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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner See

Auch Syphax blieb es erspart, vor dem Triumphwagen des Siegers durch
Roms Gassen einherzuschreiten. Er saß nicht lange hier oben gefangen. Hat
Zama ihm das Herz gebrochen, oder hat er selbst ein Ende gemacht?

Fünfunddreißig Jahre später wurde ein andrer König hier herauf geführt,
ein Grieche, Perseus von Mazedonien. "Alles verloren, nur die Ehre nicht!"
Damit konnte sich Held Syphax trösten. Der letzte Herrscher auf dem Throne
Philipps und Alexanders des Großen war kein Held. Seinem heroischen Namen
zum Trotz hatte er sein ganzes Leben eine knechtische Unentschlossenheit und einen
ganz unköniglichen Geiz gezeigt, und so entfiel seiner unwürdigen Hand bei
Pydna das Zepter. Aus der Schlacht, die er durch einen kühnen Angriff
seiner Reiter vielleicht zu seinen Gunsten hätte entscheiden können, wenn er sich
an ihre Spitze gesetzt und auf die ermatteten Römer eingehauen hätte, floh er,
bis ihm in Samothrake das Schiff, auf dem er seine Schätze geborgen hatte,
heimlich davon schwamm. Er hatte sich einem falschen Kreter anvertraut, dem
des Königs Gold offenbar mehr am Herzen lag als dieser selbst. So ging er
hin und überlieferte sich und seinen Sohn Philippus dem römischen Admiral.
In goldnen Ketten wurde er dann mit seinen Kindern im Triumph in Rom
aufgeführt. Die empfindsamen adlichen Damen Roms sollen über den jämmer¬
lichen Aufzug der armen kleinen Prinzen damals sehr gerührt gewesen sein.
Aber die Rührung half diesen nichts: Perseus und seine Familie wurden nach
Alba Fucensis geschafft. Ihn heimlich im Gefängnis zu ermorden, wie das die
Römer mit gefährlichern Feinden beliebten (z. B. mit Jugnrtha, Vercingetorix),
schien ihnen bei Perseus unangebracht zu sein. Der feige König hat dann noch
viele Jahre hier in den Abruzzen fern vom griechischen Meere dahingelebt. Einer
seiner Söhne wurde später als Schreiber auf dem Amtsgericht beschäftigt.

Ja, diese Mauern, wiewohl stumm und arg zerfallen, reden, reden laut.
Aber vor allem raunten sie mir ein weises Sprüchlein ins Ohr: Glücklich, wem
das Geschick versagt hat, in dieser schwankenden Welt allzu hoch zu stehn.




Gott suchet die Sünde der Väter heim an den
Kindern bis ins dritte und vierte Glied.....

Noch ein andres Verhängnis hat sich in der Nähe des Fucincr Sees er¬
füllt, an einem weit edlern und mächtigern Geschlechte.

Schon von Alba aus hatte ich Scurcola und das Kastell von Tagliacozzo
liegen sehen. So galt mein nächster Ausflug dem Schlachtfelde des 23. August 1268.
Bald nach Sonnenaufgang stand ich schon auf der Paßhöhe des Monte Salvicmo
bei dem großen schwarzen Kreuz, das nach der Inschrift hier "auf Grund eines
Gelübdes der Stadt Avezzcmo das Haus Torlonia errichtet hat". So anziehend
der Blick nach Osten war auf das blühende Seebecken mit seinem stolzen Berg¬
kranz . und der beschneiten Majella im Hintergrund, ich wandte diesem Bilde den
Rücken und überschaute lange Zeit das Tal im Osten, dessen Boden einst Tausende


Am Fuciner See

Auch Syphax blieb es erspart, vor dem Triumphwagen des Siegers durch
Roms Gassen einherzuschreiten. Er saß nicht lange hier oben gefangen. Hat
Zama ihm das Herz gebrochen, oder hat er selbst ein Ende gemacht?

Fünfunddreißig Jahre später wurde ein andrer König hier herauf geführt,
ein Grieche, Perseus von Mazedonien. „Alles verloren, nur die Ehre nicht!"
Damit konnte sich Held Syphax trösten. Der letzte Herrscher auf dem Throne
Philipps und Alexanders des Großen war kein Held. Seinem heroischen Namen
zum Trotz hatte er sein ganzes Leben eine knechtische Unentschlossenheit und einen
ganz unköniglichen Geiz gezeigt, und so entfiel seiner unwürdigen Hand bei
Pydna das Zepter. Aus der Schlacht, die er durch einen kühnen Angriff
seiner Reiter vielleicht zu seinen Gunsten hätte entscheiden können, wenn er sich
an ihre Spitze gesetzt und auf die ermatteten Römer eingehauen hätte, floh er,
bis ihm in Samothrake das Schiff, auf dem er seine Schätze geborgen hatte,
heimlich davon schwamm. Er hatte sich einem falschen Kreter anvertraut, dem
des Königs Gold offenbar mehr am Herzen lag als dieser selbst. So ging er
hin und überlieferte sich und seinen Sohn Philippus dem römischen Admiral.
In goldnen Ketten wurde er dann mit seinen Kindern im Triumph in Rom
aufgeführt. Die empfindsamen adlichen Damen Roms sollen über den jämmer¬
lichen Aufzug der armen kleinen Prinzen damals sehr gerührt gewesen sein.
Aber die Rührung half diesen nichts: Perseus und seine Familie wurden nach
Alba Fucensis geschafft. Ihn heimlich im Gefängnis zu ermorden, wie das die
Römer mit gefährlichern Feinden beliebten (z. B. mit Jugnrtha, Vercingetorix),
schien ihnen bei Perseus unangebracht zu sein. Der feige König hat dann noch
viele Jahre hier in den Abruzzen fern vom griechischen Meere dahingelebt. Einer
seiner Söhne wurde später als Schreiber auf dem Amtsgericht beschäftigt.

Ja, diese Mauern, wiewohl stumm und arg zerfallen, reden, reden laut.
Aber vor allem raunten sie mir ein weises Sprüchlein ins Ohr: Glücklich, wem
das Geschick versagt hat, in dieser schwankenden Welt allzu hoch zu stehn.




Gott suchet die Sünde der Väter heim an den
Kindern bis ins dritte und vierte Glied.....

Noch ein andres Verhängnis hat sich in der Nähe des Fucincr Sees er¬
füllt, an einem weit edlern und mächtigern Geschlechte.

Schon von Alba aus hatte ich Scurcola und das Kastell von Tagliacozzo
liegen sehen. So galt mein nächster Ausflug dem Schlachtfelde des 23. August 1268.
Bald nach Sonnenaufgang stand ich schon auf der Paßhöhe des Monte Salvicmo
bei dem großen schwarzen Kreuz, das nach der Inschrift hier „auf Grund eines
Gelübdes der Stadt Avezzcmo das Haus Torlonia errichtet hat". So anziehend
der Blick nach Osten war auf das blühende Seebecken mit seinem stolzen Berg¬
kranz . und der beschneiten Majella im Hintergrund, ich wandte diesem Bilde den
Rücken und überschaute lange Zeit das Tal im Osten, dessen Boden einst Tausende


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[0214] Am Fuciner See Auch Syphax blieb es erspart, vor dem Triumphwagen des Siegers durch Roms Gassen einherzuschreiten. Er saß nicht lange hier oben gefangen. Hat Zama ihm das Herz gebrochen, oder hat er selbst ein Ende gemacht? Fünfunddreißig Jahre später wurde ein andrer König hier herauf geführt, ein Grieche, Perseus von Mazedonien. „Alles verloren, nur die Ehre nicht!" Damit konnte sich Held Syphax trösten. Der letzte Herrscher auf dem Throne Philipps und Alexanders des Großen war kein Held. Seinem heroischen Namen zum Trotz hatte er sein ganzes Leben eine knechtische Unentschlossenheit und einen ganz unköniglichen Geiz gezeigt, und so entfiel seiner unwürdigen Hand bei Pydna das Zepter. Aus der Schlacht, die er durch einen kühnen Angriff seiner Reiter vielleicht zu seinen Gunsten hätte entscheiden können, wenn er sich an ihre Spitze gesetzt und auf die ermatteten Römer eingehauen hätte, floh er, bis ihm in Samothrake das Schiff, auf dem er seine Schätze geborgen hatte, heimlich davon schwamm. Er hatte sich einem falschen Kreter anvertraut, dem des Königs Gold offenbar mehr am Herzen lag als dieser selbst. So ging er hin und überlieferte sich und seinen Sohn Philippus dem römischen Admiral. In goldnen Ketten wurde er dann mit seinen Kindern im Triumph in Rom aufgeführt. Die empfindsamen adlichen Damen Roms sollen über den jämmer¬ lichen Aufzug der armen kleinen Prinzen damals sehr gerührt gewesen sein. Aber die Rührung half diesen nichts: Perseus und seine Familie wurden nach Alba Fucensis geschafft. Ihn heimlich im Gefängnis zu ermorden, wie das die Römer mit gefährlichern Feinden beliebten (z. B. mit Jugnrtha, Vercingetorix), schien ihnen bei Perseus unangebracht zu sein. Der feige König hat dann noch viele Jahre hier in den Abruzzen fern vom griechischen Meere dahingelebt. Einer seiner Söhne wurde später als Schreiber auf dem Amtsgericht beschäftigt. Ja, diese Mauern, wiewohl stumm und arg zerfallen, reden, reden laut. Aber vor allem raunten sie mir ein weises Sprüchlein ins Ohr: Glücklich, wem das Geschick versagt hat, in dieser schwankenden Welt allzu hoch zu stehn. Gott suchet die Sünde der Väter heim an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied..... Noch ein andres Verhängnis hat sich in der Nähe des Fucincr Sees er¬ füllt, an einem weit edlern und mächtigern Geschlechte. Schon von Alba aus hatte ich Scurcola und das Kastell von Tagliacozzo liegen sehen. So galt mein nächster Ausflug dem Schlachtfelde des 23. August 1268. Bald nach Sonnenaufgang stand ich schon auf der Paßhöhe des Monte Salvicmo bei dem großen schwarzen Kreuz, das nach der Inschrift hier „auf Grund eines Gelübdes der Stadt Avezzcmo das Haus Torlonia errichtet hat". So anziehend der Blick nach Osten war auf das blühende Seebecken mit seinem stolzen Berg¬ kranz . und der beschneiten Majella im Hintergrund, ich wandte diesem Bilde den Rücken und überschaute lange Zeit das Tal im Osten, dessen Boden einst Tausende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/214>, abgerufen am 24.07.2024.