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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Unser Bismarck

die Vorsehung betrachtet? Dessen Energie den Rekruten sagte, sie müßten auf
seinen Befehl wohl auch gegen Vater und Bruder schießen? Nun, solche Worte
brauchen zwar als Ergebnisse einer Angenblickserregung nicht allzuschwer ge¬
nommen zu werden. Aber die allgemeine Meinung möchte doch vielleicht geneigt
sein, eher diesem Herrscher einen Staatsstreich zuzutrauen als dein alten Bismarck.
Was mag ihn bewogen haben, im Gegenteil den Staatsstreichsgelttsten des
Kanzlers die kaiserliche Macht entgegenzusetzen? Menschlichkeitsideen? Welt¬
beglückung, die sich vor Blut fürchtet? Das wäre kaum eine genügende Erklärung.
Denn vom Kaiser darf man wohl vermuten, daß, wenn er Bismarcks Weg als
den richtigen erkannt hätte, er auch die Konsequenzen nicht gescheut haben würde;
und wenn man die damalige verworrne Lage bedenkt, so war der Plan Bis¬
marcks vom Standpunkte des Machthabers gar nicht so übel, wie jener Delbrücksche
Freund bestätigt, der sogar eine "Rettung" des Vaterlandes in der Durchführung
dieses Gedankens gesehen hätte. Es muß also doch wohl eine andre Empfindung
gewarnt haben.

Allerdings. Ein Kaiser ist nicht Julier, sondern Cäsar. Um den richtigen
Grund dieser Lösung des Dramas zu erkennen, muß man einmal die Stellung
des Cäsars, des Imperators, zur beherrschten Masse in ihrer geschichtlichen
Entwicklung betrachten. Die uns bekannten Staatengründnngen haben sich regel¬
mäßig in der Weise vollzogen, daß sich eine wandernde Masse unter einem
Führer Sitze eroberte. Die sogenannten Ureinwohner, die dabei unterdrückt
werden, haben es wahrscheinlich einstmals ebenso gemacht; das ist zwar nicht
bekannt, liegt aber in der Natur der Sache und interessiert jedenfalls nicht mehr.
Sobald nun die neuen Eindringlinge seßhaft werden, erwächst zwischen Führer
und Masse eine Mittclmacht, die schon während der Eroberung in der unver¬
meidlichen Vermittlung der Befehlsführung ihren Ursprung fand, beiden ursprüng¬
lichen Personen, dem Herrscher wie der Masse, gleich unerwünscht, aber beiden
für den Bestand der Seßhaftigkeit gleich unentbehrlich: die Oligarchen des Besitzes
und der Intelligenz. Beide Teile brauchen sie: der Herrscher, weil er ohne sie
die Einzelheiten der Massenleitung nicht übersehen, die Masse, weil sie ohne die
wirtschaftliche Ordnung, die von diesen Oligarchen besorgt wird, nicht bestehen
kann. Beide Teile fürchten sie: der Herrscher, weil er von ihnen eine Gefährdung
seiner Macht, die Masse, weil sie von ihnen eine Ausbeutung gewärtigt. In
der Abstimmung dieser drei Größen, Herrscher, Oligarchen und Masse, liegt
der Gang der Staatengeschichte. Wird die Geschichte von Herrscher und Masse
gemacht, so bilden die Oligarchen die Zunge der Wage. In schweren Zeitläuften
werden sie wohl einmal an die Wand gepreßt. Aber sie kommen wieder, weil
sie eben sein müssen.

Die politisch ernsteste Schlacht, die Cäsar schlug, war die von Thapsus,
weil dort die alte römische Oligarchie im wesentlichen beseitigt wurde. Das war
allerdings die Absicht; es war die erste Schlacht dieses Bürgerkrieges, bei der
Cäsar keinen Pardon gab. Was für Staatsbestand da immer noch, trotz aller


Unser Bismarck

die Vorsehung betrachtet? Dessen Energie den Rekruten sagte, sie müßten auf
seinen Befehl wohl auch gegen Vater und Bruder schießen? Nun, solche Worte
brauchen zwar als Ergebnisse einer Angenblickserregung nicht allzuschwer ge¬
nommen zu werden. Aber die allgemeine Meinung möchte doch vielleicht geneigt
sein, eher diesem Herrscher einen Staatsstreich zuzutrauen als dein alten Bismarck.
Was mag ihn bewogen haben, im Gegenteil den Staatsstreichsgelttsten des
Kanzlers die kaiserliche Macht entgegenzusetzen? Menschlichkeitsideen? Welt¬
beglückung, die sich vor Blut fürchtet? Das wäre kaum eine genügende Erklärung.
Denn vom Kaiser darf man wohl vermuten, daß, wenn er Bismarcks Weg als
den richtigen erkannt hätte, er auch die Konsequenzen nicht gescheut haben würde;
und wenn man die damalige verworrne Lage bedenkt, so war der Plan Bis¬
marcks vom Standpunkte des Machthabers gar nicht so übel, wie jener Delbrücksche
Freund bestätigt, der sogar eine „Rettung" des Vaterlandes in der Durchführung
dieses Gedankens gesehen hätte. Es muß also doch wohl eine andre Empfindung
gewarnt haben.

Allerdings. Ein Kaiser ist nicht Julier, sondern Cäsar. Um den richtigen
Grund dieser Lösung des Dramas zu erkennen, muß man einmal die Stellung
des Cäsars, des Imperators, zur beherrschten Masse in ihrer geschichtlichen
Entwicklung betrachten. Die uns bekannten Staatengründnngen haben sich regel¬
mäßig in der Weise vollzogen, daß sich eine wandernde Masse unter einem
Führer Sitze eroberte. Die sogenannten Ureinwohner, die dabei unterdrückt
werden, haben es wahrscheinlich einstmals ebenso gemacht; das ist zwar nicht
bekannt, liegt aber in der Natur der Sache und interessiert jedenfalls nicht mehr.
Sobald nun die neuen Eindringlinge seßhaft werden, erwächst zwischen Führer
und Masse eine Mittclmacht, die schon während der Eroberung in der unver¬
meidlichen Vermittlung der Befehlsführung ihren Ursprung fand, beiden ursprüng¬
lichen Personen, dem Herrscher wie der Masse, gleich unerwünscht, aber beiden
für den Bestand der Seßhaftigkeit gleich unentbehrlich: die Oligarchen des Besitzes
und der Intelligenz. Beide Teile brauchen sie: der Herrscher, weil er ohne sie
die Einzelheiten der Massenleitung nicht übersehen, die Masse, weil sie ohne die
wirtschaftliche Ordnung, die von diesen Oligarchen besorgt wird, nicht bestehen
kann. Beide Teile fürchten sie: der Herrscher, weil er von ihnen eine Gefährdung
seiner Macht, die Masse, weil sie von ihnen eine Ausbeutung gewärtigt. In
der Abstimmung dieser drei Größen, Herrscher, Oligarchen und Masse, liegt
der Gang der Staatengeschichte. Wird die Geschichte von Herrscher und Masse
gemacht, so bilden die Oligarchen die Zunge der Wage. In schweren Zeitläuften
werden sie wohl einmal an die Wand gepreßt. Aber sie kommen wieder, weil
sie eben sein müssen.

Die politisch ernsteste Schlacht, die Cäsar schlug, war die von Thapsus,
weil dort die alte römische Oligarchie im wesentlichen beseitigt wurde. Das war
allerdings die Absicht; es war die erste Schlacht dieses Bürgerkrieges, bei der
Cäsar keinen Pardon gab. Was für Staatsbestand da immer noch, trotz aller


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[0456] Unser Bismarck die Vorsehung betrachtet? Dessen Energie den Rekruten sagte, sie müßten auf seinen Befehl wohl auch gegen Vater und Bruder schießen? Nun, solche Worte brauchen zwar als Ergebnisse einer Angenblickserregung nicht allzuschwer ge¬ nommen zu werden. Aber die allgemeine Meinung möchte doch vielleicht geneigt sein, eher diesem Herrscher einen Staatsstreich zuzutrauen als dein alten Bismarck. Was mag ihn bewogen haben, im Gegenteil den Staatsstreichsgelttsten des Kanzlers die kaiserliche Macht entgegenzusetzen? Menschlichkeitsideen? Welt¬ beglückung, die sich vor Blut fürchtet? Das wäre kaum eine genügende Erklärung. Denn vom Kaiser darf man wohl vermuten, daß, wenn er Bismarcks Weg als den richtigen erkannt hätte, er auch die Konsequenzen nicht gescheut haben würde; und wenn man die damalige verworrne Lage bedenkt, so war der Plan Bis¬ marcks vom Standpunkte des Machthabers gar nicht so übel, wie jener Delbrücksche Freund bestätigt, der sogar eine „Rettung" des Vaterlandes in der Durchführung dieses Gedankens gesehen hätte. Es muß also doch wohl eine andre Empfindung gewarnt haben. Allerdings. Ein Kaiser ist nicht Julier, sondern Cäsar. Um den richtigen Grund dieser Lösung des Dramas zu erkennen, muß man einmal die Stellung des Cäsars, des Imperators, zur beherrschten Masse in ihrer geschichtlichen Entwicklung betrachten. Die uns bekannten Staatengründnngen haben sich regel¬ mäßig in der Weise vollzogen, daß sich eine wandernde Masse unter einem Führer Sitze eroberte. Die sogenannten Ureinwohner, die dabei unterdrückt werden, haben es wahrscheinlich einstmals ebenso gemacht; das ist zwar nicht bekannt, liegt aber in der Natur der Sache und interessiert jedenfalls nicht mehr. Sobald nun die neuen Eindringlinge seßhaft werden, erwächst zwischen Führer und Masse eine Mittclmacht, die schon während der Eroberung in der unver¬ meidlichen Vermittlung der Befehlsführung ihren Ursprung fand, beiden ursprüng¬ lichen Personen, dem Herrscher wie der Masse, gleich unerwünscht, aber beiden für den Bestand der Seßhaftigkeit gleich unentbehrlich: die Oligarchen des Besitzes und der Intelligenz. Beide Teile brauchen sie: der Herrscher, weil er ohne sie die Einzelheiten der Massenleitung nicht übersehen, die Masse, weil sie ohne die wirtschaftliche Ordnung, die von diesen Oligarchen besorgt wird, nicht bestehen kann. Beide Teile fürchten sie: der Herrscher, weil er von ihnen eine Gefährdung seiner Macht, die Masse, weil sie von ihnen eine Ausbeutung gewärtigt. In der Abstimmung dieser drei Größen, Herrscher, Oligarchen und Masse, liegt der Gang der Staatengeschichte. Wird die Geschichte von Herrscher und Masse gemacht, so bilden die Oligarchen die Zunge der Wage. In schweren Zeitläuften werden sie wohl einmal an die Wand gepreßt. Aber sie kommen wieder, weil sie eben sein müssen. Die politisch ernsteste Schlacht, die Cäsar schlug, war die von Thapsus, weil dort die alte römische Oligarchie im wesentlichen beseitigt wurde. Das war allerdings die Absicht; es war die erste Schlacht dieses Bürgerkrieges, bei der Cäsar keinen Pardon gab. Was für Staatsbestand da immer noch, trotz aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/456>, abgerufen am 04.07.2024.