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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aathoiische Belletristik und Publizistik

Eggert, er habe bei einem Antiquar ganze Berge moderner Belletristik gefunden,
meist tadellose neue Exemplare, teils gar nicht, teils nur vorn und hinten auf¬
geschnitten. Es seien lauter den Redaktionen abgekaufte Rezensionsexemplare
gewesen. Man könne daraus auf die Gediegenheit der Rezensionen schließen.
Übrigens aber: "Wir brauchen absolut keine wertbestimmeude Kritik! Wenigstens
in den Tageszeitungen nicht. . . . Der Rezensent soll sich darauf beschränken,
dem Leser mitzuteilen, was der Autor sagt, was er will, welches seine Vor¬
aussetzungen, seine Probleme, seine Ziele sind."

Mit sehr warmer Anerkennung sprechen verschiedne Rezensenten von Wil¬
helm Jordan, Bogumil Goltz, Gottfried Keller. Detlev von Liliencron wird
herzlich zum sechzigsten Geburtstage gratuliere. Als Hauptverdienst Ibsens
wird hervorgehoben eine Neuschöpfung, die in der ganzen Geschichte der Lite¬
ratur nur ein Seitenstück habe. "Diese Neuschöpfung ist die moderne Problem¬
komödie, und dies Seitenstück ist die antike Problemkomödie des Aristophanes."
Auffallend sei bei Ibsen die Kälte vieler seiner Hauptpersonen. In einer Zeit¬
schriftenschau wird beistimmend berichtet, Dr. ?. Expeditus Schmidt habe in der
Allgemeinen Rundschau erklärt, uur auf nationaler Grundlage und in Ge¬
meinschaft mit der Gesamtentwicklung könnten sich die Katholiken wirksam in
der Literatur betätigen. Max Behr erzählt das Leben eines jung verstorbnen
"Modernen", Adcilbcrt von Hanstein. Namentlich in den Stücken, wo er einer
temperamentvollen Polemik gegen das orthodoxe Christentum freien Lauf läßt,
müsse die Kunst der Tendenz weichen. "Hanstein sah nicht klar und nicht frei
genug, um Person und Sache zu trennen. Gut ist an seinen Anklagen die
ehrliche Überzeugung und die reine Absicht, unfein und unwahr dagegen die
zornige Verallgemeinerung." Im Februarheft 1904 faßt L. von Roth das
Ergebnis einer Betrachtung über den Stand der neuern katholischen Litemtur^-
bewegung in Deutschland in die Sätze zusammen: "Der Anfang zum Bessern
ist gemacht. Die Entwicklung wird weiter gehn und vielleicht zu einem schönen
Ziele führen. Daß sie nicht zu schnell vor sich gehe, dafür sorgt eine kräftige
kunstfeindliche Reaktion. Aber auch die muß schließlich zum Nutzen ausschlagen:
durch sie vertieft und läutert sich die Bewegung. Freilich ist bis zur Stunde
nur ein geringer Bruchteil auch der gebildeten katholischen Kreise für künst¬
lerisches Genießen reif geworden, aber es ist doch schon besser geworden und
Lark Ientsch wird weiter besser werden."





'') Auch vou dieser Zeitschrift habe ich einige Hefte durchgeblättert: sie scheint ein wenig
ängstlicher in Beziehung auf den Glauben und die Sitten zu sein als die beiden andern hier
ausführlich besprochnen Zeitschriften. In ihr hat vo. Ludwig Kennner seine Polemik gegen
Georg Hirth und die Jugend veröffentlicht.
Aathoiische Belletristik und Publizistik

Eggert, er habe bei einem Antiquar ganze Berge moderner Belletristik gefunden,
meist tadellose neue Exemplare, teils gar nicht, teils nur vorn und hinten auf¬
geschnitten. Es seien lauter den Redaktionen abgekaufte Rezensionsexemplare
gewesen. Man könne daraus auf die Gediegenheit der Rezensionen schließen.
Übrigens aber: „Wir brauchen absolut keine wertbestimmeude Kritik! Wenigstens
in den Tageszeitungen nicht. . . . Der Rezensent soll sich darauf beschränken,
dem Leser mitzuteilen, was der Autor sagt, was er will, welches seine Vor¬
aussetzungen, seine Probleme, seine Ziele sind."

Mit sehr warmer Anerkennung sprechen verschiedne Rezensenten von Wil¬
helm Jordan, Bogumil Goltz, Gottfried Keller. Detlev von Liliencron wird
herzlich zum sechzigsten Geburtstage gratuliere. Als Hauptverdienst Ibsens
wird hervorgehoben eine Neuschöpfung, die in der ganzen Geschichte der Lite¬
ratur nur ein Seitenstück habe. „Diese Neuschöpfung ist die moderne Problem¬
komödie, und dies Seitenstück ist die antike Problemkomödie des Aristophanes."
Auffallend sei bei Ibsen die Kälte vieler seiner Hauptpersonen. In einer Zeit¬
schriftenschau wird beistimmend berichtet, Dr. ?. Expeditus Schmidt habe in der
Allgemeinen Rundschau erklärt, uur auf nationaler Grundlage und in Ge¬
meinschaft mit der Gesamtentwicklung könnten sich die Katholiken wirksam in
der Literatur betätigen. Max Behr erzählt das Leben eines jung verstorbnen
„Modernen", Adcilbcrt von Hanstein. Namentlich in den Stücken, wo er einer
temperamentvollen Polemik gegen das orthodoxe Christentum freien Lauf läßt,
müsse die Kunst der Tendenz weichen. „Hanstein sah nicht klar und nicht frei
genug, um Person und Sache zu trennen. Gut ist an seinen Anklagen die
ehrliche Überzeugung und die reine Absicht, unfein und unwahr dagegen die
zornige Verallgemeinerung." Im Februarheft 1904 faßt L. von Roth das
Ergebnis einer Betrachtung über den Stand der neuern katholischen Litemtur^-
bewegung in Deutschland in die Sätze zusammen: „Der Anfang zum Bessern
ist gemacht. Die Entwicklung wird weiter gehn und vielleicht zu einem schönen
Ziele führen. Daß sie nicht zu schnell vor sich gehe, dafür sorgt eine kräftige
kunstfeindliche Reaktion. Aber auch die muß schließlich zum Nutzen ausschlagen:
durch sie vertieft und läutert sich die Bewegung. Freilich ist bis zur Stunde
nur ein geringer Bruchteil auch der gebildeten katholischen Kreise für künst¬
lerisches Genießen reif geworden, aber es ist doch schon besser geworden und
Lark Ientsch wird weiter besser werden."





'') Auch vou dieser Zeitschrift habe ich einige Hefte durchgeblättert: sie scheint ein wenig
ängstlicher in Beziehung auf den Glauben und die Sitten zu sein als die beiden andern hier
ausführlich besprochnen Zeitschriften. In ihr hat vo. Ludwig Kennner seine Polemik gegen
Georg Hirth und die Jugend veröffentlicht.
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[0532] Aathoiische Belletristik und Publizistik Eggert, er habe bei einem Antiquar ganze Berge moderner Belletristik gefunden, meist tadellose neue Exemplare, teils gar nicht, teils nur vorn und hinten auf¬ geschnitten. Es seien lauter den Redaktionen abgekaufte Rezensionsexemplare gewesen. Man könne daraus auf die Gediegenheit der Rezensionen schließen. Übrigens aber: „Wir brauchen absolut keine wertbestimmeude Kritik! Wenigstens in den Tageszeitungen nicht. . . . Der Rezensent soll sich darauf beschränken, dem Leser mitzuteilen, was der Autor sagt, was er will, welches seine Vor¬ aussetzungen, seine Probleme, seine Ziele sind." Mit sehr warmer Anerkennung sprechen verschiedne Rezensenten von Wil¬ helm Jordan, Bogumil Goltz, Gottfried Keller. Detlev von Liliencron wird herzlich zum sechzigsten Geburtstage gratuliere. Als Hauptverdienst Ibsens wird hervorgehoben eine Neuschöpfung, die in der ganzen Geschichte der Lite¬ ratur nur ein Seitenstück habe. „Diese Neuschöpfung ist die moderne Problem¬ komödie, und dies Seitenstück ist die antike Problemkomödie des Aristophanes." Auffallend sei bei Ibsen die Kälte vieler seiner Hauptpersonen. In einer Zeit¬ schriftenschau wird beistimmend berichtet, Dr. ?. Expeditus Schmidt habe in der Allgemeinen Rundschau erklärt, uur auf nationaler Grundlage und in Ge¬ meinschaft mit der Gesamtentwicklung könnten sich die Katholiken wirksam in der Literatur betätigen. Max Behr erzählt das Leben eines jung verstorbnen „Modernen", Adcilbcrt von Hanstein. Namentlich in den Stücken, wo er einer temperamentvollen Polemik gegen das orthodoxe Christentum freien Lauf läßt, müsse die Kunst der Tendenz weichen. „Hanstein sah nicht klar und nicht frei genug, um Person und Sache zu trennen. Gut ist an seinen Anklagen die ehrliche Überzeugung und die reine Absicht, unfein und unwahr dagegen die zornige Verallgemeinerung." Im Februarheft 1904 faßt L. von Roth das Ergebnis einer Betrachtung über den Stand der neuern katholischen Litemtur^- bewegung in Deutschland in die Sätze zusammen: „Der Anfang zum Bessern ist gemacht. Die Entwicklung wird weiter gehn und vielleicht zu einem schönen Ziele führen. Daß sie nicht zu schnell vor sich gehe, dafür sorgt eine kräftige kunstfeindliche Reaktion. Aber auch die muß schließlich zum Nutzen ausschlagen: durch sie vertieft und läutert sich die Bewegung. Freilich ist bis zur Stunde nur ein geringer Bruchteil auch der gebildeten katholischen Kreise für künst¬ lerisches Genießen reif geworden, aber es ist doch schon besser geworden und Lark Ientsch wird weiter besser werden." '') Auch vou dieser Zeitschrift habe ich einige Hefte durchgeblättert: sie scheint ein wenig ängstlicher in Beziehung auf den Glauben und die Sitten zu sein als die beiden andern hier ausführlich besprochnen Zeitschriften. In ihr hat vo. Ludwig Kennner seine Polemik gegen Georg Hirth und die Jugend veröffentlicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/532>, abgerufen am 24.07.2024.