Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Oer Durchbruch des nationalen Gedankens die evangelische Mehrheit des deutschen Volks nichts ändern, und es ist nicht Sieht man auf die Haltung der Sozialdemokratie, so hat man wie immer Oer Durchbruch des nationalen Gedankens die evangelische Mehrheit des deutschen Volks nichts ändern, und es ist nicht Sieht man auf die Haltung der Sozialdemokratie, so hat man wie immer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301489"/> <fw type="header" place="top"> Oer Durchbruch des nationalen Gedankens</fw><lb/> <p xml:id="ID_825" prev="#ID_824"> die evangelische Mehrheit des deutschen Volks nichts ändern, und es ist nicht<lb/> ihre Sache, wenn sich die katholischen Deutschen dieser geistigen Bevormundung<lb/> unterwerfen; jedenfalls werden diese durch Angriffe auf Rom und dergleichen<lb/> von ihrem Standpunkte nicht abgebracht, im Gegenteil. Und das sollte man<lb/> doch gerade vermeiden. Denn mächtig bleibt das Zentrum trotz alledem. Es<lb/> hat auf die unselbständigen Massen, die es am Rhein und in Bayern an die<lb/> Urne kommandiert, im Wahlkampfe auch durch die gröbsten Lügen und Ent¬<lb/> stellungen gewirkt, es hat sogar, ohne einen Schatten des Rechts, das Gespenst<lb/> des Kulturkampfes heraufbeschworen, es hat überall, auch da, wo es nicht die<lb/> geringste Aussicht auf einen Wahlerfolg hatte, Zählkandidaten, in Sachsen in<lb/> allen 23 Wahlkreisen den Demagogen Erzberger, den Führer seines demokratischen<lb/> Flügels, aufgestellt, bloß um zu demonstrieren, gewissermaßen um Heerschau ab¬<lb/> zuhalten, und es hat dort verdientermaßen die Beschämung erlebt, daß allerdings<lb/> da, wo geschlossene katholische Bevölkerungsgruppen bestehn, wie in der Ober¬<lb/> lausitz, oder eine stärkere katholische Gruppe lebt, wie in Dresden, einige hundert<lb/> Stimmen auf den Zählkandidaten fielen, in weitaus deu meisten Wahlkreisen aber<lb/> nur wenige oder auch gar keine, in Leipzig, wo zwei katholische Pfarreien be¬<lb/> stehn, von mehr als 38000 Wahlstimmen ganze 214! Wann wird diese provokante<lb/> Torheit, die dem Katholizismus nur schadet, endlich aufhören! Und doch, trotz<lb/> aller Wahlerfolge, der Riß im Turme des Zentrums ist da. Die „Intellektuellen"<lb/> am Rhein und in Westfalen sind abgefallen, die natürliche Spaltung zwischen<lb/> dein rechten aristokratischen und dem linken demokratischen Flügel, die schon bei<lb/> der Abstimmung vom 13. Dezember nur durch die Unterwerfung des rechten<lb/> Flügels (spähn und Graf Ballestrem) unter den Willen des stärkern linken<lb/> (Erzberger und Noeren) nur mit Mühe zusammengehalten wurden, ist gar nicht<lb/> mehr zu verbergen, und sie wird, mögen auch jetzt noch bei den Wahlen, eben<lb/> weil sie Massenwahlen sind, die Zahlen entscheiden, nicht die Intelligenz, weiter¬<lb/> gehn. Denn schließlich, für den Schutz der kirchlichen Interessen des Katholizismus<lb/> ist eine politische Partei vollkommen überflüssig geworden, und Lügen haben kurze<lb/> Beine, auch die dumme Lüge, an die die Agitatoren selbst nicht glauben, daß<lb/> ein neuer Kulturkampf bevorstehe, wenn die einfältigen Wähler nicht den Zentrums¬<lb/> mann wählen würden. Und nichts ist mehr zu wünschen als die Heranziehung<lb/> auch der katholischen Deutschen zur nationalen Arbeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_826" next="#ID_827"> Sieht man auf die Haltung der Sozialdemokratie, so hat man wie immer<lb/> den halb erheiternden, halb widerwärtigen Eindruck, als ob da ein Stamm von<lb/> Rothäuten aus Coopers Lederstrumpf auf dem Kriegspfade sei und mit rollenden<lb/> Augen und wütenden Gebärden, den Tomahawk in der Faust und nach dem<lb/> Skalp des Feindes lüstern auf den Todfeind heranstürme, nicht im friedlichen<lb/> Wahlkampf mit den Söhnen des eignen Volkes sich messen wolle. Denn was<lb/> sozialdemokratische Redner, Zeitungen und Aufrufe an frecher Verdrehung<lb/> oder Ableugnung von Tatsachen, an rohen Beschimpfungen des Gegners, in<lb/> Verhöhnung alles vaterländischen Interesses und Gefühls und jeder nationalen<lb/> Gemeinschaft geleistet haben, das stellt dem gerühmten Berufe der Sozial¬<lb/> demokratie zur Volkserziehung das allerschlechteste Zeugnis aus. Aber auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0235]
Oer Durchbruch des nationalen Gedankens
die evangelische Mehrheit des deutschen Volks nichts ändern, und es ist nicht
ihre Sache, wenn sich die katholischen Deutschen dieser geistigen Bevormundung
unterwerfen; jedenfalls werden diese durch Angriffe auf Rom und dergleichen
von ihrem Standpunkte nicht abgebracht, im Gegenteil. Und das sollte man
doch gerade vermeiden. Denn mächtig bleibt das Zentrum trotz alledem. Es
hat auf die unselbständigen Massen, die es am Rhein und in Bayern an die
Urne kommandiert, im Wahlkampfe auch durch die gröbsten Lügen und Ent¬
stellungen gewirkt, es hat sogar, ohne einen Schatten des Rechts, das Gespenst
des Kulturkampfes heraufbeschworen, es hat überall, auch da, wo es nicht die
geringste Aussicht auf einen Wahlerfolg hatte, Zählkandidaten, in Sachsen in
allen 23 Wahlkreisen den Demagogen Erzberger, den Führer seines demokratischen
Flügels, aufgestellt, bloß um zu demonstrieren, gewissermaßen um Heerschau ab¬
zuhalten, und es hat dort verdientermaßen die Beschämung erlebt, daß allerdings
da, wo geschlossene katholische Bevölkerungsgruppen bestehn, wie in der Ober¬
lausitz, oder eine stärkere katholische Gruppe lebt, wie in Dresden, einige hundert
Stimmen auf den Zählkandidaten fielen, in weitaus deu meisten Wahlkreisen aber
nur wenige oder auch gar keine, in Leipzig, wo zwei katholische Pfarreien be¬
stehn, von mehr als 38000 Wahlstimmen ganze 214! Wann wird diese provokante
Torheit, die dem Katholizismus nur schadet, endlich aufhören! Und doch, trotz
aller Wahlerfolge, der Riß im Turme des Zentrums ist da. Die „Intellektuellen"
am Rhein und in Westfalen sind abgefallen, die natürliche Spaltung zwischen
dein rechten aristokratischen und dem linken demokratischen Flügel, die schon bei
der Abstimmung vom 13. Dezember nur durch die Unterwerfung des rechten
Flügels (spähn und Graf Ballestrem) unter den Willen des stärkern linken
(Erzberger und Noeren) nur mit Mühe zusammengehalten wurden, ist gar nicht
mehr zu verbergen, und sie wird, mögen auch jetzt noch bei den Wahlen, eben
weil sie Massenwahlen sind, die Zahlen entscheiden, nicht die Intelligenz, weiter¬
gehn. Denn schließlich, für den Schutz der kirchlichen Interessen des Katholizismus
ist eine politische Partei vollkommen überflüssig geworden, und Lügen haben kurze
Beine, auch die dumme Lüge, an die die Agitatoren selbst nicht glauben, daß
ein neuer Kulturkampf bevorstehe, wenn die einfältigen Wähler nicht den Zentrums¬
mann wählen würden. Und nichts ist mehr zu wünschen als die Heranziehung
auch der katholischen Deutschen zur nationalen Arbeit.
Sieht man auf die Haltung der Sozialdemokratie, so hat man wie immer
den halb erheiternden, halb widerwärtigen Eindruck, als ob da ein Stamm von
Rothäuten aus Coopers Lederstrumpf auf dem Kriegspfade sei und mit rollenden
Augen und wütenden Gebärden, den Tomahawk in der Faust und nach dem
Skalp des Feindes lüstern auf den Todfeind heranstürme, nicht im friedlichen
Wahlkampf mit den Söhnen des eignen Volkes sich messen wolle. Denn was
sozialdemokratische Redner, Zeitungen und Aufrufe an frecher Verdrehung
oder Ableugnung von Tatsachen, an rohen Beschimpfungen des Gegners, in
Verhöhnung alles vaterländischen Interesses und Gefühls und jeder nationalen
Gemeinschaft geleistet haben, das stellt dem gerühmten Berufe der Sozial¬
demokratie zur Volkserziehung das allerschlechteste Zeugnis aus. Aber auch
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |