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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Unser Bismarck
von R. von tiienitz

!u Hamburg ist vor kurzem ein Standbild errichtet morden. Es
gilt als ein Meistermerk, und ist es auch, freilich von ganz eigner
Art. Über einem massigen, eintönigen Unterbau erhebt sich -- eine
Statue? nein: ein hoher Steinblock, der darstellt -- einen Mann?
I nein: einen Mantel. In großen, kalten Linien machst der Mantel
empor. Zwei Adler, die sich unter ihm verstecken, erscheinen dem Auge, so
steinern und stilisiert sie auch sind, beinahe wie ein störend-lebendiges Beiwerk,
so starr ist das Bild. Der Mantel wächst weiter; ein steinerner Vorsprung
deutet zwei Hände an, die über einem Schwertgriffe gefallen sind. Der Mantel
wächst weiter und schließt sich. Und obendrauf erhebt sich eine im Verhältnis
kleine Steinkugel. Es ist ein Kopf. Wenn wir auch Schädelform und
Gesichtszüge von unten kaum erkennen können, wir ahnen, wie wissen: das
ist Bismarck. Die Höhe und die kalte Ruhe des Bildwerks entrückt ihn uns.
Aber wir fühlen in dieser toten Steinhülle den fernen Geist, den wir verehren.
Wie sich die Ägypter schon an den riesenhaften Schienbcinlängen ihrer Götzen¬
kolosse schwindlig sahen, und ohne die stereotypen Gesichtszüge unterscheiden zu
wollen, aus der gewaltigen Größe das Vertrauen schöpften, daß die große
Isis -- oder wer sonst es sein sollte -- alles zu ihrem Wirkungskreise ge¬
hörende gut besorgen werde, so gehn wir mit einem Gefühle tröstlicher Zuversicht
an dem Steinbilde unsers Großen vorüber. Mancher hofft vielleicht anch von
der Kunst des Architekten und des Bildhauers, sie möchten nur sicher genug
gearbeitet haben, daß der Ungeheure nicht etwa herabkonune und die Kleinen
zerdrücke. Der rechte deutsche Mann aber legt wohl leise die Hand an den
Stein des Bauwerks, und es fühlt sich so an, als ob der Stein unter der Be¬
rührung erwärme. Das ist unser Bismarck.

Ist er wirklich der Unsre? ist er der Volksheld, an den sich die Phantasie
des Jünglings anschloß, wie die Hoffnung des Mannes? Wir haben aus den


Grenzvoten l 1907 M


Unser Bismarck
von R. von tiienitz

!u Hamburg ist vor kurzem ein Standbild errichtet morden. Es
gilt als ein Meistermerk, und ist es auch, freilich von ganz eigner
Art. Über einem massigen, eintönigen Unterbau erhebt sich — eine
Statue? nein: ein hoher Steinblock, der darstellt — einen Mann?
I nein: einen Mantel. In großen, kalten Linien machst der Mantel
empor. Zwei Adler, die sich unter ihm verstecken, erscheinen dem Auge, so
steinern und stilisiert sie auch sind, beinahe wie ein störend-lebendiges Beiwerk,
so starr ist das Bild. Der Mantel wächst weiter; ein steinerner Vorsprung
deutet zwei Hände an, die über einem Schwertgriffe gefallen sind. Der Mantel
wächst weiter und schließt sich. Und obendrauf erhebt sich eine im Verhältnis
kleine Steinkugel. Es ist ein Kopf. Wenn wir auch Schädelform und
Gesichtszüge von unten kaum erkennen können, wir ahnen, wie wissen: das
ist Bismarck. Die Höhe und die kalte Ruhe des Bildwerks entrückt ihn uns.
Aber wir fühlen in dieser toten Steinhülle den fernen Geist, den wir verehren.
Wie sich die Ägypter schon an den riesenhaften Schienbcinlängen ihrer Götzen¬
kolosse schwindlig sahen, und ohne die stereotypen Gesichtszüge unterscheiden zu
wollen, aus der gewaltigen Größe das Vertrauen schöpften, daß die große
Isis — oder wer sonst es sein sollte — alles zu ihrem Wirkungskreise ge¬
hörende gut besorgen werde, so gehn wir mit einem Gefühle tröstlicher Zuversicht
an dem Steinbilde unsers Großen vorüber. Mancher hofft vielleicht anch von
der Kunst des Architekten und des Bildhauers, sie möchten nur sicher genug
gearbeitet haben, daß der Ungeheure nicht etwa herabkonune und die Kleinen
zerdrücke. Der rechte deutsche Mann aber legt wohl leise die Hand an den
Stein des Bauwerks, und es fühlt sich so an, als ob der Stein unter der Be¬
rührung erwärme. Das ist unser Bismarck.

Ist er wirklich der Unsre? ist er der Volksheld, an den sich die Phantasie
des Jünglings anschloß, wie die Hoffnung des Mannes? Wir haben aus den


Grenzvoten l 1907 M
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[0449] [Abbildung] Unser Bismarck von R. von tiienitz !u Hamburg ist vor kurzem ein Standbild errichtet morden. Es gilt als ein Meistermerk, und ist es auch, freilich von ganz eigner Art. Über einem massigen, eintönigen Unterbau erhebt sich — eine Statue? nein: ein hoher Steinblock, der darstellt — einen Mann? I nein: einen Mantel. In großen, kalten Linien machst der Mantel empor. Zwei Adler, die sich unter ihm verstecken, erscheinen dem Auge, so steinern und stilisiert sie auch sind, beinahe wie ein störend-lebendiges Beiwerk, so starr ist das Bild. Der Mantel wächst weiter; ein steinerner Vorsprung deutet zwei Hände an, die über einem Schwertgriffe gefallen sind. Der Mantel wächst weiter und schließt sich. Und obendrauf erhebt sich eine im Verhältnis kleine Steinkugel. Es ist ein Kopf. Wenn wir auch Schädelform und Gesichtszüge von unten kaum erkennen können, wir ahnen, wie wissen: das ist Bismarck. Die Höhe und die kalte Ruhe des Bildwerks entrückt ihn uns. Aber wir fühlen in dieser toten Steinhülle den fernen Geist, den wir verehren. Wie sich die Ägypter schon an den riesenhaften Schienbcinlängen ihrer Götzen¬ kolosse schwindlig sahen, und ohne die stereotypen Gesichtszüge unterscheiden zu wollen, aus der gewaltigen Größe das Vertrauen schöpften, daß die große Isis — oder wer sonst es sein sollte — alles zu ihrem Wirkungskreise ge¬ hörende gut besorgen werde, so gehn wir mit einem Gefühle tröstlicher Zuversicht an dem Steinbilde unsers Großen vorüber. Mancher hofft vielleicht anch von der Kunst des Architekten und des Bildhauers, sie möchten nur sicher genug gearbeitet haben, daß der Ungeheure nicht etwa herabkonune und die Kleinen zerdrücke. Der rechte deutsche Mann aber legt wohl leise die Hand an den Stein des Bauwerks, und es fühlt sich so an, als ob der Stein unter der Be¬ rührung erwärme. Das ist unser Bismarck. Ist er wirklich der Unsre? ist er der Volksheld, an den sich die Phantasie des Jünglings anschloß, wie die Hoffnung des Mannes? Wir haben aus den Grenzvoten l 1907 M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/449>, abgerufen am 04.07.2024.