belichteten Stellen eine Art von
mattem, halbgrauem Ton an. Als ich neulich beim Wohnungswechsel eine
alte (ein Jahr alte!) Tapete ausbessern ließ, klebte der Tapezier Stücke der¬
selben Tapete auf einige beschädigte Stellen. Es sah furchtbar aus, das
Zimmer war einfach unmöglich. Ich bat ihn, ein paar Streifen der Tapete
erst in die Sonne zu legen und es dann noch einmal zu versuchen. Es war
im Juli. Wir waren beide entzückt vom Resultat: ein paar Tage hatten ge¬
nügt, die Streifen "alt" zu machen! Und das war eine rote Tapete, eine
Farbe, die ohne alle Schwierigkeit lichtecht hergestellt werden kann.


2

Wenn ich mich umsehe, um Bundesgenossen zu suchen, so komme ich zum
schwierigsten, aber auch zum wichtigsten Teil meines Vorhabens. Allein kann
ich es natürlich nicht ausführen. Die Farbenfabriken, die Färber, die Fabri¬
kanten und die Verkäufer werden gern und freudig mit mir gehn, nicht nur
der guten Sache, sondern auch der höher" Preise wegen, die sie vor sich sehen,
wenn nur Gutes und Echtes gekauft wird. Aber sie können mir wenig helfen,
denn meine Hauptbundesgenossen muß ich im Publikum selbst suchen, und hier
wieder nnter den Frauen, denselben Frauen, über die ich mich im vorigen
Kapitel so beklagt habe!

Aber es muß doch sein, und wenn ich mir sagen lasse, wie die Damen¬
welt wohl jetzt im allgemeinen zu dieser Frage denkt, so bekomme ich zur Ant¬
wort: Wir wollen lieber etwas Hübsches, Billiges haben, die Mode wechselt,
wir wolle" auch denselben Stoff nicht viele Jahre trage" und jedes Jahr


Aufforderung zum Kampf gegen die unechten .färben

ovlorantös 1904 S. 328): Früher wurde der rote Stoff, der von jeher der
am meisten gebrauchte gewesen ist, mit Türkischrot gefärbt. Der hohe Preis
dieser Färbung war der Hauptgrund, daß dieser Artikel beinahe vollständig
aufgegeben wurde. Wie es so oft vorkommt, hat die Güte unter der Billig¬
keit leiden müssen. Wenn man die roten Einbände aus der frühern Zeit,
zum Beispiel in der LibliiMkauö rosg der lldiÄÜ'is Usollötts, mit den heutigen
Roth vergleicht, verwundert man sich über die vollständige Echtheit der Farbe
von vor vierzig Jahren, während die Farbe von ganz neuen Werken in der
kürzesten Zeit verblichen ist.

Nun die Tapeten. Auf was sehen wir, wenn wir eine Tapete aus¬
wählen? Sie muß zu deu Möbeln und der sonstigen Ausstattung des Zimmers
passen, das Muster muß uns gefallen, sie darf nicht zu teuer sein. Echt?
Ach du liebe Zeit, nur nicht fragen, lieber die Nollläden herunterlassen, wenn
die Sonne kommt. Und doch ist es ebensogut möglich, lichtechte Tapeten zu
machen wie lichtechte Textilstosfe; die Materialien, die Farbstoffe, alles ist
da, man darf nur nicht gerade Holzpapier und das allerbilligste Farben¬
geschmier nehmen, wie es aus 100 Kilo Ton und 100 Gramm eines un¬
echten Farbstoffes freilich billig genug gemacht werden kann. Die meisten
Tapeten nehmen nach kurzer Zeit an den belichteten Stellen eine Art von
mattem, halbgrauem Ton an. Als ich neulich beim Wohnungswechsel eine
alte (ein Jahr alte!) Tapete ausbessern ließ, klebte der Tapezier Stücke der¬
selben Tapete auf einige beschädigte Stellen. Es sah furchtbar aus, das
Zimmer war einfach unmöglich. Ich bat ihn, ein paar Streifen der Tapete
erst in die Sonne zu legen und es dann noch einmal zu versuchen. Es war
im Juli. Wir waren beide entzückt vom Resultat: ein paar Tage hatten ge¬
nügt, die Streifen „alt" zu machen! Und das war eine rote Tapete, eine
Farbe, die ohne alle Schwierigkeit lichtecht hergestellt werden kann.


2

Wenn ich mich umsehe, um Bundesgenossen zu suchen, so komme ich zum
schwierigsten, aber auch zum wichtigsten Teil meines Vorhabens. Allein kann
ich es natürlich nicht ausführen. Die Farbenfabriken, die Färber, die Fabri¬
kanten und die Verkäufer werden gern und freudig mit mir gehn, nicht nur
der guten Sache, sondern auch der höher» Preise wegen, die sie vor sich sehen,
wenn nur Gutes und Echtes gekauft wird. Aber sie können mir wenig helfen,
denn meine Hauptbundesgenossen muß ich im Publikum selbst suchen, und hier
wieder nnter den Frauen, denselben Frauen, über die ich mich im vorigen
Kapitel so beklagt habe!

Aber es muß doch sein, und wenn ich mir sagen lasse, wie die Damen¬
welt wohl jetzt im allgemeinen zu dieser Frage denkt, so bekomme ich zur Ant¬
wort: Wir wollen lieber etwas Hübsches, Billiges haben, die Mode wechselt,
wir wolle» auch denselben Stoff nicht viele Jahre trage» und jedes Jahr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/538>, abgerufen am 24.07.2024.