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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner see

Vernichtung des tapfern Bergvolkes. Nach Livius nahmen die Römer einund¬
vierzig Ortschaften der Äquer, historisch beglaubigt sind nur drei ihrer Städte:
Carseoli, Cliternia (bei Celano) und Alba Fucensis.

Nichts war den Römern erwünschter als der Besitz der beiden starken
Festungen Carseoli und Alba, weil sie nämlich durch sie die Marser in Schach
halten konnten, die an den Ufern des Fucincr Sees ihre blühenden Städte
hatten. Die Marser mußten ihnen zu Willen sein im guten oder im schlimmen.
Denn dnrch deren Gebiet ging der kürzeste Weg zu den Sainniten, mit denen
Rom gerade damals blutige Kriege führte. Da drüben, bei dem im Abendschein
blinkenden Städtchen Gioja de' Marsi öffnen sich die Berge. Dort geht der
Paß hinüber nach Samninm, den die römischen Heere oft beschütten, 340 zum
erstenmal, als die mit Rom befreundeten Marser den Durchzug durch ihr Gebiet
gestatteten, vermutlich aber auch 298, als der Konsul Cuejus Fulvius mit seinen
Legionen hinüber nach Aufidena marschierte und dieses Bollwerk der samnitischen
Caracener zerstörte.

Im Jahre 302 wurden sechstausend römische Kolonisten nach Alba gelegt
und jedenfalls die Mauern aufgeführt, die den spätern Polygonalst,! ausweisen,
regelmäßige, sauberer bearbeitete Vielecke. Der dritte Baustil, dem wir hier
begegnen, ist der namentlich im Dörfchen Aide vertretene, wo die eigentliche
Burg stand. Hier finden wir große rechteckige Quadern noch vielfach als Unterbau
der Häuser. Auch ein Tor und der polygonal gepflasterte Weg, der durch das
Tor empor führt, rühren aus der Römerzeit her. Mit schwere" Seufzern mögen
die hohen Gefangnen durch dieses Tor geschritten sein, als sie hier herauf¬
geführt wurde". I^sviatk o^in SM-arm --

Die Römer benutzten nämlich die dnrch einen dreifachen Mauergürtel ge¬
schützte einsame Bergfeste als Staatsgefüngnis für die Könige, denen sie in ihrer
unersättlichen Herrschsucht die Kronen vom Haupte gerissen hatten.

Hier schaute Syphax sehnsuchtsvoll über den Monte Viglio hinüber nach
Süden, wo jenseits des blauen Meeres sein Reich Numidien seinem Todfeind
Massinissa verliehen worden war. Seiner edeln Gemahlin, der Karthagerin
Sophonisbe, Hasdrubals Tochter, zuliebe hatte er die Verlorne Sache seines
Nachbarlandes ergriffen, war aber in der Schlacht, nachdem ihm sein Pferd
getötet worden war, von den Römern gefangen genommen worden (203 v. Chr.).
Nun herrschte Massinissa in seiner Königsburg Cirta. Freiheit und Königreich
hatte Syphax geopfert für Sophonisbe. Was war aus ihr geworden? Hat er
sie hier oben in seinem Kerker erfahren, die Tragödie dieser herrlichen Frau?
Sie bat den Massinissa, sie nicht lebend in die Hände der Römer fallen zu
lassen, und willigte ein, da sie kein andres Mittel sah, seine Gemahlin zu werden,
zugleich in der Hoffnung, Massinissa für Karthago zu gewinnen. Diese Gefahr
erkannte Scipio und forderte Sophonisbes Auslieferung. Massinissa sandte der
Gattin den Giftbecher, und sie leerte ihn, nachdem sie ihren königlichen Schmuck
angelegt hatte, ohne Besinnen, im Tode groß wie im Leben.


Grenzboten I 1W7 27
Am Fuciner see

Vernichtung des tapfern Bergvolkes. Nach Livius nahmen die Römer einund¬
vierzig Ortschaften der Äquer, historisch beglaubigt sind nur drei ihrer Städte:
Carseoli, Cliternia (bei Celano) und Alba Fucensis.

Nichts war den Römern erwünschter als der Besitz der beiden starken
Festungen Carseoli und Alba, weil sie nämlich durch sie die Marser in Schach
halten konnten, die an den Ufern des Fucincr Sees ihre blühenden Städte
hatten. Die Marser mußten ihnen zu Willen sein im guten oder im schlimmen.
Denn dnrch deren Gebiet ging der kürzeste Weg zu den Sainniten, mit denen
Rom gerade damals blutige Kriege führte. Da drüben, bei dem im Abendschein
blinkenden Städtchen Gioja de' Marsi öffnen sich die Berge. Dort geht der
Paß hinüber nach Samninm, den die römischen Heere oft beschütten, 340 zum
erstenmal, als die mit Rom befreundeten Marser den Durchzug durch ihr Gebiet
gestatteten, vermutlich aber auch 298, als der Konsul Cuejus Fulvius mit seinen
Legionen hinüber nach Aufidena marschierte und dieses Bollwerk der samnitischen
Caracener zerstörte.

Im Jahre 302 wurden sechstausend römische Kolonisten nach Alba gelegt
und jedenfalls die Mauern aufgeführt, die den spätern Polygonalst,! ausweisen,
regelmäßige, sauberer bearbeitete Vielecke. Der dritte Baustil, dem wir hier
begegnen, ist der namentlich im Dörfchen Aide vertretene, wo die eigentliche
Burg stand. Hier finden wir große rechteckige Quadern noch vielfach als Unterbau
der Häuser. Auch ein Tor und der polygonal gepflasterte Weg, der durch das
Tor empor führt, rühren aus der Römerzeit her. Mit schwere» Seufzern mögen
die hohen Gefangnen durch dieses Tor geschritten sein, als sie hier herauf¬
geführt wurde«. I^sviatk o^in SM-arm —

Die Römer benutzten nämlich die dnrch einen dreifachen Mauergürtel ge¬
schützte einsame Bergfeste als Staatsgefüngnis für die Könige, denen sie in ihrer
unersättlichen Herrschsucht die Kronen vom Haupte gerissen hatten.

Hier schaute Syphax sehnsuchtsvoll über den Monte Viglio hinüber nach
Süden, wo jenseits des blauen Meeres sein Reich Numidien seinem Todfeind
Massinissa verliehen worden war. Seiner edeln Gemahlin, der Karthagerin
Sophonisbe, Hasdrubals Tochter, zuliebe hatte er die Verlorne Sache seines
Nachbarlandes ergriffen, war aber in der Schlacht, nachdem ihm sein Pferd
getötet worden war, von den Römern gefangen genommen worden (203 v. Chr.).
Nun herrschte Massinissa in seiner Königsburg Cirta. Freiheit und Königreich
hatte Syphax geopfert für Sophonisbe. Was war aus ihr geworden? Hat er
sie hier oben in seinem Kerker erfahren, die Tragödie dieser herrlichen Frau?
Sie bat den Massinissa, sie nicht lebend in die Hände der Römer fallen zu
lassen, und willigte ein, da sie kein andres Mittel sah, seine Gemahlin zu werden,
zugleich in der Hoffnung, Massinissa für Karthago zu gewinnen. Diese Gefahr
erkannte Scipio und forderte Sophonisbes Auslieferung. Massinissa sandte der
Gattin den Giftbecher, und sie leerte ihn, nachdem sie ihren königlichen Schmuck
angelegt hatte, ohne Besinnen, im Tode groß wie im Leben.


Grenzboten I 1W7 27
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[0213] Am Fuciner see Vernichtung des tapfern Bergvolkes. Nach Livius nahmen die Römer einund¬ vierzig Ortschaften der Äquer, historisch beglaubigt sind nur drei ihrer Städte: Carseoli, Cliternia (bei Celano) und Alba Fucensis. Nichts war den Römern erwünschter als der Besitz der beiden starken Festungen Carseoli und Alba, weil sie nämlich durch sie die Marser in Schach halten konnten, die an den Ufern des Fucincr Sees ihre blühenden Städte hatten. Die Marser mußten ihnen zu Willen sein im guten oder im schlimmen. Denn dnrch deren Gebiet ging der kürzeste Weg zu den Sainniten, mit denen Rom gerade damals blutige Kriege führte. Da drüben, bei dem im Abendschein blinkenden Städtchen Gioja de' Marsi öffnen sich die Berge. Dort geht der Paß hinüber nach Samninm, den die römischen Heere oft beschütten, 340 zum erstenmal, als die mit Rom befreundeten Marser den Durchzug durch ihr Gebiet gestatteten, vermutlich aber auch 298, als der Konsul Cuejus Fulvius mit seinen Legionen hinüber nach Aufidena marschierte und dieses Bollwerk der samnitischen Caracener zerstörte. Im Jahre 302 wurden sechstausend römische Kolonisten nach Alba gelegt und jedenfalls die Mauern aufgeführt, die den spätern Polygonalst,! ausweisen, regelmäßige, sauberer bearbeitete Vielecke. Der dritte Baustil, dem wir hier begegnen, ist der namentlich im Dörfchen Aide vertretene, wo die eigentliche Burg stand. Hier finden wir große rechteckige Quadern noch vielfach als Unterbau der Häuser. Auch ein Tor und der polygonal gepflasterte Weg, der durch das Tor empor führt, rühren aus der Römerzeit her. Mit schwere» Seufzern mögen die hohen Gefangnen durch dieses Tor geschritten sein, als sie hier herauf¬ geführt wurde«. I^sviatk o^in SM-arm — Die Römer benutzten nämlich die dnrch einen dreifachen Mauergürtel ge¬ schützte einsame Bergfeste als Staatsgefüngnis für die Könige, denen sie in ihrer unersättlichen Herrschsucht die Kronen vom Haupte gerissen hatten. Hier schaute Syphax sehnsuchtsvoll über den Monte Viglio hinüber nach Süden, wo jenseits des blauen Meeres sein Reich Numidien seinem Todfeind Massinissa verliehen worden war. Seiner edeln Gemahlin, der Karthagerin Sophonisbe, Hasdrubals Tochter, zuliebe hatte er die Verlorne Sache seines Nachbarlandes ergriffen, war aber in der Schlacht, nachdem ihm sein Pferd getötet worden war, von den Römern gefangen genommen worden (203 v. Chr.). Nun herrschte Massinissa in seiner Königsburg Cirta. Freiheit und Königreich hatte Syphax geopfert für Sophonisbe. Was war aus ihr geworden? Hat er sie hier oben in seinem Kerker erfahren, die Tragödie dieser herrlichen Frau? Sie bat den Massinissa, sie nicht lebend in die Hände der Römer fallen zu lassen, und willigte ein, da sie kein andres Mittel sah, seine Gemahlin zu werden, zugleich in der Hoffnung, Massinissa für Karthago zu gewinnen. Diese Gefahr erkannte Scipio und forderte Sophonisbes Auslieferung. Massinissa sandte der Gattin den Giftbecher, und sie leerte ihn, nachdem sie ihren königlichen Schmuck angelegt hatte, ohne Besinnen, im Tode groß wie im Leben. Grenzboten I 1W7 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/213>, abgerufen am 24.07.2024.