Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altes und Neues aus England

Was Dr. K, Dove, a. o. Professor der Geographie an der Universität
Jena, in der kleinen Schrift: Das britische Weltreich*) lehrt, ist an sich
alt: die Natur Englands und seiner Kolonialgebiete, aber doch in dieser
Darstellung ans mehreren Gründen neu zu nennen. Daß die Mineralschätze
Englands: Kohle und Eisen, erst im Maschinenzeitaltcr ihre Bedeutung für
das Wirtschaftsleben und die politische Macht der Engländer erlangen konnten,
während der Jnselcharakter, die Lage und die Bodengestalt schon seit Jahr¬
hunderten der englischen Politik die Richtung gegeben haben, ist allgemein
bekannt. Von Dove erfahren wir jedoch noch manches andre, zum Beispiel:
"Die Begünstigung britischer Häfen durch große Fluthöhen war ehemals, bei
dem geringen Tiefgang der früher verwendeten Fahrzeuge, eine ziemlich gleich-
giltige Erscheinung. Neuerdings bedeutet sie gegenüber vielen von diesen einen
ganz unbestreitbaren Vorzug, da selbst der Gütertransport zur See heute mit
ganz erheblich gcwcichsneu Schiffsgrößen rechnen muß." Scharf tritt er der
Ansicht entgegen, daß es allein die Industrie sei, die den Rückgang des Acker¬
baues verschuldet habe. England sei seinem Klima nach Weideland und für
den Anbau von Körnerfrüchten wenig geeignet. Deswegen würde es bei Zunahme
der Volksdichtigkcit jedenfalls ans den Import von Brodgetreide angewiesen
gewesen sein, und darauf habe sich der Volksinstinkt beizeiten eingerichtet. (Die
heutigen 34 Millionen Englands vermöchte keine noch so intensive heimische
Landwirtschaft zu ernähren.) Der starke Viehbestand aber habe die Engländer
an den reichlichen Fleischgenuß gewöhnt, dem sie ihre starken Leiber zu ver¬
danken haben.

Die mancherlei Beziehungen der Engländer zu ihren Kolonien und die
Art, wie sie diese benutzen, werden teils aus der natürlichen Beschaffenheit
dieser Länder, teils aus den wirtschaftlichen Bedürfnissen des herrschenden Volkes
erklärt. Das riesige indische Reich und seine 290 Millionen Bewohner mit
einer kleinen Armee im Gehorsam zu erhalten, wird durch die Schlaffheit
jener, die eine Wirkung des Klimas ist, möglich, und die Aufgabe wird dadurch
erleichtert, daß die Bevölkerung zugleich verstreut und zusammengedrängt wohnt:
zusammengedrängt in der Gangcsniederung, die nur ein Sechstel des Flächen¬
inhalts ausmacht, aber 42 Prozent der Bevölkerung beherbergt, verstreut in
den dicht wie in den dünn bevölkerten Gegenden insofern, als es sehr wenig
große Städte gibt, in denen sich etwaiger Widerstand konzentrieren könnte. Das
Volk lebt zum allergrößten Teil in Dörfern. In Indien kommen 1490 Menschen
auf einen Soldaten (die aus Eingebornen gebildeten Truppenteile eingerechnet),
in Algerien bloß 84. Wenn Dove diesen Unterschied auf die Genialität der
Engländer allein zurückführt, so ist doch wohl dem gegenüber auch zu bedenken,
daß die Kabylen ganz andre Kerls sind als die schlappen Hindu. Weil das



*) Erstes Heft einer größern Arbeit: Die angelsächsischen Riesenreiche, eine wirt-
schaftögeogravhische Untersuchung. Jena, Hermann Costenoble, Is06.
Altes und Neues aus England

Was Dr. K, Dove, a. o. Professor der Geographie an der Universität
Jena, in der kleinen Schrift: Das britische Weltreich*) lehrt, ist an sich
alt: die Natur Englands und seiner Kolonialgebiete, aber doch in dieser
Darstellung ans mehreren Gründen neu zu nennen. Daß die Mineralschätze
Englands: Kohle und Eisen, erst im Maschinenzeitaltcr ihre Bedeutung für
das Wirtschaftsleben und die politische Macht der Engländer erlangen konnten,
während der Jnselcharakter, die Lage und die Bodengestalt schon seit Jahr¬
hunderten der englischen Politik die Richtung gegeben haben, ist allgemein
bekannt. Von Dove erfahren wir jedoch noch manches andre, zum Beispiel:
„Die Begünstigung britischer Häfen durch große Fluthöhen war ehemals, bei
dem geringen Tiefgang der früher verwendeten Fahrzeuge, eine ziemlich gleich-
giltige Erscheinung. Neuerdings bedeutet sie gegenüber vielen von diesen einen
ganz unbestreitbaren Vorzug, da selbst der Gütertransport zur See heute mit
ganz erheblich gcwcichsneu Schiffsgrößen rechnen muß." Scharf tritt er der
Ansicht entgegen, daß es allein die Industrie sei, die den Rückgang des Acker¬
baues verschuldet habe. England sei seinem Klima nach Weideland und für
den Anbau von Körnerfrüchten wenig geeignet. Deswegen würde es bei Zunahme
der Volksdichtigkcit jedenfalls ans den Import von Brodgetreide angewiesen
gewesen sein, und darauf habe sich der Volksinstinkt beizeiten eingerichtet. (Die
heutigen 34 Millionen Englands vermöchte keine noch so intensive heimische
Landwirtschaft zu ernähren.) Der starke Viehbestand aber habe die Engländer
an den reichlichen Fleischgenuß gewöhnt, dem sie ihre starken Leiber zu ver¬
danken haben.

Die mancherlei Beziehungen der Engländer zu ihren Kolonien und die
Art, wie sie diese benutzen, werden teils aus der natürlichen Beschaffenheit
dieser Länder, teils aus den wirtschaftlichen Bedürfnissen des herrschenden Volkes
erklärt. Das riesige indische Reich und seine 290 Millionen Bewohner mit
einer kleinen Armee im Gehorsam zu erhalten, wird durch die Schlaffheit
jener, die eine Wirkung des Klimas ist, möglich, und die Aufgabe wird dadurch
erleichtert, daß die Bevölkerung zugleich verstreut und zusammengedrängt wohnt:
zusammengedrängt in der Gangcsniederung, die nur ein Sechstel des Flächen¬
inhalts ausmacht, aber 42 Prozent der Bevölkerung beherbergt, verstreut in
den dicht wie in den dünn bevölkerten Gegenden insofern, als es sehr wenig
große Städte gibt, in denen sich etwaiger Widerstand konzentrieren könnte. Das
Volk lebt zum allergrößten Teil in Dörfern. In Indien kommen 1490 Menschen
auf einen Soldaten (die aus Eingebornen gebildeten Truppenteile eingerechnet),
in Algerien bloß 84. Wenn Dove diesen Unterschied auf die Genialität der
Engländer allein zurückführt, so ist doch wohl dem gegenüber auch zu bedenken,
daß die Kabylen ganz andre Kerls sind als die schlappen Hindu. Weil das



*) Erstes Heft einer größern Arbeit: Die angelsächsischen Riesenreiche, eine wirt-
schaftögeogravhische Untersuchung. Jena, Hermann Costenoble, Is06.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301564"/>
          <fw type="header" place="top"> Altes und Neues aus England</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1051"> Was Dr. K, Dove, a. o. Professor der Geographie an der Universität<lb/>
Jena, in der kleinen Schrift: Das britische Weltreich*) lehrt, ist an sich<lb/>
alt: die Natur Englands und seiner Kolonialgebiete, aber doch in dieser<lb/>
Darstellung ans mehreren Gründen neu zu nennen. Daß die Mineralschätze<lb/>
Englands: Kohle und Eisen, erst im Maschinenzeitaltcr ihre Bedeutung für<lb/>
das Wirtschaftsleben und die politische Macht der Engländer erlangen konnten,<lb/>
während der Jnselcharakter, die Lage und die Bodengestalt schon seit Jahr¬<lb/>
hunderten der englischen Politik die Richtung gegeben haben, ist allgemein<lb/>
bekannt. Von Dove erfahren wir jedoch noch manches andre, zum Beispiel:<lb/>
&#x201E;Die Begünstigung britischer Häfen durch große Fluthöhen war ehemals, bei<lb/>
dem geringen Tiefgang der früher verwendeten Fahrzeuge, eine ziemlich gleich-<lb/>
giltige Erscheinung. Neuerdings bedeutet sie gegenüber vielen von diesen einen<lb/>
ganz unbestreitbaren Vorzug, da selbst der Gütertransport zur See heute mit<lb/>
ganz erheblich gcwcichsneu Schiffsgrößen rechnen muß." Scharf tritt er der<lb/>
Ansicht entgegen, daß es allein die Industrie sei, die den Rückgang des Acker¬<lb/>
baues verschuldet habe. England sei seinem Klima nach Weideland und für<lb/>
den Anbau von Körnerfrüchten wenig geeignet. Deswegen würde es bei Zunahme<lb/>
der Volksdichtigkcit jedenfalls ans den Import von Brodgetreide angewiesen<lb/>
gewesen sein, und darauf habe sich der Volksinstinkt beizeiten eingerichtet. (Die<lb/>
heutigen 34 Millionen Englands vermöchte keine noch so intensive heimische<lb/>
Landwirtschaft zu ernähren.) Der starke Viehbestand aber habe die Engländer<lb/>
an den reichlichen Fleischgenuß gewöhnt, dem sie ihre starken Leiber zu ver¬<lb/>
danken haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1052" next="#ID_1053"> Die mancherlei Beziehungen der Engländer zu ihren Kolonien und die<lb/>
Art, wie sie diese benutzen, werden teils aus der natürlichen Beschaffenheit<lb/>
dieser Länder, teils aus den wirtschaftlichen Bedürfnissen des herrschenden Volkes<lb/>
erklärt. Das riesige indische Reich und seine 290 Millionen Bewohner mit<lb/>
einer kleinen Armee im Gehorsam zu erhalten, wird durch die Schlaffheit<lb/>
jener, die eine Wirkung des Klimas ist, möglich, und die Aufgabe wird dadurch<lb/>
erleichtert, daß die Bevölkerung zugleich verstreut und zusammengedrängt wohnt:<lb/>
zusammengedrängt in der Gangcsniederung, die nur ein Sechstel des Flächen¬<lb/>
inhalts ausmacht, aber 42 Prozent der Bevölkerung beherbergt, verstreut in<lb/>
den dicht wie in den dünn bevölkerten Gegenden insofern, als es sehr wenig<lb/>
große Städte gibt, in denen sich etwaiger Widerstand konzentrieren könnte. Das<lb/>
Volk lebt zum allergrößten Teil in Dörfern. In Indien kommen 1490 Menschen<lb/>
auf einen Soldaten (die aus Eingebornen gebildeten Truppenteile eingerechnet),<lb/>
in Algerien bloß 84. Wenn Dove diesen Unterschied auf die Genialität der<lb/>
Engländer allein zurückführt, so ist doch wohl dem gegenüber auch zu bedenken,<lb/>
daß die Kabylen ganz andre Kerls sind als die schlappen Hindu.  Weil das</p><lb/>
          <note xml:id="FID_31" place="foot"> *) Erstes Heft einer größern Arbeit: Die angelsächsischen Riesenreiche, eine wirt-<lb/>
schaftögeogravhische Untersuchung. Jena, Hermann Costenoble, Is06.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] Altes und Neues aus England Was Dr. K, Dove, a. o. Professor der Geographie an der Universität Jena, in der kleinen Schrift: Das britische Weltreich*) lehrt, ist an sich alt: die Natur Englands und seiner Kolonialgebiete, aber doch in dieser Darstellung ans mehreren Gründen neu zu nennen. Daß die Mineralschätze Englands: Kohle und Eisen, erst im Maschinenzeitaltcr ihre Bedeutung für das Wirtschaftsleben und die politische Macht der Engländer erlangen konnten, während der Jnselcharakter, die Lage und die Bodengestalt schon seit Jahr¬ hunderten der englischen Politik die Richtung gegeben haben, ist allgemein bekannt. Von Dove erfahren wir jedoch noch manches andre, zum Beispiel: „Die Begünstigung britischer Häfen durch große Fluthöhen war ehemals, bei dem geringen Tiefgang der früher verwendeten Fahrzeuge, eine ziemlich gleich- giltige Erscheinung. Neuerdings bedeutet sie gegenüber vielen von diesen einen ganz unbestreitbaren Vorzug, da selbst der Gütertransport zur See heute mit ganz erheblich gcwcichsneu Schiffsgrößen rechnen muß." Scharf tritt er der Ansicht entgegen, daß es allein die Industrie sei, die den Rückgang des Acker¬ baues verschuldet habe. England sei seinem Klima nach Weideland und für den Anbau von Körnerfrüchten wenig geeignet. Deswegen würde es bei Zunahme der Volksdichtigkcit jedenfalls ans den Import von Brodgetreide angewiesen gewesen sein, und darauf habe sich der Volksinstinkt beizeiten eingerichtet. (Die heutigen 34 Millionen Englands vermöchte keine noch so intensive heimische Landwirtschaft zu ernähren.) Der starke Viehbestand aber habe die Engländer an den reichlichen Fleischgenuß gewöhnt, dem sie ihre starken Leiber zu ver¬ danken haben. Die mancherlei Beziehungen der Engländer zu ihren Kolonien und die Art, wie sie diese benutzen, werden teils aus der natürlichen Beschaffenheit dieser Länder, teils aus den wirtschaftlichen Bedürfnissen des herrschenden Volkes erklärt. Das riesige indische Reich und seine 290 Millionen Bewohner mit einer kleinen Armee im Gehorsam zu erhalten, wird durch die Schlaffheit jener, die eine Wirkung des Klimas ist, möglich, und die Aufgabe wird dadurch erleichtert, daß die Bevölkerung zugleich verstreut und zusammengedrängt wohnt: zusammengedrängt in der Gangcsniederung, die nur ein Sechstel des Flächen¬ inhalts ausmacht, aber 42 Prozent der Bevölkerung beherbergt, verstreut in den dicht wie in den dünn bevölkerten Gegenden insofern, als es sehr wenig große Städte gibt, in denen sich etwaiger Widerstand konzentrieren könnte. Das Volk lebt zum allergrößten Teil in Dörfern. In Indien kommen 1490 Menschen auf einen Soldaten (die aus Eingebornen gebildeten Truppenteile eingerechnet), in Algerien bloß 84. Wenn Dove diesen Unterschied auf die Genialität der Engländer allein zurückführt, so ist doch wohl dem gegenüber auch zu bedenken, daß die Kabylen ganz andre Kerls sind als die schlappen Hindu. Weil das *) Erstes Heft einer größern Arbeit: Die angelsächsischen Riesenreiche, eine wirt- schaftögeogravhische Untersuchung. Jena, Hermann Costenoble, Is06.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/310>, abgerufen am 24.07.2024.