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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Luftreisen

Wieder überfliegen wir die Spree, bei Trebatsch, und gleich daraus den
stattlichen Schwielochsee bei Zaue. Den durch zwei Fahrten uns so vertrauten
Spreewald im Westen, wo übrigens der kleine Belgier inzwischen niedergegangen
war, können wir nur ahnen, der Peltzer Forst, den wir bei Drachhausen ge¬
kreuzt haben, trennt uns von ihm. Dagegen durchqueren wir das auf dem
Fluge nach Nußland berührte Gebiet mit dem Seenbündel von Penz. Von
dem Reize, den ihm das Licht des Vollmonds damals verlieh, ist heute nichts
zu spüren, die Finsternis läßt uns kaum den Wasserspiegel bemerken. Wohl
aber sehen wir auch heute in der Ferne den breiten Lichtstreifen von Kottbus,
und diesmal kommen wir dicht daran vorbei. Seine Tausende von weißen,
gelben und rötlichen Lichtern, zu den mannigfaltigsten Figuren vereinigt, rufen
den Eindruck einer festlichen Illumination hervor, etwa wie leuchtende Sterne
und Arabesken über einem dunkeln Riesenbau.

Das ist ein geeigneter Punkt, ein Telegramm an den Vorsitzenden des
Sportausschusses zu entsenden, wozu uns Formulare samt festen Umschlägen
und winzigen Scmdsäckchen in großer Anzahl mit in den Korb gegeben worden
sind. Wir zählen unsern Vorrat an Ballast, um ihn zugleich zu melden: es sind
nur noch vier Säcke vorhanden, neun also haben wir schon verbraucht, und
dabei ists erst acht Uhr Abends, das sind trübe Aussichten. Eine Viertelstunde
vorher hatte der Ballon "Bezold", der neueste des Berliner Vereins, unter
Führung des Hauptmanns von Kehler, meines Führers und Lehrers auf
mehreren Fahrten, fast an derselben Stelle ein Telegramm ausgeworfen, zwölf
Stunden später landete er nach großem Umwege bei Neuersatz östlich von
Planen i. V. Beide Telegramme fanden am nächsten Morgen Arbeiter und
gaben sie nach Berlin auf.

Der Wind hat sich inzwischen weiter nach rechts gedreht. Wie die Eisen¬
bahnlinie und die Landstraße unter uns, die den Lauf der Spree im Osten und
im Westen begleiten, wenden auch wir uns scharf nach Süden und erreichen genau
eine Stunde später Spremberg. Die winklige alte Stadt auf der Sprceinsel
und die gleichmäßig angelegten neuern Stadtteile, die sich westlich daneben vom
Bahnhof nach Süden erstrecken, sind bei ihrer reichlichen Straßenbeleuchtung
gut zu unterscheiden. Behalten wir diese Richtung bei, so steht uns eine Fahrt
über die Oberlausitz, über die Sächsische und die Böhmische Schweiz bevor. Das
würde einem längst von mir gehegten, aber bisher noch nie erfüllten Wunsch
entsprechen, jedoch in dunkler Nacht und bei knappen Ballast ist diese Aussicht
weniger erfreulich, zumal wenn wir genötigt wären, in den an schroffen Felsen
so reichen Gebirgen noch in der Nacht zu landen.

Aber es kommt anders. Wir nehmen die alte Richtung nach Südosten
wieder auf und fahren, zum großen Teil am Schlepptau, über eins der aus¬
gedehntesten Waldgebiete Deutschlands, den Muskaucr Forst. Von seinem Wild¬
reichtum sehen wir zwar nichts, aber unser Ohr vernimmt das Röhren der
Hirsche, das Rascheln und Knacken der Zweige, das von den durch uns er¬
schreckten und ängstlich flüchtenden Tieren des Waldes herrührt. Um zehn Uhr


Luftreisen

Wieder überfliegen wir die Spree, bei Trebatsch, und gleich daraus den
stattlichen Schwielochsee bei Zaue. Den durch zwei Fahrten uns so vertrauten
Spreewald im Westen, wo übrigens der kleine Belgier inzwischen niedergegangen
war, können wir nur ahnen, der Peltzer Forst, den wir bei Drachhausen ge¬
kreuzt haben, trennt uns von ihm. Dagegen durchqueren wir das auf dem
Fluge nach Nußland berührte Gebiet mit dem Seenbündel von Penz. Von
dem Reize, den ihm das Licht des Vollmonds damals verlieh, ist heute nichts
zu spüren, die Finsternis läßt uns kaum den Wasserspiegel bemerken. Wohl
aber sehen wir auch heute in der Ferne den breiten Lichtstreifen von Kottbus,
und diesmal kommen wir dicht daran vorbei. Seine Tausende von weißen,
gelben und rötlichen Lichtern, zu den mannigfaltigsten Figuren vereinigt, rufen
den Eindruck einer festlichen Illumination hervor, etwa wie leuchtende Sterne
und Arabesken über einem dunkeln Riesenbau.

Das ist ein geeigneter Punkt, ein Telegramm an den Vorsitzenden des
Sportausschusses zu entsenden, wozu uns Formulare samt festen Umschlägen
und winzigen Scmdsäckchen in großer Anzahl mit in den Korb gegeben worden
sind. Wir zählen unsern Vorrat an Ballast, um ihn zugleich zu melden: es sind
nur noch vier Säcke vorhanden, neun also haben wir schon verbraucht, und
dabei ists erst acht Uhr Abends, das sind trübe Aussichten. Eine Viertelstunde
vorher hatte der Ballon „Bezold", der neueste des Berliner Vereins, unter
Führung des Hauptmanns von Kehler, meines Führers und Lehrers auf
mehreren Fahrten, fast an derselben Stelle ein Telegramm ausgeworfen, zwölf
Stunden später landete er nach großem Umwege bei Neuersatz östlich von
Planen i. V. Beide Telegramme fanden am nächsten Morgen Arbeiter und
gaben sie nach Berlin auf.

Der Wind hat sich inzwischen weiter nach rechts gedreht. Wie die Eisen¬
bahnlinie und die Landstraße unter uns, die den Lauf der Spree im Osten und
im Westen begleiten, wenden auch wir uns scharf nach Süden und erreichen genau
eine Stunde später Spremberg. Die winklige alte Stadt auf der Sprceinsel
und die gleichmäßig angelegten neuern Stadtteile, die sich westlich daneben vom
Bahnhof nach Süden erstrecken, sind bei ihrer reichlichen Straßenbeleuchtung
gut zu unterscheiden. Behalten wir diese Richtung bei, so steht uns eine Fahrt
über die Oberlausitz, über die Sächsische und die Böhmische Schweiz bevor. Das
würde einem längst von mir gehegten, aber bisher noch nie erfüllten Wunsch
entsprechen, jedoch in dunkler Nacht und bei knappen Ballast ist diese Aussicht
weniger erfreulich, zumal wenn wir genötigt wären, in den an schroffen Felsen
so reichen Gebirgen noch in der Nacht zu landen.

Aber es kommt anders. Wir nehmen die alte Richtung nach Südosten
wieder auf und fahren, zum großen Teil am Schlepptau, über eins der aus¬
gedehntesten Waldgebiete Deutschlands, den Muskaucr Forst. Von seinem Wild¬
reichtum sehen wir zwar nichts, aber unser Ohr vernimmt das Röhren der
Hirsche, das Rascheln und Knacken der Zweige, das von den durch uns er¬
schreckten und ängstlich flüchtenden Tieren des Waldes herrührt. Um zehn Uhr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/43>, abgerufen am 24.07.2024.