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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Militärische Jugenderziehung

solange die allgemeine Wehrpflicht nicht eingeführt ist, auf eine gesunde Basis
zu stellen und jeden waffenfähigen Mann so weit zum Soldaten zu erziehen,
daß er im Falle der Not zur Verteidigung der Landesgrenzen mithelfen kann.
Vorderhand sind Lord Roberts Ideen und Wünsche allerdings auf keinen sehr
fruchtbaren Boden gefallen. Nur das Turnen soll etwas lebhafter betrieben
werden, exerziermäßige Übungen auf der Schule werden dagegen für wenig
zweckdienlich erachtet. Was den Schießunterricht anlangt, so hatte das Unter¬
richtsministerium der Volksschule in Vashey provisorische Erlaubnis dazu für
Knaben von mehr als zwölf Jahren erteilt. Als aber diese Genehmigung in¬
folge eines Mißverständnisses von noch vier andern Schulen in Anspruch genommen
und dadurch die Neueinrichtung im ganzen Lande allmählich bekannt wurde,
zeigte es sich, daß sie im höchsten Grade unpopulär war und von der Mehr¬
heit der Bevölkerung durchaus nicht gebilligt wurde. Das Ministerium hat
daraufhin eiuen wenig rühmlichen Rückzug angetreten, wie ein kürzlich ver¬
öffentlichtes Rundschreiben des Untcrstaatssekretürs Birrell zeigt, der die
ursprünglich gegebne Erlaubnis zurückzog und erklärte, daß der Schießunterricht
in Volksschulen nicht nur nicht als ein notwendiger Bestandteil der körperlichen
Erziehung, sondern nicht einmal für die Zwecke der nationalen Verteidigung
erforderlich zu betrachten sei. Ihm seien keine neuen, England bedrohenden
Gefahren bekannt, die die vermehrten Vorbereitungen in dieser Richtung not¬
wendig machten, und solange er im Unterrichtsministerium sei, werde es
nicht eine Art Vorbereitungsbehörde für die Armee werden. Nach diesen
schroffen Erklärungen des Ministcrgehilfen darf man einigermaßen gespannt
sein, wie sich in England das Problem der militärischen Jugenderziehung weiter
entwickeln wird.

In die Reihe der Staaten, die auch erst neuerdings der militärischen
Jugenderziehung ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben, ist endlich noch das
uns verbündete Österreich zu nennen. Hier ist vor etwa einem halben Jahre in
dem auf der Landstraße liegenden Bezirke der Hauptstadt Wien ein erster
Kuabcnhort gebildet worden, der unter der bewährten Leitung des Hauptmanns
Franz Opale steht und in seinen Einrichtungen in mancher Hinsicht an die bei
uns organisierte schon erwähnte Jugendwehr erinnert. Falls sich der Verein
bewähren und er Anklang finden sollte, ist schon jetzt beabsichtigt, gleiche Ver¬
einigungen in den Stadtbezirken Margareten und Mariahilf sowie in der
innern Stadt ins Leben zu rufen. Der nächste Schritt dürfte dann die Be¬
gründung solcher Kuabenhorte in andern Städten der Monarchie sein, um auf
diese Weise allmählich die ganze männliche Jugend in sachgemäßer Art auf ihre
dereinstige Militärdicnstzeit vorzubereiten.

Dem Programm, das der "Landstraßenverein" für seine Tätigkeit aufgestellt
hat, muß durchaus zugestimmt werden, denn es bewegt sich maßvoll in den
Grenzen, innerhalb derer sich wirklich etwas Gutes erreichen läßt. Es sollen
danach "die Knaben täglich nach den Schulstunden durch Jugendspiele -- Turm-,


Militärische Jugenderziehung

solange die allgemeine Wehrpflicht nicht eingeführt ist, auf eine gesunde Basis
zu stellen und jeden waffenfähigen Mann so weit zum Soldaten zu erziehen,
daß er im Falle der Not zur Verteidigung der Landesgrenzen mithelfen kann.
Vorderhand sind Lord Roberts Ideen und Wünsche allerdings auf keinen sehr
fruchtbaren Boden gefallen. Nur das Turnen soll etwas lebhafter betrieben
werden, exerziermäßige Übungen auf der Schule werden dagegen für wenig
zweckdienlich erachtet. Was den Schießunterricht anlangt, so hatte das Unter¬
richtsministerium der Volksschule in Vashey provisorische Erlaubnis dazu für
Knaben von mehr als zwölf Jahren erteilt. Als aber diese Genehmigung in¬
folge eines Mißverständnisses von noch vier andern Schulen in Anspruch genommen
und dadurch die Neueinrichtung im ganzen Lande allmählich bekannt wurde,
zeigte es sich, daß sie im höchsten Grade unpopulär war und von der Mehr¬
heit der Bevölkerung durchaus nicht gebilligt wurde. Das Ministerium hat
daraufhin eiuen wenig rühmlichen Rückzug angetreten, wie ein kürzlich ver¬
öffentlichtes Rundschreiben des Untcrstaatssekretürs Birrell zeigt, der die
ursprünglich gegebne Erlaubnis zurückzog und erklärte, daß der Schießunterricht
in Volksschulen nicht nur nicht als ein notwendiger Bestandteil der körperlichen
Erziehung, sondern nicht einmal für die Zwecke der nationalen Verteidigung
erforderlich zu betrachten sei. Ihm seien keine neuen, England bedrohenden
Gefahren bekannt, die die vermehrten Vorbereitungen in dieser Richtung not¬
wendig machten, und solange er im Unterrichtsministerium sei, werde es
nicht eine Art Vorbereitungsbehörde für die Armee werden. Nach diesen
schroffen Erklärungen des Ministcrgehilfen darf man einigermaßen gespannt
sein, wie sich in England das Problem der militärischen Jugenderziehung weiter
entwickeln wird.

In die Reihe der Staaten, die auch erst neuerdings der militärischen
Jugenderziehung ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben, ist endlich noch das
uns verbündete Österreich zu nennen. Hier ist vor etwa einem halben Jahre in
dem auf der Landstraße liegenden Bezirke der Hauptstadt Wien ein erster
Kuabcnhort gebildet worden, der unter der bewährten Leitung des Hauptmanns
Franz Opale steht und in seinen Einrichtungen in mancher Hinsicht an die bei
uns organisierte schon erwähnte Jugendwehr erinnert. Falls sich der Verein
bewähren und er Anklang finden sollte, ist schon jetzt beabsichtigt, gleiche Ver¬
einigungen in den Stadtbezirken Margareten und Mariahilf sowie in der
innern Stadt ins Leben zu rufen. Der nächste Schritt dürfte dann die Be¬
gründung solcher Kuabenhorte in andern Städten der Monarchie sein, um auf
diese Weise allmählich die ganze männliche Jugend in sachgemäßer Art auf ihre
dereinstige Militärdicnstzeit vorzubereiten.

Dem Programm, das der „Landstraßenverein" für seine Tätigkeit aufgestellt
hat, muß durchaus zugestimmt werden, denn es bewegt sich maßvoll in den
Grenzen, innerhalb derer sich wirklich etwas Gutes erreichen läßt. Es sollen
danach „die Knaben täglich nach den Schulstunden durch Jugendspiele — Turm-,


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[0356] Militärische Jugenderziehung solange die allgemeine Wehrpflicht nicht eingeführt ist, auf eine gesunde Basis zu stellen und jeden waffenfähigen Mann so weit zum Soldaten zu erziehen, daß er im Falle der Not zur Verteidigung der Landesgrenzen mithelfen kann. Vorderhand sind Lord Roberts Ideen und Wünsche allerdings auf keinen sehr fruchtbaren Boden gefallen. Nur das Turnen soll etwas lebhafter betrieben werden, exerziermäßige Übungen auf der Schule werden dagegen für wenig zweckdienlich erachtet. Was den Schießunterricht anlangt, so hatte das Unter¬ richtsministerium der Volksschule in Vashey provisorische Erlaubnis dazu für Knaben von mehr als zwölf Jahren erteilt. Als aber diese Genehmigung in¬ folge eines Mißverständnisses von noch vier andern Schulen in Anspruch genommen und dadurch die Neueinrichtung im ganzen Lande allmählich bekannt wurde, zeigte es sich, daß sie im höchsten Grade unpopulär war und von der Mehr¬ heit der Bevölkerung durchaus nicht gebilligt wurde. Das Ministerium hat daraufhin eiuen wenig rühmlichen Rückzug angetreten, wie ein kürzlich ver¬ öffentlichtes Rundschreiben des Untcrstaatssekretürs Birrell zeigt, der die ursprünglich gegebne Erlaubnis zurückzog und erklärte, daß der Schießunterricht in Volksschulen nicht nur nicht als ein notwendiger Bestandteil der körperlichen Erziehung, sondern nicht einmal für die Zwecke der nationalen Verteidigung erforderlich zu betrachten sei. Ihm seien keine neuen, England bedrohenden Gefahren bekannt, die die vermehrten Vorbereitungen in dieser Richtung not¬ wendig machten, und solange er im Unterrichtsministerium sei, werde es nicht eine Art Vorbereitungsbehörde für die Armee werden. Nach diesen schroffen Erklärungen des Ministcrgehilfen darf man einigermaßen gespannt sein, wie sich in England das Problem der militärischen Jugenderziehung weiter entwickeln wird. In die Reihe der Staaten, die auch erst neuerdings der militärischen Jugenderziehung ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben, ist endlich noch das uns verbündete Österreich zu nennen. Hier ist vor etwa einem halben Jahre in dem auf der Landstraße liegenden Bezirke der Hauptstadt Wien ein erster Kuabcnhort gebildet worden, der unter der bewährten Leitung des Hauptmanns Franz Opale steht und in seinen Einrichtungen in mancher Hinsicht an die bei uns organisierte schon erwähnte Jugendwehr erinnert. Falls sich der Verein bewähren und er Anklang finden sollte, ist schon jetzt beabsichtigt, gleiche Ver¬ einigungen in den Stadtbezirken Margareten und Mariahilf sowie in der innern Stadt ins Leben zu rufen. Der nächste Schritt dürfte dann die Be¬ gründung solcher Kuabenhorte in andern Städten der Monarchie sein, um auf diese Weise allmählich die ganze männliche Jugend in sachgemäßer Art auf ihre dereinstige Militärdicnstzeit vorzubereiten. Dem Programm, das der „Landstraßenverein" für seine Tätigkeit aufgestellt hat, muß durchaus zugestimmt werden, denn es bewegt sich maßvoll in den Grenzen, innerhalb derer sich wirklich etwas Gutes erreichen läßt. Es sollen danach „die Knaben täglich nach den Schulstunden durch Jugendspiele — Turm-,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/356>, abgerufen am 24.07.2024.