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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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der Ochsenberg, hervor. So oft der Blick nach der Erde frei wird, zeigt sich
unter uns die in vielen Kehren nach Süden zu verlaufende Straße von Schmiede¬
berg nach der Grenzstadt Liebau am Zusammenfluß von Schwarzwasser und
Bober. Ein langgestrecktes Dorf, durch das sie hindurchführt, wird uns von
Feldarbeitern als Schlesisch-Michelsdorf bezeichnet.

Es ist sechs Uhr, nur ein halber Sack Sand ist noch übrig, auch unser
Nvtballast ist verbraucht. Der niedrige, waldfreie Ziegenrücken vor uns dicht
vor der böhmischen Grenze bei Tschöpsdorf ladet zum Landen ein; was wir
in der Nacht uns wünschten, haben wir ja erreicht. Aber es ist gar zu herrlich,
in den erwachenden Morgen hineinzufahren, und er verspricht wundervoll zu
werden. Gestärkt durch ein Glas warmen Tee aus unsrer Thermosflasche, die
ihren Inhalt achtzehn Stunden hindurch beinahe in seiner ursprünglichen
Temperatur erhalten hat, beschließen wir auf gut Glück weiter zu fahren ins
Königreich Böhmen hinein, solange uns der Ballon noch trägt. Ein viel durch¬
schnittenes Hügelland liegt uns zu Füßen, auf allen Seiten von hohen be¬
waldeten Bergzügen umrahmt, die in herbstlich buntem Laubesschmuck prangen,
während die eisenhaltige dunkelrote Erde der frisch bestellten Felder zu dem
Farbenspiel ringsum den vollen Grundton angibt. Vor allem nach rückwärts
bietet sich uns der Anblick eines reich gegliederten Aufbaus: im Hintergrund,
hoch aufsteigend der breit gelagerte Hcrmsdorfer Forst, davor nach beiden Seiten
zu sich immer mehr abstufende Bergkuppen, die eine kleine Ebene in der Mitte
frei lassen. Noch hat sich die Sonne durch nächtliche Wolken am Horizont
hindurchzuringen, aber ab und zu lugt sie schon verstohlen hervor und breitet
ihren goldigen Schimmer über das reizvolle Bild.

Über Schatzlar zwischen dem Nehorn- und dem Nabengebirge, dann über
Trautenbach führt uns der Wind dem Tale der Aupa zu und damit ins Strom¬
gebiet der Elbe. Es ist ein blutgetränkter Boden, über dem wir schweben. Wo
sich die Aupa in scharfem Knie nach Nordosten wendet, liegt eine schmucke,
industriereiche Stadt, der mans nicht ansieht, wie Schweres sie durchgemacht hat,
schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, vor allem aber am 27. Juni 1866,
als das erste preußische Armeekorps unter Bonin, von Liebau über Goldenöls
vorrückend, Trauteuau besetzte und sich nach hartem Kampfe um die nächsten
Höhen vor dem österreichischen Armeekorps Gablenz zurückziehen mußte.

Die längst beobachtete Rechtsdrehung des Windes setzt sich fort, uns immer
mehr südwestlich wendend treiben wir über die Elbe bei Königinhof und er¬
reichen acht Uhr morgens in 1100 Meter Höhe die Stadt Horitz, die mit
Petersdorf ziemlich auf einem Meridian liegt, wir haben also während der
letzten fünf Stunden einen weiten, nach Westen geöffneten Bogen beschrieben.
Jetzt entdecken wir, daß wir außer dem uns verblichnen halben Sack Sand noch
einen großen Vorrat an Ballast mit uns führen, an den wir gar nicht gedacht
haben, die Feuchtigkeitsmenge, die unser Fahrzeug während der Nacht bei seinem
Fluge durch Wolken aufgesogen hat. Diese Feuchtigkeit zieht die Sonne jetzt


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der Ochsenberg, hervor. So oft der Blick nach der Erde frei wird, zeigt sich
unter uns die in vielen Kehren nach Süden zu verlaufende Straße von Schmiede¬
berg nach der Grenzstadt Liebau am Zusammenfluß von Schwarzwasser und
Bober. Ein langgestrecktes Dorf, durch das sie hindurchführt, wird uns von
Feldarbeitern als Schlesisch-Michelsdorf bezeichnet.

Es ist sechs Uhr, nur ein halber Sack Sand ist noch übrig, auch unser
Nvtballast ist verbraucht. Der niedrige, waldfreie Ziegenrücken vor uns dicht
vor der böhmischen Grenze bei Tschöpsdorf ladet zum Landen ein; was wir
in der Nacht uns wünschten, haben wir ja erreicht. Aber es ist gar zu herrlich,
in den erwachenden Morgen hineinzufahren, und er verspricht wundervoll zu
werden. Gestärkt durch ein Glas warmen Tee aus unsrer Thermosflasche, die
ihren Inhalt achtzehn Stunden hindurch beinahe in seiner ursprünglichen
Temperatur erhalten hat, beschließen wir auf gut Glück weiter zu fahren ins
Königreich Böhmen hinein, solange uns der Ballon noch trägt. Ein viel durch¬
schnittenes Hügelland liegt uns zu Füßen, auf allen Seiten von hohen be¬
waldeten Bergzügen umrahmt, die in herbstlich buntem Laubesschmuck prangen,
während die eisenhaltige dunkelrote Erde der frisch bestellten Felder zu dem
Farbenspiel ringsum den vollen Grundton angibt. Vor allem nach rückwärts
bietet sich uns der Anblick eines reich gegliederten Aufbaus: im Hintergrund,
hoch aufsteigend der breit gelagerte Hcrmsdorfer Forst, davor nach beiden Seiten
zu sich immer mehr abstufende Bergkuppen, die eine kleine Ebene in der Mitte
frei lassen. Noch hat sich die Sonne durch nächtliche Wolken am Horizont
hindurchzuringen, aber ab und zu lugt sie schon verstohlen hervor und breitet
ihren goldigen Schimmer über das reizvolle Bild.

Über Schatzlar zwischen dem Nehorn- und dem Nabengebirge, dann über
Trautenbach führt uns der Wind dem Tale der Aupa zu und damit ins Strom¬
gebiet der Elbe. Es ist ein blutgetränkter Boden, über dem wir schweben. Wo
sich die Aupa in scharfem Knie nach Nordosten wendet, liegt eine schmucke,
industriereiche Stadt, der mans nicht ansieht, wie Schweres sie durchgemacht hat,
schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, vor allem aber am 27. Juni 1866,
als das erste preußische Armeekorps unter Bonin, von Liebau über Goldenöls
vorrückend, Trauteuau besetzte und sich nach hartem Kampfe um die nächsten
Höhen vor dem österreichischen Armeekorps Gablenz zurückziehen mußte.

Die längst beobachtete Rechtsdrehung des Windes setzt sich fort, uns immer
mehr südwestlich wendend treiben wir über die Elbe bei Königinhof und er¬
reichen acht Uhr morgens in 1100 Meter Höhe die Stadt Horitz, die mit
Petersdorf ziemlich auf einem Meridian liegt, wir haben also während der
letzten fünf Stunden einen weiten, nach Westen geöffneten Bogen beschrieben.
Jetzt entdecken wir, daß wir außer dem uns verblichnen halben Sack Sand noch
einen großen Vorrat an Ballast mit uns führen, an den wir gar nicht gedacht
haben, die Feuchtigkeitsmenge, die unser Fahrzeug während der Nacht bei seinem
Fluge durch Wolken aufgesogen hat. Diese Feuchtigkeit zieht die Sonne jetzt


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[0047] Luftreisen der Ochsenberg, hervor. So oft der Blick nach der Erde frei wird, zeigt sich unter uns die in vielen Kehren nach Süden zu verlaufende Straße von Schmiede¬ berg nach der Grenzstadt Liebau am Zusammenfluß von Schwarzwasser und Bober. Ein langgestrecktes Dorf, durch das sie hindurchführt, wird uns von Feldarbeitern als Schlesisch-Michelsdorf bezeichnet. Es ist sechs Uhr, nur ein halber Sack Sand ist noch übrig, auch unser Nvtballast ist verbraucht. Der niedrige, waldfreie Ziegenrücken vor uns dicht vor der böhmischen Grenze bei Tschöpsdorf ladet zum Landen ein; was wir in der Nacht uns wünschten, haben wir ja erreicht. Aber es ist gar zu herrlich, in den erwachenden Morgen hineinzufahren, und er verspricht wundervoll zu werden. Gestärkt durch ein Glas warmen Tee aus unsrer Thermosflasche, die ihren Inhalt achtzehn Stunden hindurch beinahe in seiner ursprünglichen Temperatur erhalten hat, beschließen wir auf gut Glück weiter zu fahren ins Königreich Böhmen hinein, solange uns der Ballon noch trägt. Ein viel durch¬ schnittenes Hügelland liegt uns zu Füßen, auf allen Seiten von hohen be¬ waldeten Bergzügen umrahmt, die in herbstlich buntem Laubesschmuck prangen, während die eisenhaltige dunkelrote Erde der frisch bestellten Felder zu dem Farbenspiel ringsum den vollen Grundton angibt. Vor allem nach rückwärts bietet sich uns der Anblick eines reich gegliederten Aufbaus: im Hintergrund, hoch aufsteigend der breit gelagerte Hcrmsdorfer Forst, davor nach beiden Seiten zu sich immer mehr abstufende Bergkuppen, die eine kleine Ebene in der Mitte frei lassen. Noch hat sich die Sonne durch nächtliche Wolken am Horizont hindurchzuringen, aber ab und zu lugt sie schon verstohlen hervor und breitet ihren goldigen Schimmer über das reizvolle Bild. Über Schatzlar zwischen dem Nehorn- und dem Nabengebirge, dann über Trautenbach führt uns der Wind dem Tale der Aupa zu und damit ins Strom¬ gebiet der Elbe. Es ist ein blutgetränkter Boden, über dem wir schweben. Wo sich die Aupa in scharfem Knie nach Nordosten wendet, liegt eine schmucke, industriereiche Stadt, der mans nicht ansieht, wie Schweres sie durchgemacht hat, schon zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, vor allem aber am 27. Juni 1866, als das erste preußische Armeekorps unter Bonin, von Liebau über Goldenöls vorrückend, Trauteuau besetzte und sich nach hartem Kampfe um die nächsten Höhen vor dem österreichischen Armeekorps Gablenz zurückziehen mußte. Die längst beobachtete Rechtsdrehung des Windes setzt sich fort, uns immer mehr südwestlich wendend treiben wir über die Elbe bei Königinhof und er¬ reichen acht Uhr morgens in 1100 Meter Höhe die Stadt Horitz, die mit Petersdorf ziemlich auf einem Meridian liegt, wir haben also während der letzten fünf Stunden einen weiten, nach Westen geöffneten Bogen beschrieben. Jetzt entdecken wir, daß wir außer dem uns verblichnen halben Sack Sand noch einen großen Vorrat an Ballast mit uns führen, an den wir gar nicht gedacht haben, die Feuchtigkeitsmenge, die unser Fahrzeug während der Nacht bei seinem Fluge durch Wolken aufgesogen hat. Diese Feuchtigkeit zieht die Sonne jetzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/47>, abgerufen am 25.07.2024.