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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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ZVie ich zu dem Rcnnan "Zwei Seelen" kam

es auch noch nicht, daß mancher von diesen finstern Menschen, als ich seine
Züge näher betrachtete, ganz freundlich dreinzuschauen vermochte.

Zuletzt kam ich in den Zellenflügel, in dem damals hauptsächlich be¬
sonders schwere und gefährliche Verbrecher verwahrt wurden. Der Tag war
schon weit vorgeschritten, und eine sanfte Dämmerung schwebte durch die Zellen,
in deren jeder ein unglückseliger Mensch den Faden seines armen Lebens langsam
weiterspann.

Als ich die erste Tür aufschloß und in die Zelle eintrat, fuhr der Ge-
fangne, der darin lebte, von seiner Arbeit empor und flüchtete sich förmlich
in die entfernteste Ecke, von wo er mich dann finster und mißtrauisch ansah
und widerwillig auf meine Fragen antwortete. Er war, wie ich später erfuhr,
ein vierfacher Mörder, ein ganz verschlossener Mensch, dessen Vertrauen ich
dennoch nachher auf kurze Zeit gewann. Eines Tages mußte ich ihn in einer
besondern Stimmung angetroffen haben, denn er fing plötzlich ganz von selbst
an, sein Leben zu schildern. Er erzählte mir von seiner unglücklichen Jugend,
wie er ohne alle Liebe aufgewachsen sei, von jedermann zurückgestoßen, ohne
Freund und ohne eine Zuneigung von irgendeiner Seite her, von den eignen
Eltern gehaßt und mißhandelt. So hätte er die Menschen vom Anfang an
mit Haß und Bitterkeit angesehen, und so sei er zum Mörder geworden. Keine
Spur von Reue oder Schmerz zeigte sich, wahrend er zu mir sprach, in seinen
Zügen, nur der Ingrimm über sein ewiges Gefängnis durchbrach hin und
wieder seine eintönig hingesprochne Erzählung. Dies geschah in einer Abend¬
stunde, unter dem Schleier der Dämmerung, in der er vor mir stand, und so
wenig Erfreuliches ich zu hören bekam, war es mir dennoch wertvoll, da ich
hoffte, seine verschlossene Seele werde sich nun langsam und allmählich öffnen.
Als ich ihn aber am andern Tage wieder aufsuchte, verhielt er sich völlig
stumm. Einmal hatte sich der Vorhang von seinem Innern aufgehoben, nun
war er wieder niedergefallen und hob sich niemals wieder. An diesem ersten
Abend brachte ich nur wenig Worte aus ihm heraus und verließ ihn endlich
mit bedrückten Gefühlen.

Um so mitteilsamer war sein Zellennachbar, ebenfalls ein Raubmörder,
der die Angehörigen eines frühern Mitgefangnen aufgesucht, ihnen von dem
fernen Sohne erzählt und sich von ihnen hatte bewirten und unterstützen
lassen, worauf er sie überfiel und tötete. Er war einer von den Menschen,
die unwillkürlich an eine Katze erinnern, schmeichelnd, schmiegsam, auf leisen
Sohlen schleichend, mit falschem Blick im Auge.

Dann sah ich einige Gefangne, die in meiner Erinnerung keinen Ein¬
druck hinterlassen haben, darauf einen Mann, der mir auf den ersten Blick
hin Teilnahme einflößte. Eine große, schöne Gestalt, warme, dunkle Augen,
ein sympathisches Gesicht -- und doch ein berüchtigter Einbrecher, vormals
aber ein angesehener und kunstgeübter Schlofsermeister. Nicht oft habe ich
das Weh eines verfehlten Lebens einem Antlitz so deutlich eingeprägt gesehen


ZVie ich zu dem Rcnnan „Zwei Seelen" kam

es auch noch nicht, daß mancher von diesen finstern Menschen, als ich seine
Züge näher betrachtete, ganz freundlich dreinzuschauen vermochte.

Zuletzt kam ich in den Zellenflügel, in dem damals hauptsächlich be¬
sonders schwere und gefährliche Verbrecher verwahrt wurden. Der Tag war
schon weit vorgeschritten, und eine sanfte Dämmerung schwebte durch die Zellen,
in deren jeder ein unglückseliger Mensch den Faden seines armen Lebens langsam
weiterspann.

Als ich die erste Tür aufschloß und in die Zelle eintrat, fuhr der Ge-
fangne, der darin lebte, von seiner Arbeit empor und flüchtete sich förmlich
in die entfernteste Ecke, von wo er mich dann finster und mißtrauisch ansah
und widerwillig auf meine Fragen antwortete. Er war, wie ich später erfuhr,
ein vierfacher Mörder, ein ganz verschlossener Mensch, dessen Vertrauen ich
dennoch nachher auf kurze Zeit gewann. Eines Tages mußte ich ihn in einer
besondern Stimmung angetroffen haben, denn er fing plötzlich ganz von selbst
an, sein Leben zu schildern. Er erzählte mir von seiner unglücklichen Jugend,
wie er ohne alle Liebe aufgewachsen sei, von jedermann zurückgestoßen, ohne
Freund und ohne eine Zuneigung von irgendeiner Seite her, von den eignen
Eltern gehaßt und mißhandelt. So hätte er die Menschen vom Anfang an
mit Haß und Bitterkeit angesehen, und so sei er zum Mörder geworden. Keine
Spur von Reue oder Schmerz zeigte sich, wahrend er zu mir sprach, in seinen
Zügen, nur der Ingrimm über sein ewiges Gefängnis durchbrach hin und
wieder seine eintönig hingesprochne Erzählung. Dies geschah in einer Abend¬
stunde, unter dem Schleier der Dämmerung, in der er vor mir stand, und so
wenig Erfreuliches ich zu hören bekam, war es mir dennoch wertvoll, da ich
hoffte, seine verschlossene Seele werde sich nun langsam und allmählich öffnen.
Als ich ihn aber am andern Tage wieder aufsuchte, verhielt er sich völlig
stumm. Einmal hatte sich der Vorhang von seinem Innern aufgehoben, nun
war er wieder niedergefallen und hob sich niemals wieder. An diesem ersten
Abend brachte ich nur wenig Worte aus ihm heraus und verließ ihn endlich
mit bedrückten Gefühlen.

Um so mitteilsamer war sein Zellennachbar, ebenfalls ein Raubmörder,
der die Angehörigen eines frühern Mitgefangnen aufgesucht, ihnen von dem
fernen Sohne erzählt und sich von ihnen hatte bewirten und unterstützen
lassen, worauf er sie überfiel und tötete. Er war einer von den Menschen,
die unwillkürlich an eine Katze erinnern, schmeichelnd, schmiegsam, auf leisen
Sohlen schleichend, mit falschem Blick im Auge.

Dann sah ich einige Gefangne, die in meiner Erinnerung keinen Ein¬
druck hinterlassen haben, darauf einen Mann, der mir auf den ersten Blick
hin Teilnahme einflößte. Eine große, schöne Gestalt, warme, dunkle Augen,
ein sympathisches Gesicht — und doch ein berüchtigter Einbrecher, vormals
aber ein angesehener und kunstgeübter Schlofsermeister. Nicht oft habe ich
das Weh eines verfehlten Lebens einem Antlitz so deutlich eingeprägt gesehen


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[0314] ZVie ich zu dem Rcnnan „Zwei Seelen" kam es auch noch nicht, daß mancher von diesen finstern Menschen, als ich seine Züge näher betrachtete, ganz freundlich dreinzuschauen vermochte. Zuletzt kam ich in den Zellenflügel, in dem damals hauptsächlich be¬ sonders schwere und gefährliche Verbrecher verwahrt wurden. Der Tag war schon weit vorgeschritten, und eine sanfte Dämmerung schwebte durch die Zellen, in deren jeder ein unglückseliger Mensch den Faden seines armen Lebens langsam weiterspann. Als ich die erste Tür aufschloß und in die Zelle eintrat, fuhr der Ge- fangne, der darin lebte, von seiner Arbeit empor und flüchtete sich förmlich in die entfernteste Ecke, von wo er mich dann finster und mißtrauisch ansah und widerwillig auf meine Fragen antwortete. Er war, wie ich später erfuhr, ein vierfacher Mörder, ein ganz verschlossener Mensch, dessen Vertrauen ich dennoch nachher auf kurze Zeit gewann. Eines Tages mußte ich ihn in einer besondern Stimmung angetroffen haben, denn er fing plötzlich ganz von selbst an, sein Leben zu schildern. Er erzählte mir von seiner unglücklichen Jugend, wie er ohne alle Liebe aufgewachsen sei, von jedermann zurückgestoßen, ohne Freund und ohne eine Zuneigung von irgendeiner Seite her, von den eignen Eltern gehaßt und mißhandelt. So hätte er die Menschen vom Anfang an mit Haß und Bitterkeit angesehen, und so sei er zum Mörder geworden. Keine Spur von Reue oder Schmerz zeigte sich, wahrend er zu mir sprach, in seinen Zügen, nur der Ingrimm über sein ewiges Gefängnis durchbrach hin und wieder seine eintönig hingesprochne Erzählung. Dies geschah in einer Abend¬ stunde, unter dem Schleier der Dämmerung, in der er vor mir stand, und so wenig Erfreuliches ich zu hören bekam, war es mir dennoch wertvoll, da ich hoffte, seine verschlossene Seele werde sich nun langsam und allmählich öffnen. Als ich ihn aber am andern Tage wieder aufsuchte, verhielt er sich völlig stumm. Einmal hatte sich der Vorhang von seinem Innern aufgehoben, nun war er wieder niedergefallen und hob sich niemals wieder. An diesem ersten Abend brachte ich nur wenig Worte aus ihm heraus und verließ ihn endlich mit bedrückten Gefühlen. Um so mitteilsamer war sein Zellennachbar, ebenfalls ein Raubmörder, der die Angehörigen eines frühern Mitgefangnen aufgesucht, ihnen von dem fernen Sohne erzählt und sich von ihnen hatte bewirten und unterstützen lassen, worauf er sie überfiel und tötete. Er war einer von den Menschen, die unwillkürlich an eine Katze erinnern, schmeichelnd, schmiegsam, auf leisen Sohlen schleichend, mit falschem Blick im Auge. Dann sah ich einige Gefangne, die in meiner Erinnerung keinen Ein¬ druck hinterlassen haben, darauf einen Mann, der mir auf den ersten Blick hin Teilnahme einflößte. Eine große, schöne Gestalt, warme, dunkle Augen, ein sympathisches Gesicht — und doch ein berüchtigter Einbrecher, vormals aber ein angesehener und kunstgeübter Schlofsermeister. Nicht oft habe ich das Weh eines verfehlten Lebens einem Antlitz so deutlich eingeprägt gesehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/314>, abgerufen am 24.07.2024.