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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben

und mehr Ersatzprodukte eingeführt, von denen bis jetzt keins die Schönheit
des alten Schwarz erreicht hat.

Die schönen alten Seidenstoffe, weich und doch voll im Griff -- man
sieht sie kaum mehr! In den meisten Läden kann man sie gar nicht mehr
bekommen; was dem Publikum vorgelegt wird, sind beschwerte Stoffe, die
zwar das Rauschen der Seide sehr schön an sich haben, aber auf wie lange?
Nach kurzem Tragen sind die Stellen, wo viel Reibung ist, abgeschabt oder
gar durchgerieben. Und warum? Weil man, um das Verlangen nach Billig¬
keit zu befriedigen, eine Unmenge von Beschwerung in Form von allerhand
chemischen Verbindungen in die Seide, die nach dem Gewicht verkauft wird,
hineingearbeitet hat. Und davon wird sie schnell brüchig und unbrauchbar.
Unsre Großmütter konnten ihr seidnes Kleid gar oft tragen, sie konnten es
ein paarmal nach der Mode ändern lassen, dann konnten noch Sachen für
die Kinder davon gemacht werden, und sogar dann war die Seide noch nicht
umgebracht, sie konnte wenigstens noch als Ärmclfntter oder etwas ähnliches
Verwendung finden. Und heute?

Ein ähnlicher und recht bezeichnender Fall, bei dem freilich die Ver¬
hältnisse nicht so klar liegen wie bei den eben angeführten Beispielen, ist der
folgende: Die mercerisierte Baumwolle oder Glanzbaumwolle hat sich seit
einigen Jahren bei uns eingebürgert, und zwar unter den verschiedensten
Phantasienamen, die meist den Eindruck machen sollen, daß man es mit Seide
zu tun hat. Im Stück, in den Garnen, überall ist diese Glanzbcmmwolle zu
finden, und mit Recht, denn in der Geschichte keiner andern Tcxtilfaser findet
sich ein so epochemachendes, geradezu sprungweise vorgehendes Veredlungsver¬
fahren, wie es die Mercerisation ist. Und sie macht wirklich etwas Besseres
aus dem Ausgangsmaterial! Sie kleistert nicht nur oberflächlich etwas darauf,
etwa einen Seidenglanz, den jeder Wassertropfen wieder wegnimmt, oder eine
Leinenimitatiou, die an einem feuchten Tage verschwindet, oder gar eine künst¬
liche Unentflammbarkeit, wie bei Baumwollflanell oder Barchent, die allmählich
bei wiederholtem Waschen verschwindet und dadurch statt zu einer Verbesserung,
zu einer doppelten Gefahr wird! Nein, die mercerisierte Baumwolle ist ein
schöneres Produkt als die ursprüngliche, und sie bleibt es, man mag sie
waschen, so oft man will. Als sie nun eingeführt worden war, ging anch
alsbald die Hetze an: die Seide sollte in allen Waren durch mercerisierte
Baumwolle ersetzt, auf der ganzen Linie aus dem Felde geschlagen werden!
Die auf Seide gebräuchlichen und auf ihr leicht echt herzustellenden leuchtend
klaren Farbtöne sollten nun so genau wie möglich auf der mercerisierten
Baumwolle nachgeahmt werden, auf Stickgarnen, Blusenstoffen -- überall.
Der gewissenhafte Färber sagte wohl von Anfang an: Es ist unmöglich, es
kann nur auf Kosten der Echtheit geschehen. Aber danach wurde nicht viel
gefragt. Denn das beste Geschäft machen der Färber, der Fabrikant und der
Verkäufer, die die bei Seidenwaren gebräuchlichen Farben am getreuesten


Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben

und mehr Ersatzprodukte eingeführt, von denen bis jetzt keins die Schönheit
des alten Schwarz erreicht hat.

Die schönen alten Seidenstoffe, weich und doch voll im Griff — man
sieht sie kaum mehr! In den meisten Läden kann man sie gar nicht mehr
bekommen; was dem Publikum vorgelegt wird, sind beschwerte Stoffe, die
zwar das Rauschen der Seide sehr schön an sich haben, aber auf wie lange?
Nach kurzem Tragen sind die Stellen, wo viel Reibung ist, abgeschabt oder
gar durchgerieben. Und warum? Weil man, um das Verlangen nach Billig¬
keit zu befriedigen, eine Unmenge von Beschwerung in Form von allerhand
chemischen Verbindungen in die Seide, die nach dem Gewicht verkauft wird,
hineingearbeitet hat. Und davon wird sie schnell brüchig und unbrauchbar.
Unsre Großmütter konnten ihr seidnes Kleid gar oft tragen, sie konnten es
ein paarmal nach der Mode ändern lassen, dann konnten noch Sachen für
die Kinder davon gemacht werden, und sogar dann war die Seide noch nicht
umgebracht, sie konnte wenigstens noch als Ärmclfntter oder etwas ähnliches
Verwendung finden. Und heute?

Ein ähnlicher und recht bezeichnender Fall, bei dem freilich die Ver¬
hältnisse nicht so klar liegen wie bei den eben angeführten Beispielen, ist der
folgende: Die mercerisierte Baumwolle oder Glanzbaumwolle hat sich seit
einigen Jahren bei uns eingebürgert, und zwar unter den verschiedensten
Phantasienamen, die meist den Eindruck machen sollen, daß man es mit Seide
zu tun hat. Im Stück, in den Garnen, überall ist diese Glanzbcmmwolle zu
finden, und mit Recht, denn in der Geschichte keiner andern Tcxtilfaser findet
sich ein so epochemachendes, geradezu sprungweise vorgehendes Veredlungsver¬
fahren, wie es die Mercerisation ist. Und sie macht wirklich etwas Besseres
aus dem Ausgangsmaterial! Sie kleistert nicht nur oberflächlich etwas darauf,
etwa einen Seidenglanz, den jeder Wassertropfen wieder wegnimmt, oder eine
Leinenimitatiou, die an einem feuchten Tage verschwindet, oder gar eine künst¬
liche Unentflammbarkeit, wie bei Baumwollflanell oder Barchent, die allmählich
bei wiederholtem Waschen verschwindet und dadurch statt zu einer Verbesserung,
zu einer doppelten Gefahr wird! Nein, die mercerisierte Baumwolle ist ein
schöneres Produkt als die ursprüngliche, und sie bleibt es, man mag sie
waschen, so oft man will. Als sie nun eingeführt worden war, ging anch
alsbald die Hetze an: die Seide sollte in allen Waren durch mercerisierte
Baumwolle ersetzt, auf der ganzen Linie aus dem Felde geschlagen werden!
Die auf Seide gebräuchlichen und auf ihr leicht echt herzustellenden leuchtend
klaren Farbtöne sollten nun so genau wie möglich auf der mercerisierten
Baumwolle nachgeahmt werden, auf Stickgarnen, Blusenstoffen — überall.
Der gewissenhafte Färber sagte wohl von Anfang an: Es ist unmöglich, es
kann nur auf Kosten der Echtheit geschehen. Aber danach wurde nicht viel
gefragt. Denn das beste Geschäft machen der Färber, der Fabrikant und der
Verkäufer, die die bei Seidenwaren gebräuchlichen Farben am getreuesten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/536>, abgerufen am 25.07.2024.