Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.![]() Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben ol-, Paul Rrais Lin offner Brief an das Publikum vonin 1 ürzlich but mir ein Chemiker erzählt, er sei bei einem Kongreß Mein Freund war erstaunt gewesen und hatte sich, da ihm die Frage Das ist freilich ein schwerer Vorwurf, der der heutigen Industrie da ge¬ ![]() Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben ol-, Paul Rrais Lin offner Brief an das Publikum vonin 1 ürzlich but mir ein Chemiker erzählt, er sei bei einem Kongreß Mein Freund war erstaunt gewesen und hatte sich, da ihm die Frage Das ist freilich ein schwerer Vorwurf, der der heutigen Industrie da ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301787"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_301253/figures/grenzboten_341885_301253_301787_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben<lb/><note type="byline"> ol-, Paul Rrais </note> Lin offner Brief an das Publikum vonin</head><lb/> <div n="2"> <head> 1</head><lb/> <p xml:id="ID_1954"> ürzlich but mir ein Chemiker erzählt, er sei bei einem Kongreß<lb/> mit einigen Medizinern bekannt geworden, die gewissermaßen<lb/> über ihn hergefallen seien und gewaltig über die Tätigkeit der<lb/> Farbenchcmiker losgezogen hätten. Alles, was diese Neues ge¬<lb/> bracht hätten, sei unecht, verbleiche am Licht, gehe in der Wäsche<lb/> aus — kurz, statt einer Verbesserung sei durch die Tätigkeit der Erfinder<lb/> und Fabrikanten der Neuzeit eine solche Verschlechterung in der Echtheit<lb/> der Färbungen eingetreten, daß man mit Beschämung die gute alte Zeit<lb/> herbeiwünschen müsse, wo noch echte und zuverlässige Fürbungen gemacht<lb/> worden seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_1955"> Mein Freund war erstaunt gewesen und hatte sich, da ihm die Frage<lb/> fremd war, darauf beschränken müssen, sich selbst für unschuldig zu erklären,<lb/> weil er sich nicht mit Farbenchemie befasse. Als er mir dann von der Unter¬<lb/> redung erzählte, mußte ich zugeben, daß die Herren im Grunde ganz recht<lb/> hätten, daß sich aber ihr Vorwurf nicht an die richtige Adresse wende. Ich<lb/> sagte, er solle erst einmal einen Konservator eines kunstgewerblichen Museums<lb/> hören, der werde ihm sagen, daß es fast unmöglich sei, Muster und Werke<lb/> aus der modernen Textil- und Färbereiindustrie in Museen aufzubewahren,<lb/> denn alles gehe zugrunde, nicht nur im Sonnenlicht, sondern schon im zer¬<lb/> streuten Tageslicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_1956" next="#ID_1957"> Das ist freilich ein schwerer Vorwurf, der der heutigen Industrie da ge¬<lb/> macht wird, und es ist wohl der Mühe wert, einmal zu untersuchen, wer<lb/> eigentlich die Hauptschuld an dieser Minderwertigkeit der modernen Erzeugnisse<lb/> trägt. Lassen wir einmal Kleiderstoffe, Möbel- nud Vorhangstoffe, Leibwäsche,<lb/> Stickereien und Buntwebereien, Teppiche, Bucheinbände, Tischdecken — kurz<lb/> alles, was ganz oder teilweise aus gefärbtem Gespinst besteht, an unserm<lb/> innern Auge vorbeigehen, und fragen wir uns: Halten die Farben so lange,<lb/> wie sie sollten, wie wir uach dem Preis, den wir bezahlt haben, zu erwarten<lb/> berechtigt sind? Die Antwort ist in den meisten Fällen: Nein! Es gibt ja<lb/> gewiß Ausnahmen, so zum Beispiel die echten persischen Teppiche, die Militär-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0533]
[Abbildung]
Aufforderung zum Kampf gegen die unechten Farben
ol-, Paul Rrais Lin offner Brief an das Publikum vonin
1
ürzlich but mir ein Chemiker erzählt, er sei bei einem Kongreß
mit einigen Medizinern bekannt geworden, die gewissermaßen
über ihn hergefallen seien und gewaltig über die Tätigkeit der
Farbenchcmiker losgezogen hätten. Alles, was diese Neues ge¬
bracht hätten, sei unecht, verbleiche am Licht, gehe in der Wäsche
aus — kurz, statt einer Verbesserung sei durch die Tätigkeit der Erfinder
und Fabrikanten der Neuzeit eine solche Verschlechterung in der Echtheit
der Färbungen eingetreten, daß man mit Beschämung die gute alte Zeit
herbeiwünschen müsse, wo noch echte und zuverlässige Fürbungen gemacht
worden seien.
Mein Freund war erstaunt gewesen und hatte sich, da ihm die Frage
fremd war, darauf beschränken müssen, sich selbst für unschuldig zu erklären,
weil er sich nicht mit Farbenchemie befasse. Als er mir dann von der Unter¬
redung erzählte, mußte ich zugeben, daß die Herren im Grunde ganz recht
hätten, daß sich aber ihr Vorwurf nicht an die richtige Adresse wende. Ich
sagte, er solle erst einmal einen Konservator eines kunstgewerblichen Museums
hören, der werde ihm sagen, daß es fast unmöglich sei, Muster und Werke
aus der modernen Textil- und Färbereiindustrie in Museen aufzubewahren,
denn alles gehe zugrunde, nicht nur im Sonnenlicht, sondern schon im zer¬
streuten Tageslicht!
Das ist freilich ein schwerer Vorwurf, der der heutigen Industrie da ge¬
macht wird, und es ist wohl der Mühe wert, einmal zu untersuchen, wer
eigentlich die Hauptschuld an dieser Minderwertigkeit der modernen Erzeugnisse
trägt. Lassen wir einmal Kleiderstoffe, Möbel- nud Vorhangstoffe, Leibwäsche,
Stickereien und Buntwebereien, Teppiche, Bucheinbände, Tischdecken — kurz
alles, was ganz oder teilweise aus gefärbtem Gespinst besteht, an unserm
innern Auge vorbeigehen, und fragen wir uns: Halten die Farben so lange,
wie sie sollten, wie wir uach dem Preis, den wir bezahlt haben, zu erwarten
berechtigt sind? Die Antwort ist in den meisten Fällen: Nein! Es gibt ja
gewiß Ausnahmen, so zum Beispiel die echten persischen Teppiche, die Militär-
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