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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Wie ich zu dem Roman "Zwei Seele"" kam

Dieses Wort, das ich, wie alles andre, so wiedergegeben habe, wie es die
Erinnerung in mir weiter tönen ließ, ist das letzte, dessen ich mich zu entsinnen
vermag, und sein Klang ist auch in den "Zwei Seelen" angeschlagen worden.
Dort erzählt der Heinrich, dessen Schicksale das Buch erfüllen, von seiner Jugend:

"Am liebsten lief ich in den Wäldern herum und konnte auf einem sonnigen
Hügel stundenlang liegen, ohne etwas zu denken, horchend auf den Wachtel¬
schlag in den Feldern, auf den Kuckucksruf, auf das Zirpen der Grillen und
irgendwelche ferne Töne. So ließ ich mir das Leben zwischen den Händen hin¬
gleiten und verlor einen schönen Tag nach dem andern. Dennoch habe ich von
jenen flattrigen Stunden manches in mich aufgenommen, was mir jetzt zugute
kommt. Wenn ich jetzt in meinen kahlen Wänden eine stille Stunde habe und,
den Kopf in beide Hände gestützt, vor mich hinbrüte, dann fliegt so ein Tag
vor mir auf, wogende Felder, spielende Sonnenlichter in: Waldesschatten, eine
goldne Abendröte über dunkeln Wipfeln. Wie die gefrornen Töne in jenen:
Posthorn ruhen diese Stimmungen in meiner Seele, alle die kleinen bunten
Bilder, die ich, ohne es zu merken, in mir aufgespeichert habe, und ihr Be¬
trachten tröstet mich nun und hilft mir über vieles hinweg."

Nach einigen Jahren wurde ich versetzt. Zahlreiche neue Eindrücke stürmten
nun auf mich ein, ernste und schwere, aber auch sehr schöne und erfreuliche,
an die ich stets gern gedenken werde. Und wieder nach einer Reihe von Jahren
wurde ich nach Halle berufen. Der mehrfache Wechsel und die Menge neuer
Gestalten, die an mir vorübergingen, ließen die stille Gestalt des Gefangnen,
von dem ich erzählt habe, allmählich in meiner Erinnerung zurücktreten und
brachten es dahin, daß sein Bild nach und nach in mir verblaßte. Aber ver¬
loren ging es mir nicht, sondern es schaute mich immer wieder einmal aus der
Ferne still an. Ja, je mehr sich die Zeit dazwischen drängte, und je ferner sie
mir sein Bild rückte, um so klarer hob es sich aus den Nebeln der Vergangen¬
heit empor, und um so verlangender blickten seine Augen zu mir herüber.

Eines Tages zog ich dann über ihn Erkundigungen ein, aber ich kam zu
spät, sein Licht war schon lange erloschen, er hatte Ruhe gefunden, und die zarte
Spur seiner letzten Lebensjahre war verloren gegangen. Jetzt hätte ich gern
erfahren, wie eine so feine und weiche Natur jemals zu einer so schweren Tat
hatte gelangen können. Als ich es von ihm selbst Hütte hören können, hatte
ich die Frage gescheut. In langem Ringen war es ihm gelungen, die dunkle
Nacht vergangner Zeiten hinter sich zu lassen, ich gewann es nicht über mich,
ihre Schatten heraufzubeschwören. Jetzt, wo es zu spät war, empfand ich meine
Zurückhaltung als ein Versäumnis, das mich jedoch nicht gereute. Es gibt
Fehler, an die man tröstlichen Herzens zurückdenkt.

Das wieder lebendig gewordne Bild ließ mich nun nicht mehr los, ich
mußte sein Geheimnis auf irgendeine Weise zu ergründen suchen. Das innere
Werden des nun gänzlich still gewordnen Menschen ließ sich nicht mehr auf¬
decken, nur seinen äußern Lebensgang hätte ich allenfalls enthüllen können,


Wie ich zu dem Roman „Zwei Seele»" kam

Dieses Wort, das ich, wie alles andre, so wiedergegeben habe, wie es die
Erinnerung in mir weiter tönen ließ, ist das letzte, dessen ich mich zu entsinnen
vermag, und sein Klang ist auch in den „Zwei Seelen" angeschlagen worden.
Dort erzählt der Heinrich, dessen Schicksale das Buch erfüllen, von seiner Jugend:

„Am liebsten lief ich in den Wäldern herum und konnte auf einem sonnigen
Hügel stundenlang liegen, ohne etwas zu denken, horchend auf den Wachtel¬
schlag in den Feldern, auf den Kuckucksruf, auf das Zirpen der Grillen und
irgendwelche ferne Töne. So ließ ich mir das Leben zwischen den Händen hin¬
gleiten und verlor einen schönen Tag nach dem andern. Dennoch habe ich von
jenen flattrigen Stunden manches in mich aufgenommen, was mir jetzt zugute
kommt. Wenn ich jetzt in meinen kahlen Wänden eine stille Stunde habe und,
den Kopf in beide Hände gestützt, vor mich hinbrüte, dann fliegt so ein Tag
vor mir auf, wogende Felder, spielende Sonnenlichter in: Waldesschatten, eine
goldne Abendröte über dunkeln Wipfeln. Wie die gefrornen Töne in jenen:
Posthorn ruhen diese Stimmungen in meiner Seele, alle die kleinen bunten
Bilder, die ich, ohne es zu merken, in mir aufgespeichert habe, und ihr Be¬
trachten tröstet mich nun und hilft mir über vieles hinweg."

Nach einigen Jahren wurde ich versetzt. Zahlreiche neue Eindrücke stürmten
nun auf mich ein, ernste und schwere, aber auch sehr schöne und erfreuliche,
an die ich stets gern gedenken werde. Und wieder nach einer Reihe von Jahren
wurde ich nach Halle berufen. Der mehrfache Wechsel und die Menge neuer
Gestalten, die an mir vorübergingen, ließen die stille Gestalt des Gefangnen,
von dem ich erzählt habe, allmählich in meiner Erinnerung zurücktreten und
brachten es dahin, daß sein Bild nach und nach in mir verblaßte. Aber ver¬
loren ging es mir nicht, sondern es schaute mich immer wieder einmal aus der
Ferne still an. Ja, je mehr sich die Zeit dazwischen drängte, und je ferner sie
mir sein Bild rückte, um so klarer hob es sich aus den Nebeln der Vergangen¬
heit empor, und um so verlangender blickten seine Augen zu mir herüber.

Eines Tages zog ich dann über ihn Erkundigungen ein, aber ich kam zu
spät, sein Licht war schon lange erloschen, er hatte Ruhe gefunden, und die zarte
Spur seiner letzten Lebensjahre war verloren gegangen. Jetzt hätte ich gern
erfahren, wie eine so feine und weiche Natur jemals zu einer so schweren Tat
hatte gelangen können. Als ich es von ihm selbst Hütte hören können, hatte
ich die Frage gescheut. In langem Ringen war es ihm gelungen, die dunkle
Nacht vergangner Zeiten hinter sich zu lassen, ich gewann es nicht über mich,
ihre Schatten heraufzubeschwören. Jetzt, wo es zu spät war, empfand ich meine
Zurückhaltung als ein Versäumnis, das mich jedoch nicht gereute. Es gibt
Fehler, an die man tröstlichen Herzens zurückdenkt.

Das wieder lebendig gewordne Bild ließ mich nun nicht mehr los, ich
mußte sein Geheimnis auf irgendeine Weise zu ergründen suchen. Das innere
Werden des nun gänzlich still gewordnen Menschen ließ sich nicht mehr auf¬
decken, nur seinen äußern Lebensgang hätte ich allenfalls enthüllen können,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/318>, abgerufen am 27.07.2024.