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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende

verwirtschaftet würden. Und damit wird Brasilien in immer ungünstigere
Finanzverhältnisse hineingeraten. Und zwar um so mehr, als auch der seit
1899 aufgesparte Garantiefonds für das umlaufende Papiergeld im Betrage
von fünf Millionen Pfund Sterling seiner Bestimmung entfremdet und teils
der Konversionskasse, teils zu Wechselkursvperationen dem Bundesschatzamtc
zugeführt worden ist. Die begonnene Vermehrung des Papiergeldes wird eine
Entwertung dieses einzigen vorhandnen Umlaufsmittels mit sich bringen, da
dieses schon sowieso zu zahlreich ist. Denn folgt ein Sturm auf die Kon¬
versionskasfe, deren geringe Goldbestünde (englische und andre Münzen) sich
schnell erschöpfen werden, und der geplante Versuch, den Geldwert durch Wechscl-
operationen auf 15 ä für den Milreis festzuhalten, wird die Reste des Garantie¬
fonds verschlingen.

Das alles ist den Machthabern in Brasilien von berufner Seite, unter
andern: auch vom Londoner Rothschild, als die wahrscheinliche Folge ihrer
abenteuerlichen Finanzpläne vorgerechnet worden. Wenn gegenwärtig der Kurs
auf 15^2 et steht, so ist dies auf den Wechselverkehr zurückzuführen, der durch
die beständigen Auslandanleihen erzeugt wird. Vorher stand der Kurs auf
12 6. Sobald die Anleihen erschöpft sind, und neue Geldströme (in Wechsel¬
form) nicht mehr ins Land gelenkt werden können, ist leicht möglich, daß eine
Krise ausbrechen wird, wie sie Brasilien noch nicht durchgemacht hat. Und
vielleicht kommt auch nur unter dem Drucke der höchsten Not eine vernünftige
Finanzwirtschaft in Aufnahme. War es doch auch mit Argentinien so. Dieses
Land nahm in den achtziger Jahren Anleihe über Anleihe auf, bis eines Tages
die Schulden die Leistungsfähigkeit überstiegen, und man wohl oder übel an
eine ernstliche Reorganisation der Finanzen gehn mußte. Das hat natürlich
nicht geschehen können, ohne daß nicht die auswärtigen Gläubiger manche herben
Verluste erlitten. Aber seither verfolgt Argentinien unter dem Zwange der
Umstände eine vernünftige Wirtschaftspolitik, und das Land arbeitet sich mit
Hilfe einer verhältnismäßigen Masseneinwanderung mehr und mehr zu einer
achtunggebietenden Blüte empor.

Der Unterschied im Vergleiche mit Brasilien ist nur der, daß dieses schon
vor dem Eintritt der Katastrophe seine sämtlichen Einnahmequellen verpfändet
hat (oder den Rest zu verpfänden im Begriff steht), während Argentinien beim
Hereinbrechen der Krise über dieses Hilfsmittel noch verfügte und folglich leichtere
Handhaben fand, sich aus seiner schlimmen Lage emporzuarbeiten. Affonso
Penna, der gegenwärtige Buudespräsident Brasiliens, genießt nicht gerade den
Ruf, ein guter Geldwirt zu sein. Ihm verdankt zum Beispiel der Staat Minas
Geraes, wo er bisher eine oft ausschlaggebende Rolle gespielt hat, seine heutige
ungünstige Finanzlage. Die Phantasie, eine im "wissenschaftlichen", das ist
geographischen Mittelpunkte dieses Staates liegende glänzende Hauptstadt, das
heutige Bello Horizonte, zu gründen, kostete weit über sechzig Millionen Milreis.
Es ist richtig, die Hauptstadt ist da, und zwar in einer paradiesischen Gegend,


Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende

verwirtschaftet würden. Und damit wird Brasilien in immer ungünstigere
Finanzverhältnisse hineingeraten. Und zwar um so mehr, als auch der seit
1899 aufgesparte Garantiefonds für das umlaufende Papiergeld im Betrage
von fünf Millionen Pfund Sterling seiner Bestimmung entfremdet und teils
der Konversionskasse, teils zu Wechselkursvperationen dem Bundesschatzamtc
zugeführt worden ist. Die begonnene Vermehrung des Papiergeldes wird eine
Entwertung dieses einzigen vorhandnen Umlaufsmittels mit sich bringen, da
dieses schon sowieso zu zahlreich ist. Denn folgt ein Sturm auf die Kon¬
versionskasfe, deren geringe Goldbestünde (englische und andre Münzen) sich
schnell erschöpfen werden, und der geplante Versuch, den Geldwert durch Wechscl-
operationen auf 15 ä für den Milreis festzuhalten, wird die Reste des Garantie¬
fonds verschlingen.

Das alles ist den Machthabern in Brasilien von berufner Seite, unter
andern: auch vom Londoner Rothschild, als die wahrscheinliche Folge ihrer
abenteuerlichen Finanzpläne vorgerechnet worden. Wenn gegenwärtig der Kurs
auf 15^2 et steht, so ist dies auf den Wechselverkehr zurückzuführen, der durch
die beständigen Auslandanleihen erzeugt wird. Vorher stand der Kurs auf
12 6. Sobald die Anleihen erschöpft sind, und neue Geldströme (in Wechsel¬
form) nicht mehr ins Land gelenkt werden können, ist leicht möglich, daß eine
Krise ausbrechen wird, wie sie Brasilien noch nicht durchgemacht hat. Und
vielleicht kommt auch nur unter dem Drucke der höchsten Not eine vernünftige
Finanzwirtschaft in Aufnahme. War es doch auch mit Argentinien so. Dieses
Land nahm in den achtziger Jahren Anleihe über Anleihe auf, bis eines Tages
die Schulden die Leistungsfähigkeit überstiegen, und man wohl oder übel an
eine ernstliche Reorganisation der Finanzen gehn mußte. Das hat natürlich
nicht geschehen können, ohne daß nicht die auswärtigen Gläubiger manche herben
Verluste erlitten. Aber seither verfolgt Argentinien unter dem Zwange der
Umstände eine vernünftige Wirtschaftspolitik, und das Land arbeitet sich mit
Hilfe einer verhältnismäßigen Masseneinwanderung mehr und mehr zu einer
achtunggebietenden Blüte empor.

Der Unterschied im Vergleiche mit Brasilien ist nur der, daß dieses schon
vor dem Eintritt der Katastrophe seine sämtlichen Einnahmequellen verpfändet
hat (oder den Rest zu verpfänden im Begriff steht), während Argentinien beim
Hereinbrechen der Krise über dieses Hilfsmittel noch verfügte und folglich leichtere
Handhaben fand, sich aus seiner schlimmen Lage emporzuarbeiten. Affonso
Penna, der gegenwärtige Buudespräsident Brasiliens, genießt nicht gerade den
Ruf, ein guter Geldwirt zu sein. Ihm verdankt zum Beispiel der Staat Minas
Geraes, wo er bisher eine oft ausschlaggebende Rolle gespielt hat, seine heutige
ungünstige Finanzlage. Die Phantasie, eine im „wissenschaftlichen", das ist
geographischen Mittelpunkte dieses Staates liegende glänzende Hauptstadt, das
heutige Bello Horizonte, zu gründen, kostete weit über sechzig Millionen Milreis.
Es ist richtig, die Hauptstadt ist da, und zwar in einer paradiesischen Gegend,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/510>, abgerufen am 24.07.2024.