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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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hatte wohl innerhalb der Reihen des Blocks ein langer Streit stattgefunden,
aber sobald die Einigkeit in der Partei erzielt worden war, arbeitete die Wahl¬
maschine wie ein aufgezognes Uhrwerk, dessen Gaug durch keinerlei hinderliche
Einflüsse beschränkt oder nur unsicher gemacht wurde. Der gewählte Bundes-
präsidcnt, der am 15. November die Regierung antrat, steht natürlich in voll¬
kommenster Abhängigkeit vom Block, der in Kaminer und Senat über Vorlagen
und Gesetze entscheidet und seine Beschlüsse immer mit großen Mehrheiten faßt.
Minoritäten sind nur insoweit vorhanden, als sie aus der Nichtbeachtung
der persönlichen Interessen irgendwelcher Politiker heraus ihre Entstehung
finden, zeitweilig bestehen, wieder verschwinden oder sich in andrer Zu¬
sammensetzung neu bilden. Diese Allmacht des Blocks fußt aber vielleicht auf
schwankendem Grunde. Die heutigen tonangebenden Politiker sind ganz andre
als in frühern Zeiten. Man vermißt seit dem Sturze des Kaiserreichs uuter
den Volksvertretern viele Namen einflußreicher Personen, die ganz in den
Hintergrund gedrängt worden sind und in vielleicht nicht ganz freiwilliger
Zurückgezogenheit verharren.

Man darf dabei nicht vergessen, daß eine Art feudalen Zuges durch die
sozialen Verhältnisse geht. Die Familien- und Verwaudteugruppeu halten zu¬
sammen, und die bedeutendern uuter ihnen verfügen über eine zahlreiche
Anhängerschaft, eine Art Vasallentum, das in deu ländlichen Besitz- und
sonstigen Abhüugigkeitsverhültnisseu seine Begründung findet. Die fast drei¬
jährige Revolution (1892 bis 1895) war recht eigentlich ein Kampf solcher
Vasallenheere gegen die republikanische Regierung, außer natürlich insoweit die
Kriegsflotte daran teilnahm, die aber nur zu Wasser Bedeutung hatte. Aber
man würde irrtümlich folgern, wenn man die damaligen Revolutionäre und
die uoch heute heimlich mißvergnügten Großen für entschiedne Anhänger einer
kaiserlichen Restauration hielte. Eine Anzahl war unzweifelhaft monarchisch, und
einige sind es vielleicht heute noch? aber das ganze Wesen dieses brasilianischen
Feudalsystems bringt es mit sich, daß die einzelnen Parteiführer viel zu
selbständig und selbstherrlich sind, als daß sie sich für die Kaiseridee aufopfern
könnten. Ihre erzwungne Zurückhaltung von der Politik empfinden sie viel¬
mehr als persönliche Kränkung. Obwohl siebzehn Jahre seit dem Sturz des
Kaisertums vergangen sind, bekämpfen dennoch die "historischen" Republikaner
noch immer energisch jeden Einfluß, den irgendwo die alten Großen des Landes
auf den Gang der öffentlichen Geschäfte zu gewinnen drohe". Es ist ein
förmliches Zurückdrüngungssystem im Streben nach Selbsterhaltung.

Und kämen die alten verdrängten Politiker, soweit sie noch leben
und nicht zu den Überläufern gehören, heute in den Nationalkongreß, so
würden die Tage des Blocks gezählt sein. Oder es erstünde zum mindesten
eine -- heilsame Opposition, die den Gang der öffentlichen Geschäfte kontrollieren
würde, eine Sache, die gegenwärtig zum Schaden des Landes fehlt. Man
kann nicht gerade sagen, daß es die herrschende Partei verstanden hätte, das


hatte wohl innerhalb der Reihen des Blocks ein langer Streit stattgefunden,
aber sobald die Einigkeit in der Partei erzielt worden war, arbeitete die Wahl¬
maschine wie ein aufgezognes Uhrwerk, dessen Gaug durch keinerlei hinderliche
Einflüsse beschränkt oder nur unsicher gemacht wurde. Der gewählte Bundes-
präsidcnt, der am 15. November die Regierung antrat, steht natürlich in voll¬
kommenster Abhängigkeit vom Block, der in Kaminer und Senat über Vorlagen
und Gesetze entscheidet und seine Beschlüsse immer mit großen Mehrheiten faßt.
Minoritäten sind nur insoweit vorhanden, als sie aus der Nichtbeachtung
der persönlichen Interessen irgendwelcher Politiker heraus ihre Entstehung
finden, zeitweilig bestehen, wieder verschwinden oder sich in andrer Zu¬
sammensetzung neu bilden. Diese Allmacht des Blocks fußt aber vielleicht auf
schwankendem Grunde. Die heutigen tonangebenden Politiker sind ganz andre
als in frühern Zeiten. Man vermißt seit dem Sturze des Kaiserreichs uuter
den Volksvertretern viele Namen einflußreicher Personen, die ganz in den
Hintergrund gedrängt worden sind und in vielleicht nicht ganz freiwilliger
Zurückgezogenheit verharren.

Man darf dabei nicht vergessen, daß eine Art feudalen Zuges durch die
sozialen Verhältnisse geht. Die Familien- und Verwaudteugruppeu halten zu¬
sammen, und die bedeutendern uuter ihnen verfügen über eine zahlreiche
Anhängerschaft, eine Art Vasallentum, das in deu ländlichen Besitz- und
sonstigen Abhüugigkeitsverhültnisseu seine Begründung findet. Die fast drei¬
jährige Revolution (1892 bis 1895) war recht eigentlich ein Kampf solcher
Vasallenheere gegen die republikanische Regierung, außer natürlich insoweit die
Kriegsflotte daran teilnahm, die aber nur zu Wasser Bedeutung hatte. Aber
man würde irrtümlich folgern, wenn man die damaligen Revolutionäre und
die uoch heute heimlich mißvergnügten Großen für entschiedne Anhänger einer
kaiserlichen Restauration hielte. Eine Anzahl war unzweifelhaft monarchisch, und
einige sind es vielleicht heute noch? aber das ganze Wesen dieses brasilianischen
Feudalsystems bringt es mit sich, daß die einzelnen Parteiführer viel zu
selbständig und selbstherrlich sind, als daß sie sich für die Kaiseridee aufopfern
könnten. Ihre erzwungne Zurückhaltung von der Politik empfinden sie viel¬
mehr als persönliche Kränkung. Obwohl siebzehn Jahre seit dem Sturz des
Kaisertums vergangen sind, bekämpfen dennoch die „historischen" Republikaner
noch immer energisch jeden Einfluß, den irgendwo die alten Großen des Landes
auf den Gang der öffentlichen Geschäfte zu gewinnen drohe». Es ist ein
förmliches Zurückdrüngungssystem im Streben nach Selbsterhaltung.

Und kämen die alten verdrängten Politiker, soweit sie noch leben
und nicht zu den Überläufern gehören, heute in den Nationalkongreß, so
würden die Tage des Blocks gezählt sein. Oder es erstünde zum mindesten
eine — heilsame Opposition, die den Gang der öffentlichen Geschäfte kontrollieren
würde, eine Sache, die gegenwärtig zum Schaden des Landes fehlt. Man
kann nicht gerade sagen, daß es die herrschende Partei verstanden hätte, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/507>, abgerufen am 24.07.2024.