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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Unser Bismarck

hatte. Er fand aber schließlich nur einzelne Kräfte und sah sich auch ge¬
täuscht in der Sicherheit des Zusammenhanges dieser Kräfte. Deshalb die
Zerfahrenheit seines politischen Abschlusses. Mit Gewalt wollte er noch ein¬
mal die Kräfte sammeln, um seinem Ziele näher zu kommen. Daß diese Ge¬
walt auch die Kräfte selbst zerstören konnte, sah er nicht. Das war sein Ver¬
hängnis. Aber das bis dahin geschaffne Werk bleibt; das ist auch als Werk
eines Lebens genug. Und ebenso bleibt sein Geist, dessen das deutsche Volk
einen Hauch verspürt hat.

Die überragende Größe gegenüber den Grenzen der absehbaren Möglichkeit
gibt die Idee, deren die Nation zum Leben bedarf. Hat er nach unserm praktischen
Blicke zuletzt nicht mehr unsre Wohlfahrt erkannt, weil er schon zu hoch stand,
so soll doch das, was wir an ihm hatten, nie für uns vergehn. Die weiten
Ziele des Großen gehn uns zu weit. Sie sind uns fern, wie das Haupt des
Steinkolosses zu Hamburg. Aber die Sicherheit des erworbnen Bestandes und
das seltsame Ahnen der Zukunft, die aus jenem hohen Steine sprechen, die
bleiben im Herzen des Volkes. Gerade weil die Wege der Großen höher gehn
als das praktische Verständnis der einzelnen Gegenwart, die doch wiederum jenes
Höhergehn in der Idee nicht entbehren kann, darum werden die Großen, je
größer sie sind, um so eher sagenhafte, geahnte Gestalten. Der große Friedrich
war es beinahe schon zu Lebzeiten. Die Römer haben für dieses Vvlksempfinde"
ein sehr schönes Wort geprägt, das nachher zwar gedankenlos als Titulatur
verwandt wurde, zuerst aber bei dem Manne, dem es ursprünglich galt, jenen
Sinn hatte: Dipus ^u1in8. Wie tief die Persönlichkeit dieses Mannes in die
Seele des italischen Volkes eingeschrieben war, ersieht man mit Staunen aus
der fast anderthalb Jahrtausende später liegenden Vorstellung des Dante, der
in der untersten Stufe seines Inferno von den drei gräßlichen Mäulern des
Lucifer drei Männer zerkaut werden läßt: Judas Ischarioth, Brutus und Cassius.
Nächst dein Verrat an dem Gottmenschen erschien also auch damals noch der
Verrat an dem großen Julius als das schändlichste Verbrechen. So dankte diese
Nation dem erhabensten Vertreter ihrer Volksart, dem wirklichen Begründer der
Größe Roms, dem gewaltigen Ordner des gemeinen Wesens. So steht auch
Bismarck heute schon, erhaben über der Parteien Gunst und Haß, vor uns als der
Begründer und Ordner unsrer neuen Rcichsgemeinschaft, als ein großer Held
unsrer Volksart, der einstmals war.

Ja, ein Dipus Julius ist auch Bismarck für uns. Aber der Name jenes
Römers ging weiter. Der war nicht nur Julius, sondern Julius Cäsar. Eine
ganz eigentümliche Erscheinung, wie sich die Persönlichkeit dieses einen Mannes
schou damals bald in einen Dvppelbegriff auflöste! Für das römische Volk war
und blieb er der Sproß der Nation, der große Julier. Die Herrscher nannten
sich nach ihm Kaiser. Diese feine römische Unterscheidung führt auf einen sehr
wesentlichen Punkt in der Entwicklung unsers Dramas. Also Bismarck wollte
den Staatsstreich, und der Kaiser hat uns vor diesem Schrecknis bewahrt! Dieser
Kaiser, der sich wie kaum ein andrer Herrscher seit Ludwig dem Vierzehnte" als


Unser Bismarck

hatte. Er fand aber schließlich nur einzelne Kräfte und sah sich auch ge¬
täuscht in der Sicherheit des Zusammenhanges dieser Kräfte. Deshalb die
Zerfahrenheit seines politischen Abschlusses. Mit Gewalt wollte er noch ein¬
mal die Kräfte sammeln, um seinem Ziele näher zu kommen. Daß diese Ge¬
walt auch die Kräfte selbst zerstören konnte, sah er nicht. Das war sein Ver¬
hängnis. Aber das bis dahin geschaffne Werk bleibt; das ist auch als Werk
eines Lebens genug. Und ebenso bleibt sein Geist, dessen das deutsche Volk
einen Hauch verspürt hat.

Die überragende Größe gegenüber den Grenzen der absehbaren Möglichkeit
gibt die Idee, deren die Nation zum Leben bedarf. Hat er nach unserm praktischen
Blicke zuletzt nicht mehr unsre Wohlfahrt erkannt, weil er schon zu hoch stand,
so soll doch das, was wir an ihm hatten, nie für uns vergehn. Die weiten
Ziele des Großen gehn uns zu weit. Sie sind uns fern, wie das Haupt des
Steinkolosses zu Hamburg. Aber die Sicherheit des erworbnen Bestandes und
das seltsame Ahnen der Zukunft, die aus jenem hohen Steine sprechen, die
bleiben im Herzen des Volkes. Gerade weil die Wege der Großen höher gehn
als das praktische Verständnis der einzelnen Gegenwart, die doch wiederum jenes
Höhergehn in der Idee nicht entbehren kann, darum werden die Großen, je
größer sie sind, um so eher sagenhafte, geahnte Gestalten. Der große Friedrich
war es beinahe schon zu Lebzeiten. Die Römer haben für dieses Vvlksempfinde»
ein sehr schönes Wort geprägt, das nachher zwar gedankenlos als Titulatur
verwandt wurde, zuerst aber bei dem Manne, dem es ursprünglich galt, jenen
Sinn hatte: Dipus ^u1in8. Wie tief die Persönlichkeit dieses Mannes in die
Seele des italischen Volkes eingeschrieben war, ersieht man mit Staunen aus
der fast anderthalb Jahrtausende später liegenden Vorstellung des Dante, der
in der untersten Stufe seines Inferno von den drei gräßlichen Mäulern des
Lucifer drei Männer zerkaut werden läßt: Judas Ischarioth, Brutus und Cassius.
Nächst dein Verrat an dem Gottmenschen erschien also auch damals noch der
Verrat an dem großen Julius als das schändlichste Verbrechen. So dankte diese
Nation dem erhabensten Vertreter ihrer Volksart, dem wirklichen Begründer der
Größe Roms, dem gewaltigen Ordner des gemeinen Wesens. So steht auch
Bismarck heute schon, erhaben über der Parteien Gunst und Haß, vor uns als der
Begründer und Ordner unsrer neuen Rcichsgemeinschaft, als ein großer Held
unsrer Volksart, der einstmals war.

Ja, ein Dipus Julius ist auch Bismarck für uns. Aber der Name jenes
Römers ging weiter. Der war nicht nur Julius, sondern Julius Cäsar. Eine
ganz eigentümliche Erscheinung, wie sich die Persönlichkeit dieses einen Mannes
schou damals bald in einen Dvppelbegriff auflöste! Für das römische Volk war
und blieb er der Sproß der Nation, der große Julier. Die Herrscher nannten
sich nach ihm Kaiser. Diese feine römische Unterscheidung führt auf einen sehr
wesentlichen Punkt in der Entwicklung unsers Dramas. Also Bismarck wollte
den Staatsstreich, und der Kaiser hat uns vor diesem Schrecknis bewahrt! Dieser
Kaiser, der sich wie kaum ein andrer Herrscher seit Ludwig dem Vierzehnte» als


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[0455] Unser Bismarck hatte. Er fand aber schließlich nur einzelne Kräfte und sah sich auch ge¬ täuscht in der Sicherheit des Zusammenhanges dieser Kräfte. Deshalb die Zerfahrenheit seines politischen Abschlusses. Mit Gewalt wollte er noch ein¬ mal die Kräfte sammeln, um seinem Ziele näher zu kommen. Daß diese Ge¬ walt auch die Kräfte selbst zerstören konnte, sah er nicht. Das war sein Ver¬ hängnis. Aber das bis dahin geschaffne Werk bleibt; das ist auch als Werk eines Lebens genug. Und ebenso bleibt sein Geist, dessen das deutsche Volk einen Hauch verspürt hat. Die überragende Größe gegenüber den Grenzen der absehbaren Möglichkeit gibt die Idee, deren die Nation zum Leben bedarf. Hat er nach unserm praktischen Blicke zuletzt nicht mehr unsre Wohlfahrt erkannt, weil er schon zu hoch stand, so soll doch das, was wir an ihm hatten, nie für uns vergehn. Die weiten Ziele des Großen gehn uns zu weit. Sie sind uns fern, wie das Haupt des Steinkolosses zu Hamburg. Aber die Sicherheit des erworbnen Bestandes und das seltsame Ahnen der Zukunft, die aus jenem hohen Steine sprechen, die bleiben im Herzen des Volkes. Gerade weil die Wege der Großen höher gehn als das praktische Verständnis der einzelnen Gegenwart, die doch wiederum jenes Höhergehn in der Idee nicht entbehren kann, darum werden die Großen, je größer sie sind, um so eher sagenhafte, geahnte Gestalten. Der große Friedrich war es beinahe schon zu Lebzeiten. Die Römer haben für dieses Vvlksempfinde» ein sehr schönes Wort geprägt, das nachher zwar gedankenlos als Titulatur verwandt wurde, zuerst aber bei dem Manne, dem es ursprünglich galt, jenen Sinn hatte: Dipus ^u1in8. Wie tief die Persönlichkeit dieses Mannes in die Seele des italischen Volkes eingeschrieben war, ersieht man mit Staunen aus der fast anderthalb Jahrtausende später liegenden Vorstellung des Dante, der in der untersten Stufe seines Inferno von den drei gräßlichen Mäulern des Lucifer drei Männer zerkaut werden läßt: Judas Ischarioth, Brutus und Cassius. Nächst dein Verrat an dem Gottmenschen erschien also auch damals noch der Verrat an dem großen Julius als das schändlichste Verbrechen. So dankte diese Nation dem erhabensten Vertreter ihrer Volksart, dem wirklichen Begründer der Größe Roms, dem gewaltigen Ordner des gemeinen Wesens. So steht auch Bismarck heute schon, erhaben über der Parteien Gunst und Haß, vor uns als der Begründer und Ordner unsrer neuen Rcichsgemeinschaft, als ein großer Held unsrer Volksart, der einstmals war. Ja, ein Dipus Julius ist auch Bismarck für uns. Aber der Name jenes Römers ging weiter. Der war nicht nur Julius, sondern Julius Cäsar. Eine ganz eigentümliche Erscheinung, wie sich die Persönlichkeit dieses einen Mannes schou damals bald in einen Dvppelbegriff auflöste! Für das römische Volk war und blieb er der Sproß der Nation, der große Julier. Die Herrscher nannten sich nach ihm Kaiser. Diese feine römische Unterscheidung führt auf einen sehr wesentlichen Punkt in der Entwicklung unsers Dramas. Also Bismarck wollte den Staatsstreich, und der Kaiser hat uns vor diesem Schrecknis bewahrt! Dieser Kaiser, der sich wie kaum ein andrer Herrscher seit Ludwig dem Vierzehnte» als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/455>, abgerufen am 24.07.2024.