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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Das Mexiko des Porsirio Diaz

Protest. Ehe aber noch eine Entscheidung mit den Waffen erfolgte, starb
Präsident Juarez am 18. Juli 1872, und an seine Stelle trat auf Grund
der damals giltigen Konstitution Lerdo de Tejeda, der Präsident des obersten
Gerichtshofes, den Diaz zunächst unterstützte, dann aber infolge der reaktionären
Maßnahmen der neuen Negierung erbittert bekämpfte. Zuerst kommandierte
er Truppen im Norden der Republik gegen die Generale Lerdos und begab
sich dann auf dem Seewege, wobei er nur mit knapper Not dem Tode von
Feindeshand entging, nach Vera Cruz und von dort nach Oaxaca, wo es ihm
in kürzester Zeit gelang, ein Heer von 4000 Veteranen zu sammeln, die früher
unter ihm gedient hatten. In schnellem Siegeszuge besetzte er Puebla und
erschien mit seiner inzwischen auf 12000 Mann angewachsnen Macht am 23. No¬
vember 1876 vor der Hauptstadt. Am nächsten Tage zog er in Mexiko ein
und nahm Quartier im Nationalpalast.

Mit diesem Tage begann ein neuer, hochbedeutsamer Abschnitt in der mexi¬
kanischen Geschichte. Zweiundfünfzig Staatsoberhäupter hatten nacheinander das
Land in den letzten neunundfünfzig Jahren regiert. Wirtschaftlich war Mexiko
an den Rand des Verderbens gebracht worden. Politisch war es so zerrissen,
daß niemand Aussicht zu haben schien, sich in der Präsidentschaft halten zu
können. Da geschah das Unerwartete, wie so oft im Leben der Völker. Diaz war
Präsident von 1876 bis 1380, überließ von 1880 bis 1884 die Präsidentschaft
seinem Freunde Gonzalez und ist seit 1884 immer wieder zum Präsidenten
gewählt worden, wodurch eine Kontinuität der Negierung geschaffen worden
ist, die keine andre Republik aufzuweisen hat.

Der Wahlspruch des Präsidenten, den die Verfasserin leider nicht er¬
wähnt, ist: Wenig Politik, viel Verwaltung. Zunächst handelte es sich darum,
Ruhe und Ordnung herzustellen. Als Diaz zur Regierung kam, war die
Unsicherheit des Landes so groß, daß Reisende kaum von einem Ort zum
andern fahren konnten, ohne unterwegs von Banditen ausgeplündert zu
werden. Die Banditen waren dabei oft so unhöflich, daß sie den Ausge¬
plünderten nicht ein einziges Kleidungsstück ließen, sodaß diese oft nur mit
Zeitungen bedeckt am Bestimmungsort aus der Postkutsche herauskrochen.
Mrs. Tweedie schildert in richtiger Weise, wie Diaz diesem Banditenwesen
in kluger Weise dadurch ein Ende bereitete, daß er sie als Gendarmen (Rurales)
mit vorzüglicher Besoldung in den Staatsdienst stellte und mit diesen dann
das Land von den Räuberbanden säuberte. Es soll dabei vorgekommen sein,
daß er zwei besonders gefährliche Banden engagierte, ohne daß eine dies von
der andern erfuhr, und dann beiden den Auftrag gab, die andre abzufangen,
wobei sie sich dann fast ganz ausrieben. Daß in den ersten Jahren der
Präsidentschaft Don Porsirios sehr viel Blut geflossen ist, übergeht Mrs.
Tweedie mit Stillschweigen. Der Erfolg hat dem Präsidenten in so hohem
Maße Recht gegeben, daß man mit Sicherheit annehmen kann, daß die heutigen
friedlichen Zustände, wo man unbewaffnet durchs ganze Land reisen kann,
ohne drakonische Maßnahmen nicht eingetreten wären.

Die genialste Leistung des Präsidenten war aber die systematische Be-


Das Mexiko des Porsirio Diaz

Protest. Ehe aber noch eine Entscheidung mit den Waffen erfolgte, starb
Präsident Juarez am 18. Juli 1872, und an seine Stelle trat auf Grund
der damals giltigen Konstitution Lerdo de Tejeda, der Präsident des obersten
Gerichtshofes, den Diaz zunächst unterstützte, dann aber infolge der reaktionären
Maßnahmen der neuen Negierung erbittert bekämpfte. Zuerst kommandierte
er Truppen im Norden der Republik gegen die Generale Lerdos und begab
sich dann auf dem Seewege, wobei er nur mit knapper Not dem Tode von
Feindeshand entging, nach Vera Cruz und von dort nach Oaxaca, wo es ihm
in kürzester Zeit gelang, ein Heer von 4000 Veteranen zu sammeln, die früher
unter ihm gedient hatten. In schnellem Siegeszuge besetzte er Puebla und
erschien mit seiner inzwischen auf 12000 Mann angewachsnen Macht am 23. No¬
vember 1876 vor der Hauptstadt. Am nächsten Tage zog er in Mexiko ein
und nahm Quartier im Nationalpalast.

Mit diesem Tage begann ein neuer, hochbedeutsamer Abschnitt in der mexi¬
kanischen Geschichte. Zweiundfünfzig Staatsoberhäupter hatten nacheinander das
Land in den letzten neunundfünfzig Jahren regiert. Wirtschaftlich war Mexiko
an den Rand des Verderbens gebracht worden. Politisch war es so zerrissen,
daß niemand Aussicht zu haben schien, sich in der Präsidentschaft halten zu
können. Da geschah das Unerwartete, wie so oft im Leben der Völker. Diaz war
Präsident von 1876 bis 1380, überließ von 1880 bis 1884 die Präsidentschaft
seinem Freunde Gonzalez und ist seit 1884 immer wieder zum Präsidenten
gewählt worden, wodurch eine Kontinuität der Negierung geschaffen worden
ist, die keine andre Republik aufzuweisen hat.

Der Wahlspruch des Präsidenten, den die Verfasserin leider nicht er¬
wähnt, ist: Wenig Politik, viel Verwaltung. Zunächst handelte es sich darum,
Ruhe und Ordnung herzustellen. Als Diaz zur Regierung kam, war die
Unsicherheit des Landes so groß, daß Reisende kaum von einem Ort zum
andern fahren konnten, ohne unterwegs von Banditen ausgeplündert zu
werden. Die Banditen waren dabei oft so unhöflich, daß sie den Ausge¬
plünderten nicht ein einziges Kleidungsstück ließen, sodaß diese oft nur mit
Zeitungen bedeckt am Bestimmungsort aus der Postkutsche herauskrochen.
Mrs. Tweedie schildert in richtiger Weise, wie Diaz diesem Banditenwesen
in kluger Weise dadurch ein Ende bereitete, daß er sie als Gendarmen (Rurales)
mit vorzüglicher Besoldung in den Staatsdienst stellte und mit diesen dann
das Land von den Räuberbanden säuberte. Es soll dabei vorgekommen sein,
daß er zwei besonders gefährliche Banden engagierte, ohne daß eine dies von
der andern erfuhr, und dann beiden den Auftrag gab, die andre abzufangen,
wobei sie sich dann fast ganz ausrieben. Daß in den ersten Jahren der
Präsidentschaft Don Porsirios sehr viel Blut geflossen ist, übergeht Mrs.
Tweedie mit Stillschweigen. Der Erfolg hat dem Präsidenten in so hohem
Maße Recht gegeben, daß man mit Sicherheit annehmen kann, daß die heutigen
friedlichen Zustände, wo man unbewaffnet durchs ganze Land reisen kann,
ohne drakonische Maßnahmen nicht eingetreten wären.

Die genialste Leistung des Präsidenten war aber die systematische Be-


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[0245] Das Mexiko des Porsirio Diaz Protest. Ehe aber noch eine Entscheidung mit den Waffen erfolgte, starb Präsident Juarez am 18. Juli 1872, und an seine Stelle trat auf Grund der damals giltigen Konstitution Lerdo de Tejeda, der Präsident des obersten Gerichtshofes, den Diaz zunächst unterstützte, dann aber infolge der reaktionären Maßnahmen der neuen Negierung erbittert bekämpfte. Zuerst kommandierte er Truppen im Norden der Republik gegen die Generale Lerdos und begab sich dann auf dem Seewege, wobei er nur mit knapper Not dem Tode von Feindeshand entging, nach Vera Cruz und von dort nach Oaxaca, wo es ihm in kürzester Zeit gelang, ein Heer von 4000 Veteranen zu sammeln, die früher unter ihm gedient hatten. In schnellem Siegeszuge besetzte er Puebla und erschien mit seiner inzwischen auf 12000 Mann angewachsnen Macht am 23. No¬ vember 1876 vor der Hauptstadt. Am nächsten Tage zog er in Mexiko ein und nahm Quartier im Nationalpalast. Mit diesem Tage begann ein neuer, hochbedeutsamer Abschnitt in der mexi¬ kanischen Geschichte. Zweiundfünfzig Staatsoberhäupter hatten nacheinander das Land in den letzten neunundfünfzig Jahren regiert. Wirtschaftlich war Mexiko an den Rand des Verderbens gebracht worden. Politisch war es so zerrissen, daß niemand Aussicht zu haben schien, sich in der Präsidentschaft halten zu können. Da geschah das Unerwartete, wie so oft im Leben der Völker. Diaz war Präsident von 1876 bis 1380, überließ von 1880 bis 1884 die Präsidentschaft seinem Freunde Gonzalez und ist seit 1884 immer wieder zum Präsidenten gewählt worden, wodurch eine Kontinuität der Negierung geschaffen worden ist, die keine andre Republik aufzuweisen hat. Der Wahlspruch des Präsidenten, den die Verfasserin leider nicht er¬ wähnt, ist: Wenig Politik, viel Verwaltung. Zunächst handelte es sich darum, Ruhe und Ordnung herzustellen. Als Diaz zur Regierung kam, war die Unsicherheit des Landes so groß, daß Reisende kaum von einem Ort zum andern fahren konnten, ohne unterwegs von Banditen ausgeplündert zu werden. Die Banditen waren dabei oft so unhöflich, daß sie den Ausge¬ plünderten nicht ein einziges Kleidungsstück ließen, sodaß diese oft nur mit Zeitungen bedeckt am Bestimmungsort aus der Postkutsche herauskrochen. Mrs. Tweedie schildert in richtiger Weise, wie Diaz diesem Banditenwesen in kluger Weise dadurch ein Ende bereitete, daß er sie als Gendarmen (Rurales) mit vorzüglicher Besoldung in den Staatsdienst stellte und mit diesen dann das Land von den Räuberbanden säuberte. Es soll dabei vorgekommen sein, daß er zwei besonders gefährliche Banden engagierte, ohne daß eine dies von der andern erfuhr, und dann beiden den Auftrag gab, die andre abzufangen, wobei sie sich dann fast ganz ausrieben. Daß in den ersten Jahren der Präsidentschaft Don Porsirios sehr viel Blut geflossen ist, übergeht Mrs. Tweedie mit Stillschweigen. Der Erfolg hat dem Präsidenten in so hohem Maße Recht gegeben, daß man mit Sicherheit annehmen kann, daß die heutigen friedlichen Zustände, wo man unbewaffnet durchs ganze Land reisen kann, ohne drakonische Maßnahmen nicht eingetreten wären. Die genialste Leistung des Präsidenten war aber die systematische Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/245>, abgerufen am 24.07.2024.