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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Militärische Jugenderziehung

Diensteintritt ins Heer nicht nur zusammenhält, sondern noch erweitert und
befestigt. Denn gerade in diesem Zwischenraum von etwa sechs bis sieben
Jahren liegt unzweifelhaft eine ernste Gefahr für die heranwachsende Jugend
der Volksklassen. "Der junge Bursche, der mit vierzehn Jahren die Schulen
verläßt, so sagt Graf Häseler, tritt in den Dienst als Knecht ein oder erlernt
ein Handwerk, oder er sucht den Erwerb in Fabriken und Bergwerken. Harte
rein körperliche Arbeit stumpft ab, die Erholungsstunden werden im Wirts¬
hause verbracht; der Geist ruht, der Körper wird einseitig ausgebildet. Tritt
schlechter Umgang hinzu, so verrohen Charakter, Sitte und Gemüt." Hier ist
also eine Lücke in unsrer Jugenderziehung vorhanden, die ausgefüllt werden
muß, je eher je besser. Ein vorzügliches Mittel hierzu bildet die "Jugend¬
wehr", die allerdings vorderhand nur in Berlin existiert und hier im Jahre
1896 als "ein Verein für militärisches Turnen, Exerzieren und Schwimmen
der männlichen Jugend" begründet wurde. Es ist damit beabsichtigt, junge
Leute im Alter von vierzehn bis zwanzig Jahren (Lehrjungen, Lausbursche",
Arbeiter, Handlungsgehilfen usw.) in den freien Abendstunden und an Sonn¬
tagen vor und nach dem Vormittagsgottesdienste in zweckmäßiger Weise zu
beschäftigen, um sie den Gefahren der Großstadt, den schlechten Wohnungs¬
verhältnissen zu entziehen und so auf Körper, Geist und Gemüt vorteilhaft
einzuwirken. Die Beaufsichtigung und Leitung des Vereins ist in Händen
von mehreren inaktiven Offizieren. Die Jugendwehr ist eingeteilt in ein
Musikkorps, ein Korps der Spielleute, fünf Kompagnien, eine Marineab¬
teilung und eine Sanitätskolonne. Das Musikkorps besteht aus den Musik¬
schülern der Militärmusikervorschule zu Treptow. Es sind junge Berufsmusiker,
die bei den Militärmusiken sehr gern eingestellt werden. Die Übungen der
Spielleute leitet ein aktiver Bataillonstambonr. Die Ausbildung geschieht
nach dem Exerzierreglement für die Infanterie. Gewehre besitzt die Jugend¬
wehr nicht. Es handelt sich also um Übungen auf der Stelle, im zerstreuten
Gefecht und Marschbewegungen. Der Hauptwert aber wird auf Turnen an
Geräten, auf Frei- und Gewehrübuugen und Fechten gelegt. Auch findet
theoretischer Unterricht statt. Diese Übungen werden bei jeder Kompagnie
von einem mit den besten Zeugnissen entlassenen ältern Unteroffizier geleitet.
Die Marineabteilung der Jugendwehr ist aus den Zöglingen gebildet, die
beabsichtigen, dereinst in die Kaiserliche Marine einzutreten. Ihre Ausbildung
hat ein früherer Feldwebel der Marine. Es finden im Sommer Übungen im
Rudern, Klettern am Mast und Turnen statt. Die im Gebrauch befindlichen
drei Boote (ein Kutter, zwei Gigs) gehören der Jngendwehr. Im Winter ist
der Dienst wie bei der Kompagnie. Den Unterricht im Krankenträgerdienst
erhalten die dazu sich meldenden jungen Leute durch einen früheren Sanitäts¬
unteroffizier.

Nach dieser kurzen allgemeinen Darlegung und Schilderung der ein¬
schlägigen Verhältnisse bei uns dürfte es wohl nicht ohne Interesse sein,


Militärische Jugenderziehung

Diensteintritt ins Heer nicht nur zusammenhält, sondern noch erweitert und
befestigt. Denn gerade in diesem Zwischenraum von etwa sechs bis sieben
Jahren liegt unzweifelhaft eine ernste Gefahr für die heranwachsende Jugend
der Volksklassen. „Der junge Bursche, der mit vierzehn Jahren die Schulen
verläßt, so sagt Graf Häseler, tritt in den Dienst als Knecht ein oder erlernt
ein Handwerk, oder er sucht den Erwerb in Fabriken und Bergwerken. Harte
rein körperliche Arbeit stumpft ab, die Erholungsstunden werden im Wirts¬
hause verbracht; der Geist ruht, der Körper wird einseitig ausgebildet. Tritt
schlechter Umgang hinzu, so verrohen Charakter, Sitte und Gemüt." Hier ist
also eine Lücke in unsrer Jugenderziehung vorhanden, die ausgefüllt werden
muß, je eher je besser. Ein vorzügliches Mittel hierzu bildet die „Jugend¬
wehr", die allerdings vorderhand nur in Berlin existiert und hier im Jahre
1896 als „ein Verein für militärisches Turnen, Exerzieren und Schwimmen
der männlichen Jugend" begründet wurde. Es ist damit beabsichtigt, junge
Leute im Alter von vierzehn bis zwanzig Jahren (Lehrjungen, Lausbursche»,
Arbeiter, Handlungsgehilfen usw.) in den freien Abendstunden und an Sonn¬
tagen vor und nach dem Vormittagsgottesdienste in zweckmäßiger Weise zu
beschäftigen, um sie den Gefahren der Großstadt, den schlechten Wohnungs¬
verhältnissen zu entziehen und so auf Körper, Geist und Gemüt vorteilhaft
einzuwirken. Die Beaufsichtigung und Leitung des Vereins ist in Händen
von mehreren inaktiven Offizieren. Die Jugendwehr ist eingeteilt in ein
Musikkorps, ein Korps der Spielleute, fünf Kompagnien, eine Marineab¬
teilung und eine Sanitätskolonne. Das Musikkorps besteht aus den Musik¬
schülern der Militärmusikervorschule zu Treptow. Es sind junge Berufsmusiker,
die bei den Militärmusiken sehr gern eingestellt werden. Die Übungen der
Spielleute leitet ein aktiver Bataillonstambonr. Die Ausbildung geschieht
nach dem Exerzierreglement für die Infanterie. Gewehre besitzt die Jugend¬
wehr nicht. Es handelt sich also um Übungen auf der Stelle, im zerstreuten
Gefecht und Marschbewegungen. Der Hauptwert aber wird auf Turnen an
Geräten, auf Frei- und Gewehrübuugen und Fechten gelegt. Auch findet
theoretischer Unterricht statt. Diese Übungen werden bei jeder Kompagnie
von einem mit den besten Zeugnissen entlassenen ältern Unteroffizier geleitet.
Die Marineabteilung der Jugendwehr ist aus den Zöglingen gebildet, die
beabsichtigen, dereinst in die Kaiserliche Marine einzutreten. Ihre Ausbildung
hat ein früherer Feldwebel der Marine. Es finden im Sommer Übungen im
Rudern, Klettern am Mast und Turnen statt. Die im Gebrauch befindlichen
drei Boote (ein Kutter, zwei Gigs) gehören der Jngendwehr. Im Winter ist
der Dienst wie bei der Kompagnie. Den Unterricht im Krankenträgerdienst
erhalten die dazu sich meldenden jungen Leute durch einen früheren Sanitäts¬
unteroffizier.

Nach dieser kurzen allgemeinen Darlegung und Schilderung der ein¬
schlägigen Verhältnisse bei uns dürfte es wohl nicht ohne Interesse sein,


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[0346] Militärische Jugenderziehung Diensteintritt ins Heer nicht nur zusammenhält, sondern noch erweitert und befestigt. Denn gerade in diesem Zwischenraum von etwa sechs bis sieben Jahren liegt unzweifelhaft eine ernste Gefahr für die heranwachsende Jugend der Volksklassen. „Der junge Bursche, der mit vierzehn Jahren die Schulen verläßt, so sagt Graf Häseler, tritt in den Dienst als Knecht ein oder erlernt ein Handwerk, oder er sucht den Erwerb in Fabriken und Bergwerken. Harte rein körperliche Arbeit stumpft ab, die Erholungsstunden werden im Wirts¬ hause verbracht; der Geist ruht, der Körper wird einseitig ausgebildet. Tritt schlechter Umgang hinzu, so verrohen Charakter, Sitte und Gemüt." Hier ist also eine Lücke in unsrer Jugenderziehung vorhanden, die ausgefüllt werden muß, je eher je besser. Ein vorzügliches Mittel hierzu bildet die „Jugend¬ wehr", die allerdings vorderhand nur in Berlin existiert und hier im Jahre 1896 als „ein Verein für militärisches Turnen, Exerzieren und Schwimmen der männlichen Jugend" begründet wurde. Es ist damit beabsichtigt, junge Leute im Alter von vierzehn bis zwanzig Jahren (Lehrjungen, Lausbursche», Arbeiter, Handlungsgehilfen usw.) in den freien Abendstunden und an Sonn¬ tagen vor und nach dem Vormittagsgottesdienste in zweckmäßiger Weise zu beschäftigen, um sie den Gefahren der Großstadt, den schlechten Wohnungs¬ verhältnissen zu entziehen und so auf Körper, Geist und Gemüt vorteilhaft einzuwirken. Die Beaufsichtigung und Leitung des Vereins ist in Händen von mehreren inaktiven Offizieren. Die Jugendwehr ist eingeteilt in ein Musikkorps, ein Korps der Spielleute, fünf Kompagnien, eine Marineab¬ teilung und eine Sanitätskolonne. Das Musikkorps besteht aus den Musik¬ schülern der Militärmusikervorschule zu Treptow. Es sind junge Berufsmusiker, die bei den Militärmusiken sehr gern eingestellt werden. Die Übungen der Spielleute leitet ein aktiver Bataillonstambonr. Die Ausbildung geschieht nach dem Exerzierreglement für die Infanterie. Gewehre besitzt die Jugend¬ wehr nicht. Es handelt sich also um Übungen auf der Stelle, im zerstreuten Gefecht und Marschbewegungen. Der Hauptwert aber wird auf Turnen an Geräten, auf Frei- und Gewehrübuugen und Fechten gelegt. Auch findet theoretischer Unterricht statt. Diese Übungen werden bei jeder Kompagnie von einem mit den besten Zeugnissen entlassenen ältern Unteroffizier geleitet. Die Marineabteilung der Jugendwehr ist aus den Zöglingen gebildet, die beabsichtigen, dereinst in die Kaiserliche Marine einzutreten. Ihre Ausbildung hat ein früherer Feldwebel der Marine. Es finden im Sommer Übungen im Rudern, Klettern am Mast und Turnen statt. Die im Gebrauch befindlichen drei Boote (ein Kutter, zwei Gigs) gehören der Jngendwehr. Im Winter ist der Dienst wie bei der Kompagnie. Den Unterricht im Krankenträgerdienst erhalten die dazu sich meldenden jungen Leute durch einen früheren Sanitäts¬ unteroffizier. Nach dieser kurzen allgemeinen Darlegung und Schilderung der ein¬ schlägigen Verhältnisse bei uns dürfte es wohl nicht ohne Interesse sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/346>, abgerufen am 24.07.2024.