Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Die baukünstlerische Erziehung des Publikums Erscheinung, daß das Publikum unter Kunst noch immer die Malerei versteht. Die baukünstlerische Erziehung des Publikums müßte dort anfangen, wo Die baukünstlerische Erziehung des Publikums Erscheinung, daß das Publikum unter Kunst noch immer die Malerei versteht. Die baukünstlerische Erziehung des Publikums müßte dort anfangen, wo <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301664"/> <fw type="header" place="top"> Die baukünstlerische Erziehung des Publikums</fw><lb/> <p xml:id="ID_1540" prev="#ID_1539"> Erscheinung, daß das Publikum unter Kunst noch immer die Malerei versteht.<lb/> Wenn von einer Kunstausstellung die Rede ist, denkt man vor allem an eine<lb/> Bilderausstellung. Nur das moderne Kunstgewerbe hat der süßen Gewohnheit<lb/> einigermaßen einen Streich versetzt. In der Malerei gehört es auch bei dein<lb/> weniger interessierten Publikum zur Selbstverständlichkeit, daß die Kunst das<lb/> Außergewöhnliche tun müsse. Das Außergewöhnliche gehört zum Fortschritt.<lb/> Dabei darf man nicht vergessen, daß die Malerei ein Feld ist, das dem Leben<lb/> der Nation entschieden viel ferner liegt als die Baukunst, von deren Werken<lb/> unser Leben täglich empfindlich berührt wird. Die ungewöhnlichsten Leistungen<lb/> auf dem Gebiete der Malerei haben es nicht vermocht, die entsetzliche Ver¬<lb/> wüstung der Städte und ihrer Bororte durch schlechte Bauweise zu verhindern.<lb/> Hier ist von den Behörden unendlich viel gesündigt worden. Täglich wird in<lb/> allen Städten und Provinzen in großem Umfange gebaut; an Tausenden von<lb/> Baustellen gehen täglich Ströme von Menschen vorüber, die blind sind für<lb/> solches Geschehen. Tausende von Menschen treten täglich als Bauherren auf,<lb/> ohne über die Bedeutung des Bauwerkes für das Leben und die Zukunft der<lb/> Nation im klaren zu sein. Und trotz dieser migeheueru Tätigkeit, von der es<lb/> abhängt, ob das Antlitz der Erde ein edles oder unedles ist, ob das Wohnen<lb/> ein glückliches oder unglückliches Dasein verspricht, war niemals oder doch nur<lb/> in ganz seltnen Fällen vorübergehend die Rede von einer so hochwichtigen<lb/> Sache. Weder in Ausstellungen noch in öffentlichen, allgemein zugänglichen<lb/> Vortrügen oder in Schulen steht dies wichtige Thema von der baukünstlerischen<lb/> Erziehung des Publikums an der Tagesordnung. Die Bautätigkeit rückt nus<lb/> allen an den Leib; die große Mehrzahl der Menschen lebt in schlecht gebauten,<lb/> hygienisch, praktisch und künstlerisch gleich ungenügenden Häusern; das Auge<lb/> wird durch die schwärenhaften Auswüchse um unsre Städte herum auf das<lb/> empfindlichste beleidigt, und doch ist die Menschheit an diesen Erscheinungen,<lb/> die einen großen Teil ihrer Leiden verursachen, blind vorüber gegangen Das<lb/> Organ, Baukunst zu begreifen, scheint vollkommen verkümmert. Das Interesse<lb/> ist erschöpft, wenn die Frage nach dem Pseudostil beantwortet ist. Selbst jenen<lb/> Städten und Gemeinden gegenüber, die durch eine alte und schöne Baukunst<lb/> ausgezeichnet sind, versagt das Kunstempfinden vollends. Am allerwenigsten<lb/> hat diese alte und schöne Baukunst Verständnis oder Schonung durch die<lb/> unpersönlichen Kommissionen, von denen die offizielle Architektur vertreten wird,<lb/> zu erwarten. Bestenfalls sind es die alten Prunkbauten, die sich einigen<lb/> Respekt erhalten. Die allgemeine Vorstellung von Architektur ist noch un¬<lb/> empfänglich für die Tatsache, daß für die Schönheit eines Ortes nicht der<lb/> Prnnkbau maßgebend ist, sondern die mit Sorgfalt und Liebe behandelte Aus¬<lb/> führung auch der kleinsten Häuser.</p><lb/> <p xml:id="ID_1541" next="#ID_1542"> Die baukünstlerische Erziehung des Publikums müßte dort anfangen, wo<lb/> der landläufige Begriff Architektur aufhört. Viel häufiger als Bilderausstelluuge»<lb/> müßten Architekturausstellungen im großen und kleinen folgen, verbunden mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0410]
Die baukünstlerische Erziehung des Publikums
Erscheinung, daß das Publikum unter Kunst noch immer die Malerei versteht.
Wenn von einer Kunstausstellung die Rede ist, denkt man vor allem an eine
Bilderausstellung. Nur das moderne Kunstgewerbe hat der süßen Gewohnheit
einigermaßen einen Streich versetzt. In der Malerei gehört es auch bei dein
weniger interessierten Publikum zur Selbstverständlichkeit, daß die Kunst das
Außergewöhnliche tun müsse. Das Außergewöhnliche gehört zum Fortschritt.
Dabei darf man nicht vergessen, daß die Malerei ein Feld ist, das dem Leben
der Nation entschieden viel ferner liegt als die Baukunst, von deren Werken
unser Leben täglich empfindlich berührt wird. Die ungewöhnlichsten Leistungen
auf dem Gebiete der Malerei haben es nicht vermocht, die entsetzliche Ver¬
wüstung der Städte und ihrer Bororte durch schlechte Bauweise zu verhindern.
Hier ist von den Behörden unendlich viel gesündigt worden. Täglich wird in
allen Städten und Provinzen in großem Umfange gebaut; an Tausenden von
Baustellen gehen täglich Ströme von Menschen vorüber, die blind sind für
solches Geschehen. Tausende von Menschen treten täglich als Bauherren auf,
ohne über die Bedeutung des Bauwerkes für das Leben und die Zukunft der
Nation im klaren zu sein. Und trotz dieser migeheueru Tätigkeit, von der es
abhängt, ob das Antlitz der Erde ein edles oder unedles ist, ob das Wohnen
ein glückliches oder unglückliches Dasein verspricht, war niemals oder doch nur
in ganz seltnen Fällen vorübergehend die Rede von einer so hochwichtigen
Sache. Weder in Ausstellungen noch in öffentlichen, allgemein zugänglichen
Vortrügen oder in Schulen steht dies wichtige Thema von der baukünstlerischen
Erziehung des Publikums an der Tagesordnung. Die Bautätigkeit rückt nus
allen an den Leib; die große Mehrzahl der Menschen lebt in schlecht gebauten,
hygienisch, praktisch und künstlerisch gleich ungenügenden Häusern; das Auge
wird durch die schwärenhaften Auswüchse um unsre Städte herum auf das
empfindlichste beleidigt, und doch ist die Menschheit an diesen Erscheinungen,
die einen großen Teil ihrer Leiden verursachen, blind vorüber gegangen Das
Organ, Baukunst zu begreifen, scheint vollkommen verkümmert. Das Interesse
ist erschöpft, wenn die Frage nach dem Pseudostil beantwortet ist. Selbst jenen
Städten und Gemeinden gegenüber, die durch eine alte und schöne Baukunst
ausgezeichnet sind, versagt das Kunstempfinden vollends. Am allerwenigsten
hat diese alte und schöne Baukunst Verständnis oder Schonung durch die
unpersönlichen Kommissionen, von denen die offizielle Architektur vertreten wird,
zu erwarten. Bestenfalls sind es die alten Prunkbauten, die sich einigen
Respekt erhalten. Die allgemeine Vorstellung von Architektur ist noch un¬
empfänglich für die Tatsache, daß für die Schönheit eines Ortes nicht der
Prnnkbau maßgebend ist, sondern die mit Sorgfalt und Liebe behandelte Aus¬
führung auch der kleinsten Häuser.
Die baukünstlerische Erziehung des Publikums müßte dort anfangen, wo
der landläufige Begriff Architektur aufhört. Viel häufiger als Bilderausstelluuge»
müßten Architekturausstellungen im großen und kleinen folgen, verbunden mit
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |