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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Unser Bismarck

uns das Vorgehen des Großen erscheinen mag, für ihn ist es nur ein mehr
oder weniger gleich giltig er Übergang von der einen Gestaltungsform zur andern,
ein Spiel mit den Bausteinen seines Werkes. Daß das Spiel nicht gewagt,
leichtfertig wird, das ist für ihn nur eine Frage der eignen Zuversicht; und
die ist natürlich unbedingt. Wer hat denn alles gemacht? Ixss thon. Es
hat wohl Debatten, Meinungsverschiedenheiten, Widerstände gegeben -- aber
schließlich waren sie alle, die Diplomaten, die Staatsmünner, die Fürsten, doch
für ihn und seinen Erfolg nnr die Marionetten gewesen, die am Drahte
tanzten. Deshalb die Wut, als alles nicht mehr so ging. Das war für ihn,
für seine Vorstellung eine Revolution: ocmtra'I MUorc! g-clopra sug. katwrü.")
Was kam es da auf ein bißchen Revolution mehr oder weniger an, wenn nur
seine Ordnung wiederhergestellt wurde! Vernichtung? Nein: die gab es nicht,
solange er existierte. Alle Wirrnis, alle Zerstörung, die er anrichtete, war
nur vergängliche Erscheinung. Blieb ja doch immer der ruhende Pol in der
Erscheinungen Flucht der Bestand des Ganzen! Denn der Bestand -- war
er selbst. Gewiß ist solche Vorstellung irrig. Das ist ja das Tragische, so
geht in einer Tragödie der Held zugrunde. Aber Nationen, die die Gefahr
solcher Irrungen nicht laufe" wollen, müssen sich auch den Luxus versagen, große
Männer zu haben.

Nun kommt allerdings die zweite Frage: haben wir es dann noch nötig,
diesen Bismarck als einen nationalen Helden zu verehren? Mag er schon
eine historische Größe bleiben -- verliert er dann nicht das eigentliche nationale
Interesse? Wird er dann nicht ein für uns wesenloses internationales Bild?
Alles hat schließlich seiue Grenzen, und jeder ist sich selbst der Nächste. Was
Bismarck wollte, war in der Tat für die Wohlfahrt der Nation eine Unge¬
heuerlichkeit. Ware der Staatsstreich auch vielleicht dem äußern Scheine nach
gelungen, er hätte Deutschland innerlich vollkommen zerrissen, wie er ja auch
nach der Lösungsformel der Novation des Fürstenvertrags zunächst das Deutsche
Reich, deu nach der Einleitung der Reichsverfassung "ewigen" Bund der Fürsten,
mis solchen doch wieder auflösen sollte. Man muß sich nur darüber klar
werden, daß alle die heutigen Kümmernisse des nationalen Lebens, die Partei-
verhetzuugeu, Rodomontaden, Verleumdungen usw., nnr Seifenblasen sind gegen¬
über einer solchen Tat. Deutschland wäre in völlige Verwirrung gestürzt und
international wieder auf unabsehbare Zeit aus der Reihe der ansprechenden
Mächte gestrichen worden; denn unsre Zustände wären -- darin wird man
Delbrück wohl beitreten dürfen -- den heutige,: russischen verzweifelt ähnlich
geworden. Und das alles durch diesen Bismarck, der uns gerade als der
nationale Manu x"? erschien! Soll er das auch jetzt uoch sein?

Die nächste, einfachste Antwort geben die Tatsachen: ans seinem Staats¬
streichplane ist nichts geworden, und -- sein Werk besteht noch. Das dürfen



Dante, Purg, XVII, 102.
Unser Bismarck

uns das Vorgehen des Großen erscheinen mag, für ihn ist es nur ein mehr
oder weniger gleich giltig er Übergang von der einen Gestaltungsform zur andern,
ein Spiel mit den Bausteinen seines Werkes. Daß das Spiel nicht gewagt,
leichtfertig wird, das ist für ihn nur eine Frage der eignen Zuversicht; und
die ist natürlich unbedingt. Wer hat denn alles gemacht? Ixss thon. Es
hat wohl Debatten, Meinungsverschiedenheiten, Widerstände gegeben — aber
schließlich waren sie alle, die Diplomaten, die Staatsmünner, die Fürsten, doch
für ihn und seinen Erfolg nnr die Marionetten gewesen, die am Drahte
tanzten. Deshalb die Wut, als alles nicht mehr so ging. Das war für ihn,
für seine Vorstellung eine Revolution: ocmtra'I MUorc! g-clopra sug. katwrü.")
Was kam es da auf ein bißchen Revolution mehr oder weniger an, wenn nur
seine Ordnung wiederhergestellt wurde! Vernichtung? Nein: die gab es nicht,
solange er existierte. Alle Wirrnis, alle Zerstörung, die er anrichtete, war
nur vergängliche Erscheinung. Blieb ja doch immer der ruhende Pol in der
Erscheinungen Flucht der Bestand des Ganzen! Denn der Bestand — war
er selbst. Gewiß ist solche Vorstellung irrig. Das ist ja das Tragische, so
geht in einer Tragödie der Held zugrunde. Aber Nationen, die die Gefahr
solcher Irrungen nicht laufe» wollen, müssen sich auch den Luxus versagen, große
Männer zu haben.

Nun kommt allerdings die zweite Frage: haben wir es dann noch nötig,
diesen Bismarck als einen nationalen Helden zu verehren? Mag er schon
eine historische Größe bleiben — verliert er dann nicht das eigentliche nationale
Interesse? Wird er dann nicht ein für uns wesenloses internationales Bild?
Alles hat schließlich seiue Grenzen, und jeder ist sich selbst der Nächste. Was
Bismarck wollte, war in der Tat für die Wohlfahrt der Nation eine Unge¬
heuerlichkeit. Ware der Staatsstreich auch vielleicht dem äußern Scheine nach
gelungen, er hätte Deutschland innerlich vollkommen zerrissen, wie er ja auch
nach der Lösungsformel der Novation des Fürstenvertrags zunächst das Deutsche
Reich, deu nach der Einleitung der Reichsverfassung „ewigen" Bund der Fürsten,
mis solchen doch wieder auflösen sollte. Man muß sich nur darüber klar
werden, daß alle die heutigen Kümmernisse des nationalen Lebens, die Partei-
verhetzuugeu, Rodomontaden, Verleumdungen usw., nnr Seifenblasen sind gegen¬
über einer solchen Tat. Deutschland wäre in völlige Verwirrung gestürzt und
international wieder auf unabsehbare Zeit aus der Reihe der ansprechenden
Mächte gestrichen worden; denn unsre Zustände wären — darin wird man
Delbrück wohl beitreten dürfen — den heutige,: russischen verzweifelt ähnlich
geworden. Und das alles durch diesen Bismarck, der uns gerade als der
nationale Manu x«? erschien! Soll er das auch jetzt uoch sein?

Die nächste, einfachste Antwort geben die Tatsachen: ans seinem Staats¬
streichplane ist nichts geworden, und — sein Werk besteht noch. Das dürfen



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[0453] Unser Bismarck uns das Vorgehen des Großen erscheinen mag, für ihn ist es nur ein mehr oder weniger gleich giltig er Übergang von der einen Gestaltungsform zur andern, ein Spiel mit den Bausteinen seines Werkes. Daß das Spiel nicht gewagt, leichtfertig wird, das ist für ihn nur eine Frage der eignen Zuversicht; und die ist natürlich unbedingt. Wer hat denn alles gemacht? Ixss thon. Es hat wohl Debatten, Meinungsverschiedenheiten, Widerstände gegeben — aber schließlich waren sie alle, die Diplomaten, die Staatsmünner, die Fürsten, doch für ihn und seinen Erfolg nnr die Marionetten gewesen, die am Drahte tanzten. Deshalb die Wut, als alles nicht mehr so ging. Das war für ihn, für seine Vorstellung eine Revolution: ocmtra'I MUorc! g-clopra sug. katwrü.") Was kam es da auf ein bißchen Revolution mehr oder weniger an, wenn nur seine Ordnung wiederhergestellt wurde! Vernichtung? Nein: die gab es nicht, solange er existierte. Alle Wirrnis, alle Zerstörung, die er anrichtete, war nur vergängliche Erscheinung. Blieb ja doch immer der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht der Bestand des Ganzen! Denn der Bestand — war er selbst. Gewiß ist solche Vorstellung irrig. Das ist ja das Tragische, so geht in einer Tragödie der Held zugrunde. Aber Nationen, die die Gefahr solcher Irrungen nicht laufe» wollen, müssen sich auch den Luxus versagen, große Männer zu haben. Nun kommt allerdings die zweite Frage: haben wir es dann noch nötig, diesen Bismarck als einen nationalen Helden zu verehren? Mag er schon eine historische Größe bleiben — verliert er dann nicht das eigentliche nationale Interesse? Wird er dann nicht ein für uns wesenloses internationales Bild? Alles hat schließlich seiue Grenzen, und jeder ist sich selbst der Nächste. Was Bismarck wollte, war in der Tat für die Wohlfahrt der Nation eine Unge¬ heuerlichkeit. Ware der Staatsstreich auch vielleicht dem äußern Scheine nach gelungen, er hätte Deutschland innerlich vollkommen zerrissen, wie er ja auch nach der Lösungsformel der Novation des Fürstenvertrags zunächst das Deutsche Reich, deu nach der Einleitung der Reichsverfassung „ewigen" Bund der Fürsten, mis solchen doch wieder auflösen sollte. Man muß sich nur darüber klar werden, daß alle die heutigen Kümmernisse des nationalen Lebens, die Partei- verhetzuugeu, Rodomontaden, Verleumdungen usw., nnr Seifenblasen sind gegen¬ über einer solchen Tat. Deutschland wäre in völlige Verwirrung gestürzt und international wieder auf unabsehbare Zeit aus der Reihe der ansprechenden Mächte gestrichen worden; denn unsre Zustände wären — darin wird man Delbrück wohl beitreten dürfen — den heutige,: russischen verzweifelt ähnlich geworden. Und das alles durch diesen Bismarck, der uns gerade als der nationale Manu x«? erschien! Soll er das auch jetzt uoch sein? Die nächste, einfachste Antwort geben die Tatsachen: ans seinem Staats¬ streichplane ist nichts geworden, und — sein Werk besteht noch. Das dürfen Dante, Purg, XVII, 102.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/453>, abgerufen am 25.07.2024.