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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

Müller ist, eine so gastfreundliche Aufnahme, daß wir ihm und seiner Familie
zum wärmsten Danke verpflichtet sind.

Der Ort Carioba, der nur aus der Müllerschen Baumwollenfabrik -- Spin¬
nerei, Weberei und Färberei -- und den dazu gehörenden Herrschafts-, Beamten-
und Arbeiterhäusern besteht, hat infolge seiner Seehöhe von ungefähr sieben¬
hundert Metern ein gesundes Klima. Die Luft kühlte sich damals im Winter
in den Nächten bis zu 5 Grad Celsius ab; die Möglichkeit einer ausgiebigen
Erfrischung war mithin gegeben. Das freundliche Wohngebäude liegt inmitten
eines Ziergartens auf einer Anhöhe; da die Wohnräume durch eine breite Veranda
der unmittelbaren Einwirkung der Sonne entzogen sind, so gelang es, in ihnen
auch während der heißesten Tagesstunden eine angenehme Temperatur zu er¬
halten. Die anmutig wellige Landschaft erinnert an einzelne Teile von Thüringen
oder von Hessen, zumal da am Horizont bewaldete Höhenrücken sichtbar sind. Vom
Hause aus sieht man nach vorn in das Tal eines größern Flusses, des Pira-
cicaba, der sich in den Tiete, einen Nebenfluß des Parana, ergießt; auf der
entgegengesetzten Seite wird der Hausgarten von dem muntern Gebirgsbach Qui-
lombo, der nach kurzem Laufe in den Piracicaba mündet, begrenzt. Die Wasser¬
kraft des Quilombo ist für die Turbinen der Fabrik und eines zur Erzeugung
von elektrischem Licht bestimmten Werkes nutzbar gemacht; nur in der Färberei
ist Dampfbetrieb eingeführt worden. Etwas abseits liegt ein geräumiger, vom
Quilombo aus bewässerter Wirtschaftsgarten, der neben Ananas und andern
Südfrüchten auch Erdbeeren vom schönsten Aroma und neben Reis, Maniok,
Bataten usw. fast sämtliche in Deutschland heimischen Gemüse liefert. Die letzten
entarten freilich in dem heißen Klima nach kurzer Zeit, sodaß alljährlich neue
Pflanzen aus europäischem Samen gezogen werden müssen.

Der Geflügelhof war dicht bevölkert, unter anderm mit Perus (Trut¬
hühnern), die in ganz Brasilien den Feiertagsbraten abgeben. Reittiere wurden
in solcher Zahl gehalten, daß außer der ganzen Familie auch noch Gäste be¬
ritten gemacht werden konnten; doch waren für die Pferde und die Maultiere
und ebenso für das Klauenvieh, obgleich es auf der Hochebene in den Nächten
zuweilen empfindlich kalt wird, keine eigentlichen Ställe, sondern nur die landes¬
üblichen offnen Schuppen vorhanden.

Das zu dem Etablissement gehörende Land von 1600 Morgen wird von
einem Unternehmer bewirtschaftet, der die Verpflichtung hat, Baumwolle zu
bauen und an die Fabrik zu liefern. Da jedoch die von dem eignen Boden
gewonnene Menge zur vollen Beschäftigung der Fabrik nicht ausreicht, so wird
das Nötige von den Kolonisten in der Umgegend hinzugekauft. Bei den Be¬
suchen in der Fabrik konnten wir beobachten, wie das vor unsern Augen vom
Felde gebrachte Rohmaterial allen Prozeduren der Reinigung und Bearbeitung
unterzogen wurde und schließlich als farbig gemusterter und appretierter Stoff
in Ballen vor uns lag. Im Staate Sav Paulo ist es, wie ich hörte, die ein¬
zige sich in deutschen Händen befindende Fabrik dieser Art. Damals waren


Line Ferienfahrt nach Brasilien

Müller ist, eine so gastfreundliche Aufnahme, daß wir ihm und seiner Familie
zum wärmsten Danke verpflichtet sind.

Der Ort Carioba, der nur aus der Müllerschen Baumwollenfabrik — Spin¬
nerei, Weberei und Färberei — und den dazu gehörenden Herrschafts-, Beamten-
und Arbeiterhäusern besteht, hat infolge seiner Seehöhe von ungefähr sieben¬
hundert Metern ein gesundes Klima. Die Luft kühlte sich damals im Winter
in den Nächten bis zu 5 Grad Celsius ab; die Möglichkeit einer ausgiebigen
Erfrischung war mithin gegeben. Das freundliche Wohngebäude liegt inmitten
eines Ziergartens auf einer Anhöhe; da die Wohnräume durch eine breite Veranda
der unmittelbaren Einwirkung der Sonne entzogen sind, so gelang es, in ihnen
auch während der heißesten Tagesstunden eine angenehme Temperatur zu er¬
halten. Die anmutig wellige Landschaft erinnert an einzelne Teile von Thüringen
oder von Hessen, zumal da am Horizont bewaldete Höhenrücken sichtbar sind. Vom
Hause aus sieht man nach vorn in das Tal eines größern Flusses, des Pira-
cicaba, der sich in den Tiete, einen Nebenfluß des Parana, ergießt; auf der
entgegengesetzten Seite wird der Hausgarten von dem muntern Gebirgsbach Qui-
lombo, der nach kurzem Laufe in den Piracicaba mündet, begrenzt. Die Wasser¬
kraft des Quilombo ist für die Turbinen der Fabrik und eines zur Erzeugung
von elektrischem Licht bestimmten Werkes nutzbar gemacht; nur in der Färberei
ist Dampfbetrieb eingeführt worden. Etwas abseits liegt ein geräumiger, vom
Quilombo aus bewässerter Wirtschaftsgarten, der neben Ananas und andern
Südfrüchten auch Erdbeeren vom schönsten Aroma und neben Reis, Maniok,
Bataten usw. fast sämtliche in Deutschland heimischen Gemüse liefert. Die letzten
entarten freilich in dem heißen Klima nach kurzer Zeit, sodaß alljährlich neue
Pflanzen aus europäischem Samen gezogen werden müssen.

Der Geflügelhof war dicht bevölkert, unter anderm mit Perus (Trut¬
hühnern), die in ganz Brasilien den Feiertagsbraten abgeben. Reittiere wurden
in solcher Zahl gehalten, daß außer der ganzen Familie auch noch Gäste be¬
ritten gemacht werden konnten; doch waren für die Pferde und die Maultiere
und ebenso für das Klauenvieh, obgleich es auf der Hochebene in den Nächten
zuweilen empfindlich kalt wird, keine eigentlichen Ställe, sondern nur die landes¬
üblichen offnen Schuppen vorhanden.

Das zu dem Etablissement gehörende Land von 1600 Morgen wird von
einem Unternehmer bewirtschaftet, der die Verpflichtung hat, Baumwolle zu
bauen und an die Fabrik zu liefern. Da jedoch die von dem eignen Boden
gewonnene Menge zur vollen Beschäftigung der Fabrik nicht ausreicht, so wird
das Nötige von den Kolonisten in der Umgegend hinzugekauft. Bei den Be¬
suchen in der Fabrik konnten wir beobachten, wie das vor unsern Augen vom
Felde gebrachte Rohmaterial allen Prozeduren der Reinigung und Bearbeitung
unterzogen wurde und schließlich als farbig gemusterter und appretierter Stoff
in Ballen vor uns lag. Im Staate Sav Paulo ist es, wie ich hörte, die ein¬
zige sich in deutschen Händen befindende Fabrik dieser Art. Damals waren


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[0372] Line Ferienfahrt nach Brasilien Müller ist, eine so gastfreundliche Aufnahme, daß wir ihm und seiner Familie zum wärmsten Danke verpflichtet sind. Der Ort Carioba, der nur aus der Müllerschen Baumwollenfabrik — Spin¬ nerei, Weberei und Färberei — und den dazu gehörenden Herrschafts-, Beamten- und Arbeiterhäusern besteht, hat infolge seiner Seehöhe von ungefähr sieben¬ hundert Metern ein gesundes Klima. Die Luft kühlte sich damals im Winter in den Nächten bis zu 5 Grad Celsius ab; die Möglichkeit einer ausgiebigen Erfrischung war mithin gegeben. Das freundliche Wohngebäude liegt inmitten eines Ziergartens auf einer Anhöhe; da die Wohnräume durch eine breite Veranda der unmittelbaren Einwirkung der Sonne entzogen sind, so gelang es, in ihnen auch während der heißesten Tagesstunden eine angenehme Temperatur zu er¬ halten. Die anmutig wellige Landschaft erinnert an einzelne Teile von Thüringen oder von Hessen, zumal da am Horizont bewaldete Höhenrücken sichtbar sind. Vom Hause aus sieht man nach vorn in das Tal eines größern Flusses, des Pira- cicaba, der sich in den Tiete, einen Nebenfluß des Parana, ergießt; auf der entgegengesetzten Seite wird der Hausgarten von dem muntern Gebirgsbach Qui- lombo, der nach kurzem Laufe in den Piracicaba mündet, begrenzt. Die Wasser¬ kraft des Quilombo ist für die Turbinen der Fabrik und eines zur Erzeugung von elektrischem Licht bestimmten Werkes nutzbar gemacht; nur in der Färberei ist Dampfbetrieb eingeführt worden. Etwas abseits liegt ein geräumiger, vom Quilombo aus bewässerter Wirtschaftsgarten, der neben Ananas und andern Südfrüchten auch Erdbeeren vom schönsten Aroma und neben Reis, Maniok, Bataten usw. fast sämtliche in Deutschland heimischen Gemüse liefert. Die letzten entarten freilich in dem heißen Klima nach kurzer Zeit, sodaß alljährlich neue Pflanzen aus europäischem Samen gezogen werden müssen. Der Geflügelhof war dicht bevölkert, unter anderm mit Perus (Trut¬ hühnern), die in ganz Brasilien den Feiertagsbraten abgeben. Reittiere wurden in solcher Zahl gehalten, daß außer der ganzen Familie auch noch Gäste be¬ ritten gemacht werden konnten; doch waren für die Pferde und die Maultiere und ebenso für das Klauenvieh, obgleich es auf der Hochebene in den Nächten zuweilen empfindlich kalt wird, keine eigentlichen Ställe, sondern nur die landes¬ üblichen offnen Schuppen vorhanden. Das zu dem Etablissement gehörende Land von 1600 Morgen wird von einem Unternehmer bewirtschaftet, der die Verpflichtung hat, Baumwolle zu bauen und an die Fabrik zu liefern. Da jedoch die von dem eignen Boden gewonnene Menge zur vollen Beschäftigung der Fabrik nicht ausreicht, so wird das Nötige von den Kolonisten in der Umgegend hinzugekauft. Bei den Be¬ suchen in der Fabrik konnten wir beobachten, wie das vor unsern Augen vom Felde gebrachte Rohmaterial allen Prozeduren der Reinigung und Bearbeitung unterzogen wurde und schließlich als farbig gemusterter und appretierter Stoff in Ballen vor uns lag. Im Staate Sav Paulo ist es, wie ich hörte, die ein¬ zige sich in deutschen Händen befindende Fabrik dieser Art. Damals waren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/372>, abgerufen am 04.07.2024.