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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Das Mexiko des j)orfirio Diaz

einem kurzen Dauertrab, auch wenn er Lasten von einem halben Zentner
und darüber auf dem Rücken hat. Das kann man noch heute täglich in
Mexiko beobachten, wenn man die Indianer an den Markttagen mit ihren
Produkten aus oft vierzig und fünfzig Kilometer entfernten Orten in die Stadt
laufen sieht. Im Kriege gab diese Beweglichkeit seiner Truppen Diaz die
Möglichkeit, sowie er die Anwesenheit einer feindlichen Abteilung an einem
bestimmten Punkte erfahren hatte, sich in Eilmärschen auf ihn zu werfen, ehe von
den nur halb so schnell marschierenden Franzosen Hilfe gebracht werden konnte.

Von Puebla aus rückte Diaz gegen die Hauptstadt Mexiko und schlug auf
dem Wege dahin den kaiserlichen General Marquez, der unter Mißachtung der
ihn? von Maximilian gegebnen Befehle nicht mit Ersatztruppen nach Queretaro,
sondern nach Puebla marschiert war, ohne zu wissen, daß dieses schon von Diaz
eingenommen war. Marquez zog mit seinen Truppen in die Hauptstadt zurück,
und kurz darauf begann die Belagerung durch Diaz, die ihr Ende erst erreichte,
nachdem die Würfel in Queretaro schon zuungunsten des unglücklichen Habs¬
burgers gefallen waren, und dieser mit dem Tode für die kurze Kaiserherrlich¬
keit hatte büßen müssen.

Die Verfasserin vermeidet es, die Frage zu ventilieren, was mit Maximilian
geschehen wäre, wenn er in der Hauptstadt geblieben und sich an Diaz ergeben
hätte und nicht in die Hände des rohen und blutdürstigen Escobedo gefallen
wäre. Und doch liegt diese Frage bei den aus dem Werke so schön hervor¬
leuchtenden Charaktereigenschaften des Generals sehr nahe. Immer wieder
hat Diaz seine Müßigung, von der schon oben ein Beispiel angeführt wurde,
bewiesen. Als er schon die Nachricht erhalten hatte, daß Escobedo am
15. Mai 1867 in Queretaro eingezogen war, machte er dem in Mexiko ein¬
geschlossenen Marquez noch den Vorschlag, alle Waffen und Munition abzu¬
liefern und sich mit seinen Truppen, Offizieren und den ausländischen Beamten
in Vera Cruz nach Österreich einzuschiffen. Und als Diaz Mexiko einge¬
nommen hatte, erlaubte er dem österreichischem Befehlshaber Prinz Kheven-
hüller seine Waffen und den Oberbefehl über die österreichischen Truppen noch
drei Tage zu behalten und sich dann nach Ablieferung der Waffen mit seinen
Leuten nach Europa zu begeben. Diaz hat Maximilian, wie er auch Mrs.
Tweedie erzählt hat, nie gesehen, aber ihr gesagt: "Er hat mir von Herzen
leid getan." Es ist nach diesen Worten kaum anzunehmen, daß er so wie
Escobedo an dem Kaiser gehandelt Hütte.

Durch die Verrätern des kaiserlichen Stabsoffiziers Miguel Lopez war
Queretaro nach einer vom 12. März bis 15. Mai währenden Belagerung in
die Hände Escobedos gefallen. Interessant und neu ist die auf eiuer Er¬
zählung des bei der Erstürmung beteiligten Obersten Jose Rincon Gallardo
beruhende Version, wonach dieser den Kaiser Hütte retten wollen, indem er
seinen Truppen bei der Annäherung Maximilians und eines Begleiters zuge¬
rufen hätte: Laßt sie durch, sie sind Bürger. Immerhin ist es möglich, daß
es unter Escobedos Offizieren einige gab, die eine Flucht des Kaisers gern
gesehen hätten, aber diese Bestrebungen scheiterten an dem unerschütterlichen


Das Mexiko des j)orfirio Diaz

einem kurzen Dauertrab, auch wenn er Lasten von einem halben Zentner
und darüber auf dem Rücken hat. Das kann man noch heute täglich in
Mexiko beobachten, wenn man die Indianer an den Markttagen mit ihren
Produkten aus oft vierzig und fünfzig Kilometer entfernten Orten in die Stadt
laufen sieht. Im Kriege gab diese Beweglichkeit seiner Truppen Diaz die
Möglichkeit, sowie er die Anwesenheit einer feindlichen Abteilung an einem
bestimmten Punkte erfahren hatte, sich in Eilmärschen auf ihn zu werfen, ehe von
den nur halb so schnell marschierenden Franzosen Hilfe gebracht werden konnte.

Von Puebla aus rückte Diaz gegen die Hauptstadt Mexiko und schlug auf
dem Wege dahin den kaiserlichen General Marquez, der unter Mißachtung der
ihn? von Maximilian gegebnen Befehle nicht mit Ersatztruppen nach Queretaro,
sondern nach Puebla marschiert war, ohne zu wissen, daß dieses schon von Diaz
eingenommen war. Marquez zog mit seinen Truppen in die Hauptstadt zurück,
und kurz darauf begann die Belagerung durch Diaz, die ihr Ende erst erreichte,
nachdem die Würfel in Queretaro schon zuungunsten des unglücklichen Habs¬
burgers gefallen waren, und dieser mit dem Tode für die kurze Kaiserherrlich¬
keit hatte büßen müssen.

Die Verfasserin vermeidet es, die Frage zu ventilieren, was mit Maximilian
geschehen wäre, wenn er in der Hauptstadt geblieben und sich an Diaz ergeben
hätte und nicht in die Hände des rohen und blutdürstigen Escobedo gefallen
wäre. Und doch liegt diese Frage bei den aus dem Werke so schön hervor¬
leuchtenden Charaktereigenschaften des Generals sehr nahe. Immer wieder
hat Diaz seine Müßigung, von der schon oben ein Beispiel angeführt wurde,
bewiesen. Als er schon die Nachricht erhalten hatte, daß Escobedo am
15. Mai 1867 in Queretaro eingezogen war, machte er dem in Mexiko ein¬
geschlossenen Marquez noch den Vorschlag, alle Waffen und Munition abzu¬
liefern und sich mit seinen Truppen, Offizieren und den ausländischen Beamten
in Vera Cruz nach Österreich einzuschiffen. Und als Diaz Mexiko einge¬
nommen hatte, erlaubte er dem österreichischem Befehlshaber Prinz Kheven-
hüller seine Waffen und den Oberbefehl über die österreichischen Truppen noch
drei Tage zu behalten und sich dann nach Ablieferung der Waffen mit seinen
Leuten nach Europa zu begeben. Diaz hat Maximilian, wie er auch Mrs.
Tweedie erzählt hat, nie gesehen, aber ihr gesagt: „Er hat mir von Herzen
leid getan." Es ist nach diesen Worten kaum anzunehmen, daß er so wie
Escobedo an dem Kaiser gehandelt Hütte.

Durch die Verrätern des kaiserlichen Stabsoffiziers Miguel Lopez war
Queretaro nach einer vom 12. März bis 15. Mai währenden Belagerung in
die Hände Escobedos gefallen. Interessant und neu ist die auf eiuer Er¬
zählung des bei der Erstürmung beteiligten Obersten Jose Rincon Gallardo
beruhende Version, wonach dieser den Kaiser Hütte retten wollen, indem er
seinen Truppen bei der Annäherung Maximilians und eines Begleiters zuge¬
rufen hätte: Laßt sie durch, sie sind Bürger. Immerhin ist es möglich, daß
es unter Escobedos Offizieren einige gab, die eine Flucht des Kaisers gern
gesehen hätten, aber diese Bestrebungen scheiterten an dem unerschütterlichen


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[0243] Das Mexiko des j)orfirio Diaz einem kurzen Dauertrab, auch wenn er Lasten von einem halben Zentner und darüber auf dem Rücken hat. Das kann man noch heute täglich in Mexiko beobachten, wenn man die Indianer an den Markttagen mit ihren Produkten aus oft vierzig und fünfzig Kilometer entfernten Orten in die Stadt laufen sieht. Im Kriege gab diese Beweglichkeit seiner Truppen Diaz die Möglichkeit, sowie er die Anwesenheit einer feindlichen Abteilung an einem bestimmten Punkte erfahren hatte, sich in Eilmärschen auf ihn zu werfen, ehe von den nur halb so schnell marschierenden Franzosen Hilfe gebracht werden konnte. Von Puebla aus rückte Diaz gegen die Hauptstadt Mexiko und schlug auf dem Wege dahin den kaiserlichen General Marquez, der unter Mißachtung der ihn? von Maximilian gegebnen Befehle nicht mit Ersatztruppen nach Queretaro, sondern nach Puebla marschiert war, ohne zu wissen, daß dieses schon von Diaz eingenommen war. Marquez zog mit seinen Truppen in die Hauptstadt zurück, und kurz darauf begann die Belagerung durch Diaz, die ihr Ende erst erreichte, nachdem die Würfel in Queretaro schon zuungunsten des unglücklichen Habs¬ burgers gefallen waren, und dieser mit dem Tode für die kurze Kaiserherrlich¬ keit hatte büßen müssen. Die Verfasserin vermeidet es, die Frage zu ventilieren, was mit Maximilian geschehen wäre, wenn er in der Hauptstadt geblieben und sich an Diaz ergeben hätte und nicht in die Hände des rohen und blutdürstigen Escobedo gefallen wäre. Und doch liegt diese Frage bei den aus dem Werke so schön hervor¬ leuchtenden Charaktereigenschaften des Generals sehr nahe. Immer wieder hat Diaz seine Müßigung, von der schon oben ein Beispiel angeführt wurde, bewiesen. Als er schon die Nachricht erhalten hatte, daß Escobedo am 15. Mai 1867 in Queretaro eingezogen war, machte er dem in Mexiko ein¬ geschlossenen Marquez noch den Vorschlag, alle Waffen und Munition abzu¬ liefern und sich mit seinen Truppen, Offizieren und den ausländischen Beamten in Vera Cruz nach Österreich einzuschiffen. Und als Diaz Mexiko einge¬ nommen hatte, erlaubte er dem österreichischem Befehlshaber Prinz Kheven- hüller seine Waffen und den Oberbefehl über die österreichischen Truppen noch drei Tage zu behalten und sich dann nach Ablieferung der Waffen mit seinen Leuten nach Europa zu begeben. Diaz hat Maximilian, wie er auch Mrs. Tweedie erzählt hat, nie gesehen, aber ihr gesagt: „Er hat mir von Herzen leid getan." Es ist nach diesen Worten kaum anzunehmen, daß er so wie Escobedo an dem Kaiser gehandelt Hütte. Durch die Verrätern des kaiserlichen Stabsoffiziers Miguel Lopez war Queretaro nach einer vom 12. März bis 15. Mai währenden Belagerung in die Hände Escobedos gefallen. Interessant und neu ist die auf eiuer Er¬ zählung des bei der Erstürmung beteiligten Obersten Jose Rincon Gallardo beruhende Version, wonach dieser den Kaiser Hütte retten wollen, indem er seinen Truppen bei der Annäherung Maximilians und eines Begleiters zuge¬ rufen hätte: Laßt sie durch, sie sind Bürger. Immerhin ist es möglich, daß es unter Escobedos Offizieren einige gab, die eine Flucht des Kaisers gern gesehen hätten, aber diese Bestrebungen scheiterten an dem unerschütterlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/243>, abgerufen am 24.07.2024.