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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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leite" der Lebensweise bietet, wie man sie im Osten nur ganz vereinzelt findet.
Die geplante Verteuerung des Reifens, die den Osten des Staats vom Süden
nud Westen noch mehr trennt, wird diesem Zuge nach dem Westen noch mehr
Vorschub leisten, ist also auch aus politischen Gründen nicht zu billigen. Der
Staat will doch dem Osten alle möglichen Vorteile verschaffen und sucht doch
Bewohner und Kolonisten nach dem Osten zu locken; durch die geplante Tarif¬
reform arbeitet er aber diesen Bestrebungen geradezu entgegen. Auch den Mit¬
gliedern des Beamtenstandes, den er doch durch allerlei künstliche Mittel im
Osten seßhaft zu macheu sucht, schlägt er mit dieser Maßregel geradezu ins
Gesicht, anstatt ihm den Verkehr und den Zusammenhang mit den westlichen
und südlichen Teilen unsers Vaterlandes durch billige und bequeme Eisen-
bahnfahrten zu erleichtern und zu begünstigen. Seitdem wir die Ostmarken-
Politik haben, ist ja mit Worten viel für den Osten getan worden, aber in
Wirklichkeit ist doch, besonders für den Beamtenstand, recht wenig geschehn.
Sehen wir uns doch einmal zum Beispiel in vielen kleinen Städten West¬
preußens oder Posens die Wohnungen oder vielmehr die Löcher an, in denen
die Beamten Hansen müssen! Verteuere mau also nicht den Beamten die Reisen
nach den schönen Gegenden unsers Vaterlandes!

Ob auch -- das sei die letzte unsrer Erwüguugeu -- die deutschen Eisen-
bcchnverwaltuugcn die Mehreinnahmen haben werden, die sie aus der geplanten
Reform erhoffen? Wir können es nicht recht glauben. Denn erstens wird
jeder den hohen Gepäcktarif zu vermeiden suchen, indem er, wie schon oben
erwähnt worden ist, sein Reisegepäck so verpackt, daß er es in? Abteil unter¬
bringen kann; und umgekehrt wird die Staatskasse eine Einbuße dadurch er¬
leiden, daß Gepäckstücke, die mehr als 25 Kilo -- Musterkoffer usw. -- wiegen,
in Zukunft bedeutend billiger befördert werden. Zweitens werden doch künftig¬
hin unbemittelte Personen manche Reisen unterlassen, zu denen sie sich bei
billigern Fahrpreisen vielleicht doch entschlossen hätten. Drittens -- und das
wird vielleicht ein bedeutender Einuahmeausfall sein -- werden viele Reisende,
die eben reisen müssen, durch die Not der Verhältnisse gezwungen, in einer
niedrigern Klasse fahren, als sie bisher gewohnt sind. Der Übergang aus den
höhern in die niedern Klassen wird recht bedeutend sein, und besonders aus
der dritten in die vierte Klasse, da diese sowohl von der lästigen Fahrkarten¬
steuer als auch von der geplanten Preissteigerung befreit ist, und somit die
Differenz zwischen der dritten und vierten Klasse noch größer geworden ist.
Aus allen diesen Gründen fürchten wir, daß die Staatskasse die erhofften und
erwünschten Mehreinnahmen nicht haben und hier dieselbe Enttäuschung erfahren
wird, die sie mit der verhaßten Fahrkartensteuer gehabt hat.

Wir kommen zum Schluß unsrer Betrachtungen. Noch ist die Reform
uicht eingeführt, noch ist es Zeit, sich mit aller Kraft dagegen zu wehren.
Das deutsche Volk -- wir stehen doch ini Zeichen des Verkehrs -- muß auf¬
gerüttelt werden, daß es Maßregeln nicht duldet, die den Verkehr hemmen und


leite» der Lebensweise bietet, wie man sie im Osten nur ganz vereinzelt findet.
Die geplante Verteuerung des Reifens, die den Osten des Staats vom Süden
nud Westen noch mehr trennt, wird diesem Zuge nach dem Westen noch mehr
Vorschub leisten, ist also auch aus politischen Gründen nicht zu billigen. Der
Staat will doch dem Osten alle möglichen Vorteile verschaffen und sucht doch
Bewohner und Kolonisten nach dem Osten zu locken; durch die geplante Tarif¬
reform arbeitet er aber diesen Bestrebungen geradezu entgegen. Auch den Mit¬
gliedern des Beamtenstandes, den er doch durch allerlei künstliche Mittel im
Osten seßhaft zu macheu sucht, schlägt er mit dieser Maßregel geradezu ins
Gesicht, anstatt ihm den Verkehr und den Zusammenhang mit den westlichen
und südlichen Teilen unsers Vaterlandes durch billige und bequeme Eisen-
bahnfahrten zu erleichtern und zu begünstigen. Seitdem wir die Ostmarken-
Politik haben, ist ja mit Worten viel für den Osten getan worden, aber in
Wirklichkeit ist doch, besonders für den Beamtenstand, recht wenig geschehn.
Sehen wir uns doch einmal zum Beispiel in vielen kleinen Städten West¬
preußens oder Posens die Wohnungen oder vielmehr die Löcher an, in denen
die Beamten Hansen müssen! Verteuere mau also nicht den Beamten die Reisen
nach den schönen Gegenden unsers Vaterlandes!

Ob auch — das sei die letzte unsrer Erwüguugeu — die deutschen Eisen-
bcchnverwaltuugcn die Mehreinnahmen haben werden, die sie aus der geplanten
Reform erhoffen? Wir können es nicht recht glauben. Denn erstens wird
jeder den hohen Gepäcktarif zu vermeiden suchen, indem er, wie schon oben
erwähnt worden ist, sein Reisegepäck so verpackt, daß er es in? Abteil unter¬
bringen kann; und umgekehrt wird die Staatskasse eine Einbuße dadurch er¬
leiden, daß Gepäckstücke, die mehr als 25 Kilo — Musterkoffer usw. — wiegen,
in Zukunft bedeutend billiger befördert werden. Zweitens werden doch künftig¬
hin unbemittelte Personen manche Reisen unterlassen, zu denen sie sich bei
billigern Fahrpreisen vielleicht doch entschlossen hätten. Drittens — und das
wird vielleicht ein bedeutender Einuahmeausfall sein — werden viele Reisende,
die eben reisen müssen, durch die Not der Verhältnisse gezwungen, in einer
niedrigern Klasse fahren, als sie bisher gewohnt sind. Der Übergang aus den
höhern in die niedern Klassen wird recht bedeutend sein, und besonders aus
der dritten in die vierte Klasse, da diese sowohl von der lästigen Fahrkarten¬
steuer als auch von der geplanten Preissteigerung befreit ist, und somit die
Differenz zwischen der dritten und vierten Klasse noch größer geworden ist.
Aus allen diesen Gründen fürchten wir, daß die Staatskasse die erhofften und
erwünschten Mehreinnahmen nicht haben und hier dieselbe Enttäuschung erfahren
wird, die sie mit der verhaßten Fahrkartensteuer gehabt hat.

Wir kommen zum Schluß unsrer Betrachtungen. Noch ist die Reform
uicht eingeführt, noch ist es Zeit, sich mit aller Kraft dagegen zu wehren.
Das deutsche Volk — wir stehen doch ini Zeichen des Verkehrs — muß auf¬
gerüttelt werden, daß es Maßregeln nicht duldet, die den Verkehr hemmen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/299>, abgerufen am 24.07.2024.