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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Eine Ferienfahrt nach Brasilien

in Vielen Beziehungen äußerst bedauerlich. Denn jedem, der auch nur kurze
Zeit in Brasilien weilt, wird sich die Überzeugung aufdrängen, daß dem Lande,
soweit nicht innere Wirren störend dazwischentreten sollten, eine große Zukunft
bevorsteht. Durch Klima, Fruchtbarkeit und Bodenschätze aller Art ist es so be¬
vorzugt, daß eine günstige Entwicklung gar nicht ausbleiben kann, obwohl es
der führende Teil der Bevölkerung, der Brasilianer portugiesischer Abstammung,
sehr an sich herankommen läßt.

Schon auf dem Schiffe war mir gesagt worden, daß ich bald kennen lernen
würde, was Paciencia heißt. Und in der Tat, beim größten wie beim kleinsten
Geschäft, immer hört man: Je-rien um xcmeo as xaeisnyig. -- Gedulden Sie sich
ein wenig! Zu einzelnen großen Werken, wie sie in Rio und Santos ge¬
schaffen worden sind, vermag sich der Brasilianer, der Not gehorchend, wohl
aufzuraffen, aber im täglichen Leben fehlt es ihm nicht nur an Tatkraft,
sondern auch an Ausdauer, Stetigkeit, Sorgsamkeit und Ordnungssinn. Das
merkt man auf der Straße, in den Haushaltungen, in den Höfen und in den
Gärten, in den Geschäften und in den Werkstätten, auf den Schiffen, überall.
In verkehrsreichen Straßen, deren Pflaster im wesentlichen ganz leidlich ist,
findet man oft vereinzelte tiefe Löcher, ja wirkliche Gruben, deren Ausfüllung
nur wenig Mühe und Kosten verursachen würde, aber niemand denkt daran, es
zu tun, obgleich fort und fort für die Fuhrwerke die größten Schwierigkeiten
entsteh". Zwei von den modernen Geschützen in der Strandbatterie bei Santos
waren tief in den Erdboden eingesunken; so lagen sie vor den Augen der in
der Festung stationierten Offiziere am ersten Tage meiner Anwesenheit, so lagen
sie am letzten Tage, und so werden sie übers Jahr auch noch liegen, wenn
nicht etwa zufällig inzwischen eine Schießübung abgehalten werden sollte. Ähn¬
liche Beispiele könnte ich in großer Zahl anführen.

Namentlich die Frauen sind schlaff und träge, daher mag es auch kommen,
daß sie schon gegen Ende der zwanziger Jahre recht stark werden.

Auf der andern Seite ist der Brasilianer als Südländer ein leidenschaft¬
licher Mensch. Besonders bezeichnend für ihn ist seine Neigung für Spekulation
und Spiel. Gestern war jemand reich, heute ist er arm und verschuldet, und
morgen ist er wieder reich, ohne daß davon viel Aufhebens gemacht wird. Ein
förmliches Konkursverfahren scheint nicht zu existieren oder doch nur selten ein¬
geleitet zu werden. Wenigstens ist mir in der kurzen Zeit meines Aufenthalts
eine ganze Reihe von Fällen bekannt geworden, wo Bankerotteure von ihren
Gläubigern in keiner Weise behelligt, vielmehr ruhig in ihren schönen Besitz¬
tümern belassen wurden. Man bezahlt einfach nicht und macht unbekümmert
um die alten Verbindlichkeiten neue Geschäfte; nicht selten sind die Gläubiger
dabei noch behilflich, weil sich ihnen dadurch eine wenn auch nur schwache Aus¬
sicht auf künftige Schadloshaltung eröffnet.

Hasardspiele werden in den Hotels, Kuranstalten, Klubs und auch in
Privatzirkeln ganz offenkundig veranstaltet, und jede Art von Lotterie findet


Eine Ferienfahrt nach Brasilien

in Vielen Beziehungen äußerst bedauerlich. Denn jedem, der auch nur kurze
Zeit in Brasilien weilt, wird sich die Überzeugung aufdrängen, daß dem Lande,
soweit nicht innere Wirren störend dazwischentreten sollten, eine große Zukunft
bevorsteht. Durch Klima, Fruchtbarkeit und Bodenschätze aller Art ist es so be¬
vorzugt, daß eine günstige Entwicklung gar nicht ausbleiben kann, obwohl es
der führende Teil der Bevölkerung, der Brasilianer portugiesischer Abstammung,
sehr an sich herankommen läßt.

Schon auf dem Schiffe war mir gesagt worden, daß ich bald kennen lernen
würde, was Paciencia heißt. Und in der Tat, beim größten wie beim kleinsten
Geschäft, immer hört man: Je-rien um xcmeo as xaeisnyig. — Gedulden Sie sich
ein wenig! Zu einzelnen großen Werken, wie sie in Rio und Santos ge¬
schaffen worden sind, vermag sich der Brasilianer, der Not gehorchend, wohl
aufzuraffen, aber im täglichen Leben fehlt es ihm nicht nur an Tatkraft,
sondern auch an Ausdauer, Stetigkeit, Sorgsamkeit und Ordnungssinn. Das
merkt man auf der Straße, in den Haushaltungen, in den Höfen und in den
Gärten, in den Geschäften und in den Werkstätten, auf den Schiffen, überall.
In verkehrsreichen Straßen, deren Pflaster im wesentlichen ganz leidlich ist,
findet man oft vereinzelte tiefe Löcher, ja wirkliche Gruben, deren Ausfüllung
nur wenig Mühe und Kosten verursachen würde, aber niemand denkt daran, es
zu tun, obgleich fort und fort für die Fuhrwerke die größten Schwierigkeiten
entsteh«. Zwei von den modernen Geschützen in der Strandbatterie bei Santos
waren tief in den Erdboden eingesunken; so lagen sie vor den Augen der in
der Festung stationierten Offiziere am ersten Tage meiner Anwesenheit, so lagen
sie am letzten Tage, und so werden sie übers Jahr auch noch liegen, wenn
nicht etwa zufällig inzwischen eine Schießübung abgehalten werden sollte. Ähn¬
liche Beispiele könnte ich in großer Zahl anführen.

Namentlich die Frauen sind schlaff und träge, daher mag es auch kommen,
daß sie schon gegen Ende der zwanziger Jahre recht stark werden.

Auf der andern Seite ist der Brasilianer als Südländer ein leidenschaft¬
licher Mensch. Besonders bezeichnend für ihn ist seine Neigung für Spekulation
und Spiel. Gestern war jemand reich, heute ist er arm und verschuldet, und
morgen ist er wieder reich, ohne daß davon viel Aufhebens gemacht wird. Ein
förmliches Konkursverfahren scheint nicht zu existieren oder doch nur selten ein¬
geleitet zu werden. Wenigstens ist mir in der kurzen Zeit meines Aufenthalts
eine ganze Reihe von Fällen bekannt geworden, wo Bankerotteure von ihren
Gläubigern in keiner Weise behelligt, vielmehr ruhig in ihren schönen Besitz¬
tümern belassen wurden. Man bezahlt einfach nicht und macht unbekümmert
um die alten Verbindlichkeiten neue Geschäfte; nicht selten sind die Gläubiger
dabei noch behilflich, weil sich ihnen dadurch eine wenn auch nur schwache Aus¬
sicht auf künftige Schadloshaltung eröffnet.

Hasardspiele werden in den Hotels, Kuranstalten, Klubs und auch in
Privatzirkeln ganz offenkundig veranstaltet, und jede Art von Lotterie findet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/484>, abgerufen am 04.07.2024.