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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Bildung Und Bildungsmittel der Gegenwart

Auswahl der Mitarbeiter eine glückliche Hand gehabt. Sie sind nicht auf ein
gemeinsames Dogma oder Evangelium eingeschworen, etwa auf das Nietzschische
oder Haeckclsche oder Tolstoische oder Marxische oder das von Männern wie
Treitschke, aber sie stimmen allesamt darin überein, daß sie alles Exzentrische,
übertrieben Einseitige ablehnen und sich zu gesunden Ansichten bekennen. Wir
wollen das an einigen ihrer Aussprüche zeigen und schicken nur voraus, daß
der Band (der geheftet 16, in Leinwand gebunden 18 Mark kostet) in achtzehn
Abhandlungen folgende Themata behandelt: das Wesen der Kultur; das moderne
Bildungswesen; die wichtigsten Bildungsmittel: Schulen (Volksschule, Knaben-,
Mädchenschulen, Fach- und Fortbildungsschulen, geistes- und naturwissenschaft¬
liche Hochschulen), Museen, Ausstellungen, Musik, Theater, Zeitungswesen, das
Buch, die Bibliotheken; die Organisation der Wissenschaft.

In dem Essay über das Wesen der Kultur kommt Wilhelm Lexis natürlich
auch auf die Rassenfrage zu sprechen. Als unzweifelhaftes Rassenmerkmal erkennt
er nur die Farbe an. Von den Völkerfamilien, die die weiße Rasse ausmachen,
sagt er, ihre körperlichen Unterschiede seien nicht derart, daß man berechtigt
wäre, von verschiednen Rassen zu reden. "Die beiden wichtigsten Völkerfamilien
der weißen Rasse sind die arische und die semitische, von denen jede wieder in
mehrere Zweige zerlegt ist. Ihre Bedeutung für die allgemeine Kulturentwicklung
gegeneinander abzuwägen ist hier nicht die Aufgabe, und in wirklich wissen¬
schaftlichem Sinne läßt sich diese Frage wohl überhaupt nicht beantworten.
Semiten und Arier haben seit Jahrtausenden zur Ausbildung der als eine
geschichtliche Einheit erscheinenden orientalisch-europäischen Kultur zusammen¬
gewirkt, und zwar haben die semitischen Völker, denen sich auch die Ägypter
zunächst anschlössen, zeitlich den Vortritt gehabt." Von der sozialen Frage
meint er, daß sie etwas durchaus neues sei. Denn es handle sich heute nicht
um den alten Gegensatz von Arm und Reich, auch nicht um den von Herr
und Sklave, sondern um den zwischen Kapital und Arbeit (der doch wohl
praktisch einigermaßen mit dem von Herr und Knecht zusammenfüllt). Um es
genauer zu bestimmen, darum, daß erst für eine hinreichende Produktenmenge
gesorgt werden müsse, ehe zur bessern Verteilung geschritten werden könne, und
daß nur durch den Großbetrieb die höchste mögliche Steigerung der Produktivität
der Arbeit erreicht werde. Im Ausblick auf die Zukunft wird bemerkt, vorläufig
seien zwar malthusische Befürchtungen noch unbegründet. Aber wenn das
Menschengeschlecht fortfahre, sich in der bisherigen Progression zu vermehren,
müsse doch zuguderletzt ein Mißverhältnis zwischen Bevölkerung und nutzbarer
Bodenfläche entstehen. Sollte eine automatische Hemmung eintreten, bestehend
in Entartung durch Überfeineruug, so würde sie nicht weniger ein Übel sein
als die bekannten repressiv"? oiisolls. Gelänge es aber, nach den Berechnungen
der Optimisten dnrch eine über die ganze Erdoberfläche verbreitete Treibhaus¬
kultur die auf das zweihuudertfache der jetzigen Zahl angewachsne Bevölkerung
mit Nahrungsmitteln zu versorgen, so würde auch dieser Zustand als ein großes


Bildung Und Bildungsmittel der Gegenwart

Auswahl der Mitarbeiter eine glückliche Hand gehabt. Sie sind nicht auf ein
gemeinsames Dogma oder Evangelium eingeschworen, etwa auf das Nietzschische
oder Haeckclsche oder Tolstoische oder Marxische oder das von Männern wie
Treitschke, aber sie stimmen allesamt darin überein, daß sie alles Exzentrische,
übertrieben Einseitige ablehnen und sich zu gesunden Ansichten bekennen. Wir
wollen das an einigen ihrer Aussprüche zeigen und schicken nur voraus, daß
der Band (der geheftet 16, in Leinwand gebunden 18 Mark kostet) in achtzehn
Abhandlungen folgende Themata behandelt: das Wesen der Kultur; das moderne
Bildungswesen; die wichtigsten Bildungsmittel: Schulen (Volksschule, Knaben-,
Mädchenschulen, Fach- und Fortbildungsschulen, geistes- und naturwissenschaft¬
liche Hochschulen), Museen, Ausstellungen, Musik, Theater, Zeitungswesen, das
Buch, die Bibliotheken; die Organisation der Wissenschaft.

In dem Essay über das Wesen der Kultur kommt Wilhelm Lexis natürlich
auch auf die Rassenfrage zu sprechen. Als unzweifelhaftes Rassenmerkmal erkennt
er nur die Farbe an. Von den Völkerfamilien, die die weiße Rasse ausmachen,
sagt er, ihre körperlichen Unterschiede seien nicht derart, daß man berechtigt
wäre, von verschiednen Rassen zu reden. „Die beiden wichtigsten Völkerfamilien
der weißen Rasse sind die arische und die semitische, von denen jede wieder in
mehrere Zweige zerlegt ist. Ihre Bedeutung für die allgemeine Kulturentwicklung
gegeneinander abzuwägen ist hier nicht die Aufgabe, und in wirklich wissen¬
schaftlichem Sinne läßt sich diese Frage wohl überhaupt nicht beantworten.
Semiten und Arier haben seit Jahrtausenden zur Ausbildung der als eine
geschichtliche Einheit erscheinenden orientalisch-europäischen Kultur zusammen¬
gewirkt, und zwar haben die semitischen Völker, denen sich auch die Ägypter
zunächst anschlössen, zeitlich den Vortritt gehabt." Von der sozialen Frage
meint er, daß sie etwas durchaus neues sei. Denn es handle sich heute nicht
um den alten Gegensatz von Arm und Reich, auch nicht um den von Herr
und Sklave, sondern um den zwischen Kapital und Arbeit (der doch wohl
praktisch einigermaßen mit dem von Herr und Knecht zusammenfüllt). Um es
genauer zu bestimmen, darum, daß erst für eine hinreichende Produktenmenge
gesorgt werden müsse, ehe zur bessern Verteilung geschritten werden könne, und
daß nur durch den Großbetrieb die höchste mögliche Steigerung der Produktivität
der Arbeit erreicht werde. Im Ausblick auf die Zukunft wird bemerkt, vorläufig
seien zwar malthusische Befürchtungen noch unbegründet. Aber wenn das
Menschengeschlecht fortfahre, sich in der bisherigen Progression zu vermehren,
müsse doch zuguderletzt ein Mißverhältnis zwischen Bevölkerung und nutzbarer
Bodenfläche entstehen. Sollte eine automatische Hemmung eintreten, bestehend
in Entartung durch Überfeineruug, so würde sie nicht weniger ein Übel sein
als die bekannten repressiv«? oiisolls. Gelänge es aber, nach den Berechnungen
der Optimisten dnrch eine über die ganze Erdoberfläche verbreitete Treibhaus¬
kultur die auf das zweihuudertfache der jetzigen Zahl angewachsne Bevölkerung
mit Nahrungsmitteln zu versorgen, so würde auch dieser Zustand als ein großes


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[0250] Bildung Und Bildungsmittel der Gegenwart Auswahl der Mitarbeiter eine glückliche Hand gehabt. Sie sind nicht auf ein gemeinsames Dogma oder Evangelium eingeschworen, etwa auf das Nietzschische oder Haeckclsche oder Tolstoische oder Marxische oder das von Männern wie Treitschke, aber sie stimmen allesamt darin überein, daß sie alles Exzentrische, übertrieben Einseitige ablehnen und sich zu gesunden Ansichten bekennen. Wir wollen das an einigen ihrer Aussprüche zeigen und schicken nur voraus, daß der Band (der geheftet 16, in Leinwand gebunden 18 Mark kostet) in achtzehn Abhandlungen folgende Themata behandelt: das Wesen der Kultur; das moderne Bildungswesen; die wichtigsten Bildungsmittel: Schulen (Volksschule, Knaben-, Mädchenschulen, Fach- und Fortbildungsschulen, geistes- und naturwissenschaft¬ liche Hochschulen), Museen, Ausstellungen, Musik, Theater, Zeitungswesen, das Buch, die Bibliotheken; die Organisation der Wissenschaft. In dem Essay über das Wesen der Kultur kommt Wilhelm Lexis natürlich auch auf die Rassenfrage zu sprechen. Als unzweifelhaftes Rassenmerkmal erkennt er nur die Farbe an. Von den Völkerfamilien, die die weiße Rasse ausmachen, sagt er, ihre körperlichen Unterschiede seien nicht derart, daß man berechtigt wäre, von verschiednen Rassen zu reden. „Die beiden wichtigsten Völkerfamilien der weißen Rasse sind die arische und die semitische, von denen jede wieder in mehrere Zweige zerlegt ist. Ihre Bedeutung für die allgemeine Kulturentwicklung gegeneinander abzuwägen ist hier nicht die Aufgabe, und in wirklich wissen¬ schaftlichem Sinne läßt sich diese Frage wohl überhaupt nicht beantworten. Semiten und Arier haben seit Jahrtausenden zur Ausbildung der als eine geschichtliche Einheit erscheinenden orientalisch-europäischen Kultur zusammen¬ gewirkt, und zwar haben die semitischen Völker, denen sich auch die Ägypter zunächst anschlössen, zeitlich den Vortritt gehabt." Von der sozialen Frage meint er, daß sie etwas durchaus neues sei. Denn es handle sich heute nicht um den alten Gegensatz von Arm und Reich, auch nicht um den von Herr und Sklave, sondern um den zwischen Kapital und Arbeit (der doch wohl praktisch einigermaßen mit dem von Herr und Knecht zusammenfüllt). Um es genauer zu bestimmen, darum, daß erst für eine hinreichende Produktenmenge gesorgt werden müsse, ehe zur bessern Verteilung geschritten werden könne, und daß nur durch den Großbetrieb die höchste mögliche Steigerung der Produktivität der Arbeit erreicht werde. Im Ausblick auf die Zukunft wird bemerkt, vorläufig seien zwar malthusische Befürchtungen noch unbegründet. Aber wenn das Menschengeschlecht fortfahre, sich in der bisherigen Progression zu vermehren, müsse doch zuguderletzt ein Mißverhältnis zwischen Bevölkerung und nutzbarer Bodenfläche entstehen. Sollte eine automatische Hemmung eintreten, bestehend in Entartung durch Überfeineruug, so würde sie nicht weniger ein Übel sein als die bekannten repressiv«? oiisolls. Gelänge es aber, nach den Berechnungen der Optimisten dnrch eine über die ganze Erdoberfläche verbreitete Treibhaus¬ kultur die auf das zweihuudertfache der jetzigen Zahl angewachsne Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zu versorgen, so würde auch dieser Zustand als ein großes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/250>, abgerufen am 04.07.2024.