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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Altes und Neues ans England

dicht bevölkerte Land zur Not die für seine Bewohner erforderlichen Nahrungs¬
mittel erzeugt, kann es nicht durch Plantagen, sondern nur durch Besteuerung
ausgebeutet werden. Von seinen beiden Plantagcnerzcugnissen wird das eine,
die Baumwolle, größtenteils in Indien selbst verarbeitet, und das andre, das
Zuckerrohr, deckt noch nicht einmal den heimischen Zuckerbedarf. Ceylon ist
Plantagcnkolonie. In welchem Grade das Schicksal ganzer Länder durch wirt¬
schaftliche Bedürfnisse bestimmt wird, die oft gar keine Bedürfnisse, sondern nur
Moden oder Laster sind, wird an einigen asiatischen und afrikanischen Gebieten
gezeigt. Die Überschätzung der Gewürze, mit deren übermäßigem Genuß sich die
Europäer des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zu vergiften pflegten,
hat den bald zerronnenen Reichtum der Portugiesen und den dauerhaftern der
Holländer begründet. In der heutigen Weltwirtschaft spielen Pfeffer, Gewürz¬
nelken und Muskatnüsse keine Rolle mehr. Wären die Engländer nicht Tee-
trinkcr sondern Kaffcetrinker, meint Dove, so würden sie längst Java den
Holländern entrissen haben, und hätte sich vor dreißig Jahren schon die elektrische
und die Fahrradindustrie auf ihrer heutigen Höhe befunden, so wäre Kamerun
mit seinen Kautschukbeständcn nicht deutsch sondern englisch. Ein typisches
Beispiel für die vollständige Abhängigkeit eines Kolonialgebicts von dem
Wirtschaftsleben des beherrschenden Volkes ist die Insel Mauritius. Die Eng¬
länder haben sie ganz und gar mit Zuckerplantagen bedeckt. Obwohl sie zu
Afrika gehört, wohnten 1901 nur 432 Afrikaner dort, dagegen 108000 Weiße
und Mischlinge, 261000 indische Kukis und 3500 Chinesen.

Von den drei sogenannten Ackerbaukolonien Englands kommt als solche
nach Dove nur eine ernsthaft in Betracht. Australien ist seiner ganzen Be¬
schaffenheit nach, soweit es überhaupt bewohnt werden kann, nur ein Land für
Schafzüchter; für diese allerdings in solchem Grade geeignet, daß es die Woll¬
produktion für die ganze Welt zu monopolisieren vermag. Südafrika ist
größtenteils eine für Ackerbau kaum brauchbare und durch alle mögliche"
Verkehrshindernisse abschreckende Steppe. Dagegen vermag Kanada noch eine
große Zahl von Ackerbaukolonisteu aufzunehmen, und es hat noch außerdem
als Hoflieferant einen hohen Wert für das Mutterland. Vor der Naubwirt-
schaft, die die Wälder der Vereinigten Staaten vernichtet hat, sind seine un¬
geheuern Wälder nach Doves Ansicht sicher, weil sie in der für Ackerbau nicht
mehr geeigneten Zone liegen. Es kommen in Kanada auf einen Einwohner
59 Hektar Wald, in Schweden 4,1, in Deutschland 0,25, in England 0.03.
Die wirtschaftliche Eröffnung und Entwicklung Afrikas, meint der Verfasser,
hänge mehr als die der andern außereuropäischen Erdteile von den Leistungen
der Technik ab und habe darum noch eine große Zukunft. England besitze nun
die bequemsten Eingangstore ins Innere, und eigentlich nur als solche hätten
seine afrikanischen Kolonien Wert. An sich seien sie, besonders das tropische
Ostafrika, ziemlich wertlos. Eine verhängnisvolle Entwicklung erleide Südafrika.
Während das nicht sehr anziehende Kapland immerhin noch ziemlich gleich-


Altes und Neues ans England

dicht bevölkerte Land zur Not die für seine Bewohner erforderlichen Nahrungs¬
mittel erzeugt, kann es nicht durch Plantagen, sondern nur durch Besteuerung
ausgebeutet werden. Von seinen beiden Plantagcnerzcugnissen wird das eine,
die Baumwolle, größtenteils in Indien selbst verarbeitet, und das andre, das
Zuckerrohr, deckt noch nicht einmal den heimischen Zuckerbedarf. Ceylon ist
Plantagcnkolonie. In welchem Grade das Schicksal ganzer Länder durch wirt¬
schaftliche Bedürfnisse bestimmt wird, die oft gar keine Bedürfnisse, sondern nur
Moden oder Laster sind, wird an einigen asiatischen und afrikanischen Gebieten
gezeigt. Die Überschätzung der Gewürze, mit deren übermäßigem Genuß sich die
Europäer des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zu vergiften pflegten,
hat den bald zerronnenen Reichtum der Portugiesen und den dauerhaftern der
Holländer begründet. In der heutigen Weltwirtschaft spielen Pfeffer, Gewürz¬
nelken und Muskatnüsse keine Rolle mehr. Wären die Engländer nicht Tee-
trinkcr sondern Kaffcetrinker, meint Dove, so würden sie längst Java den
Holländern entrissen haben, und hätte sich vor dreißig Jahren schon die elektrische
und die Fahrradindustrie auf ihrer heutigen Höhe befunden, so wäre Kamerun
mit seinen Kautschukbeständcn nicht deutsch sondern englisch. Ein typisches
Beispiel für die vollständige Abhängigkeit eines Kolonialgebicts von dem
Wirtschaftsleben des beherrschenden Volkes ist die Insel Mauritius. Die Eng¬
länder haben sie ganz und gar mit Zuckerplantagen bedeckt. Obwohl sie zu
Afrika gehört, wohnten 1901 nur 432 Afrikaner dort, dagegen 108000 Weiße
und Mischlinge, 261000 indische Kukis und 3500 Chinesen.

Von den drei sogenannten Ackerbaukolonien Englands kommt als solche
nach Dove nur eine ernsthaft in Betracht. Australien ist seiner ganzen Be¬
schaffenheit nach, soweit es überhaupt bewohnt werden kann, nur ein Land für
Schafzüchter; für diese allerdings in solchem Grade geeignet, daß es die Woll¬
produktion für die ganze Welt zu monopolisieren vermag. Südafrika ist
größtenteils eine für Ackerbau kaum brauchbare und durch alle mögliche»
Verkehrshindernisse abschreckende Steppe. Dagegen vermag Kanada noch eine
große Zahl von Ackerbaukolonisteu aufzunehmen, und es hat noch außerdem
als Hoflieferant einen hohen Wert für das Mutterland. Vor der Naubwirt-
schaft, die die Wälder der Vereinigten Staaten vernichtet hat, sind seine un¬
geheuern Wälder nach Doves Ansicht sicher, weil sie in der für Ackerbau nicht
mehr geeigneten Zone liegen. Es kommen in Kanada auf einen Einwohner
59 Hektar Wald, in Schweden 4,1, in Deutschland 0,25, in England 0.03.
Die wirtschaftliche Eröffnung und Entwicklung Afrikas, meint der Verfasser,
hänge mehr als die der andern außereuropäischen Erdteile von den Leistungen
der Technik ab und habe darum noch eine große Zukunft. England besitze nun
die bequemsten Eingangstore ins Innere, und eigentlich nur als solche hätten
seine afrikanischen Kolonien Wert. An sich seien sie, besonders das tropische
Ostafrika, ziemlich wertlos. Eine verhängnisvolle Entwicklung erleide Südafrika.
Während das nicht sehr anziehende Kapland immerhin noch ziemlich gleich-


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[0311] Altes und Neues ans England dicht bevölkerte Land zur Not die für seine Bewohner erforderlichen Nahrungs¬ mittel erzeugt, kann es nicht durch Plantagen, sondern nur durch Besteuerung ausgebeutet werden. Von seinen beiden Plantagcnerzcugnissen wird das eine, die Baumwolle, größtenteils in Indien selbst verarbeitet, und das andre, das Zuckerrohr, deckt noch nicht einmal den heimischen Zuckerbedarf. Ceylon ist Plantagcnkolonie. In welchem Grade das Schicksal ganzer Länder durch wirt¬ schaftliche Bedürfnisse bestimmt wird, die oft gar keine Bedürfnisse, sondern nur Moden oder Laster sind, wird an einigen asiatischen und afrikanischen Gebieten gezeigt. Die Überschätzung der Gewürze, mit deren übermäßigem Genuß sich die Europäer des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts zu vergiften pflegten, hat den bald zerronnenen Reichtum der Portugiesen und den dauerhaftern der Holländer begründet. In der heutigen Weltwirtschaft spielen Pfeffer, Gewürz¬ nelken und Muskatnüsse keine Rolle mehr. Wären die Engländer nicht Tee- trinkcr sondern Kaffcetrinker, meint Dove, so würden sie längst Java den Holländern entrissen haben, und hätte sich vor dreißig Jahren schon die elektrische und die Fahrradindustrie auf ihrer heutigen Höhe befunden, so wäre Kamerun mit seinen Kautschukbeständcn nicht deutsch sondern englisch. Ein typisches Beispiel für die vollständige Abhängigkeit eines Kolonialgebicts von dem Wirtschaftsleben des beherrschenden Volkes ist die Insel Mauritius. Die Eng¬ länder haben sie ganz und gar mit Zuckerplantagen bedeckt. Obwohl sie zu Afrika gehört, wohnten 1901 nur 432 Afrikaner dort, dagegen 108000 Weiße und Mischlinge, 261000 indische Kukis und 3500 Chinesen. Von den drei sogenannten Ackerbaukolonien Englands kommt als solche nach Dove nur eine ernsthaft in Betracht. Australien ist seiner ganzen Be¬ schaffenheit nach, soweit es überhaupt bewohnt werden kann, nur ein Land für Schafzüchter; für diese allerdings in solchem Grade geeignet, daß es die Woll¬ produktion für die ganze Welt zu monopolisieren vermag. Südafrika ist größtenteils eine für Ackerbau kaum brauchbare und durch alle mögliche» Verkehrshindernisse abschreckende Steppe. Dagegen vermag Kanada noch eine große Zahl von Ackerbaukolonisteu aufzunehmen, und es hat noch außerdem als Hoflieferant einen hohen Wert für das Mutterland. Vor der Naubwirt- schaft, die die Wälder der Vereinigten Staaten vernichtet hat, sind seine un¬ geheuern Wälder nach Doves Ansicht sicher, weil sie in der für Ackerbau nicht mehr geeigneten Zone liegen. Es kommen in Kanada auf einen Einwohner 59 Hektar Wald, in Schweden 4,1, in Deutschland 0,25, in England 0.03. Die wirtschaftliche Eröffnung und Entwicklung Afrikas, meint der Verfasser, hänge mehr als die der andern außereuropäischen Erdteile von den Leistungen der Technik ab und habe darum noch eine große Zukunft. England besitze nun die bequemsten Eingangstore ins Innere, und eigentlich nur als solche hätten seine afrikanischen Kolonien Wert. An sich seien sie, besonders das tropische Ostafrika, ziemlich wertlos. Eine verhängnisvolle Entwicklung erleide Südafrika. Während das nicht sehr anziehende Kapland immerhin noch ziemlich gleich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/311>, abgerufen am 24.07.2024.