Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Am Fuciner See

beendeten Ernte Verkündeteil. Da führten aus dem Hofe zwei Männer zwei
weiße Stiere heraus, toscanische Rasse, 1,85 Meter hoch am Bug, mit düster
wildem, blödem Auge, Urbilder gesammelter Naturkraft. Die Sonne glänzte
auf ihrem weißen Fell wie auf frisch gefalln em Schnee. Beide Tiere hatten
Nasenringe. Diese wurden durch einen Riemen, der sich um die kurzen, dicken
Hörner schlang, stramm gehalten. Als die zwei Niesen mit einer sonderbaren
Würde die Landstraße entlang trotteten, von Zeit zu Zeit durch einen arg¬
wöhnischen Blick von unten ihre unzähmbare Wut verratend, da verstand ich,
daß diese Tiere einst den Römern und den Sabellern als geweiht, als heilig
galten. Das geht nicht nur ans den ältesten Sagen hervor, sondern auch aus
geschichtlich kaum anfechtbaren Daten. Einen weißen Stier spannte Romulus
an den Pflug, mit dem er die Grenzen des zu gründenden Roms umzog. Ein
wilder Stier von außerordentlicher Schönheit führte einen Vsr sacrum (Kolonie)
der Sabiner in das Land der Osler, und diese Auswandrer wurden die Ahnen
des später so mächtigen Stammes der stimmten. Und als Decius Mus, im
ersten Smnnitcrkriege mit seiner kleinen Schar umstellt, sich nachts kühn durch
das Lager der Feinde durchschlug (Livius VII, 34), wurde ihm unter andern
Geschenken ein weißer Stier mit vergoldeten Hörnern verehrt, den er in frommer
Dankbarkeit sogleich dem Mars opferte.




Im Norden von Avezzauo unter dem Felsen des Monte Velino sieht man
einen Hügel mit einer kleinen Ortschaft: Aide auf dem Gipfel. Scheinbar nichts
merkwürdiges. Aber der Name Aide bewahrt die Erinnerung an das alte Alba
Fucensis, eine der stärksten römischen Festungen, die auf jenem Hügel stand.
Den alten Mauern, die noch heute unserm späten Geschlecht den kriegerischen
Geist der einst hier ansässigen Äquer verkünden, galt mein nächster Besuch.

Nach einer Stunde Wanderns durch Weingärten und Felder rastete ich
bei den ersten "Chklopenmauern". Riesige Quadern in allen möglichen Viel¬
ecken, ohne Mörtel cmeinandergcpaßt, also vorrömischen Ursprungs.

Wenig nur wissen wir über die Erbauer. Die Äquer gehörten zu den
Ostern oder Ausoniern, der Urbevölkerung Mittelitaliens. Sie werden immer
in Verbindung mit den Volskern genannt. Der erste Krieg Roms mit den
Nquern fand unter Tarquinius Priscus statt. Tarquinius der Zweite schließt
Frieden mit ihnen; 494 fallen sie in Latium ein. Die Latiner bitten Rom um
Hilfe. In der Zeit von 494 bis 460 sind die Äquer auf der Höhe ihrer Macht,
entreißen mit den Volskern im Bunde den Latinern fünf Städte. Und vielleicht
wurden in dieser Zeit die gewaltigen Mauern getürmt, deren Fuß den Jahr¬
tausenden stand gehalten hat. Denn bald wandte sich das Blatt: im Jahre 4S8
siegte Cincinnatus, 428 Aulus Posthumius über die Äquer. Von 386 bis 85
wütete ein neuer Krieg. Der letzte Kampf entbrannte 304 und endigte mit der


Am Fuciner See

beendeten Ernte Verkündeteil. Da führten aus dem Hofe zwei Männer zwei
weiße Stiere heraus, toscanische Rasse, 1,85 Meter hoch am Bug, mit düster
wildem, blödem Auge, Urbilder gesammelter Naturkraft. Die Sonne glänzte
auf ihrem weißen Fell wie auf frisch gefalln em Schnee. Beide Tiere hatten
Nasenringe. Diese wurden durch einen Riemen, der sich um die kurzen, dicken
Hörner schlang, stramm gehalten. Als die zwei Niesen mit einer sonderbaren
Würde die Landstraße entlang trotteten, von Zeit zu Zeit durch einen arg¬
wöhnischen Blick von unten ihre unzähmbare Wut verratend, da verstand ich,
daß diese Tiere einst den Römern und den Sabellern als geweiht, als heilig
galten. Das geht nicht nur ans den ältesten Sagen hervor, sondern auch aus
geschichtlich kaum anfechtbaren Daten. Einen weißen Stier spannte Romulus
an den Pflug, mit dem er die Grenzen des zu gründenden Roms umzog. Ein
wilder Stier von außerordentlicher Schönheit führte einen Vsr sacrum (Kolonie)
der Sabiner in das Land der Osler, und diese Auswandrer wurden die Ahnen
des später so mächtigen Stammes der stimmten. Und als Decius Mus, im
ersten Smnnitcrkriege mit seiner kleinen Schar umstellt, sich nachts kühn durch
das Lager der Feinde durchschlug (Livius VII, 34), wurde ihm unter andern
Geschenken ein weißer Stier mit vergoldeten Hörnern verehrt, den er in frommer
Dankbarkeit sogleich dem Mars opferte.




Im Norden von Avezzauo unter dem Felsen des Monte Velino sieht man
einen Hügel mit einer kleinen Ortschaft: Aide auf dem Gipfel. Scheinbar nichts
merkwürdiges. Aber der Name Aide bewahrt die Erinnerung an das alte Alba
Fucensis, eine der stärksten römischen Festungen, die auf jenem Hügel stand.
Den alten Mauern, die noch heute unserm späten Geschlecht den kriegerischen
Geist der einst hier ansässigen Äquer verkünden, galt mein nächster Besuch.

Nach einer Stunde Wanderns durch Weingärten und Felder rastete ich
bei den ersten „Chklopenmauern". Riesige Quadern in allen möglichen Viel¬
ecken, ohne Mörtel cmeinandergcpaßt, also vorrömischen Ursprungs.

Wenig nur wissen wir über die Erbauer. Die Äquer gehörten zu den
Ostern oder Ausoniern, der Urbevölkerung Mittelitaliens. Sie werden immer
in Verbindung mit den Volskern genannt. Der erste Krieg Roms mit den
Nquern fand unter Tarquinius Priscus statt. Tarquinius der Zweite schließt
Frieden mit ihnen; 494 fallen sie in Latium ein. Die Latiner bitten Rom um
Hilfe. In der Zeit von 494 bis 460 sind die Äquer auf der Höhe ihrer Macht,
entreißen mit den Volskern im Bunde den Latinern fünf Städte. Und vielleicht
wurden in dieser Zeit die gewaltigen Mauern getürmt, deren Fuß den Jahr¬
tausenden stand gehalten hat. Denn bald wandte sich das Blatt: im Jahre 4S8
siegte Cincinnatus, 428 Aulus Posthumius über die Äquer. Von 386 bis 85
wütete ein neuer Krieg. Der letzte Kampf entbrannte 304 und endigte mit der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301466"/>
          <fw type="header" place="top"> Am Fuciner See</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_733" prev="#ID_732"> beendeten Ernte Verkündeteil. Da führten aus dem Hofe zwei Männer zwei<lb/>
weiße Stiere heraus, toscanische Rasse, 1,85 Meter hoch am Bug, mit düster<lb/>
wildem, blödem Auge, Urbilder gesammelter Naturkraft. Die Sonne glänzte<lb/>
auf ihrem weißen Fell wie auf frisch gefalln em Schnee. Beide Tiere hatten<lb/>
Nasenringe. Diese wurden durch einen Riemen, der sich um die kurzen, dicken<lb/>
Hörner schlang, stramm gehalten. Als die zwei Niesen mit einer sonderbaren<lb/>
Würde die Landstraße entlang trotteten, von Zeit zu Zeit durch einen arg¬<lb/>
wöhnischen Blick von unten ihre unzähmbare Wut verratend, da verstand ich,<lb/>
daß diese Tiere einst den Römern und den Sabellern als geweiht, als heilig<lb/>
galten. Das geht nicht nur ans den ältesten Sagen hervor, sondern auch aus<lb/>
geschichtlich kaum anfechtbaren Daten. Einen weißen Stier spannte Romulus<lb/>
an den Pflug, mit dem er die Grenzen des zu gründenden Roms umzog. Ein<lb/>
wilder Stier von außerordentlicher Schönheit führte einen Vsr sacrum (Kolonie)<lb/>
der Sabiner in das Land der Osler, und diese Auswandrer wurden die Ahnen<lb/>
des später so mächtigen Stammes der stimmten. Und als Decius Mus, im<lb/>
ersten Smnnitcrkriege mit seiner kleinen Schar umstellt, sich nachts kühn durch<lb/>
das Lager der Feinde durchschlug (Livius VII, 34), wurde ihm unter andern<lb/>
Geschenken ein weißer Stier mit vergoldeten Hörnern verehrt, den er in frommer<lb/>
Dankbarkeit sogleich dem Mars opferte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_734"> Im Norden von Avezzauo unter dem Felsen des Monte Velino sieht man<lb/>
einen Hügel mit einer kleinen Ortschaft: Aide auf dem Gipfel. Scheinbar nichts<lb/>
merkwürdiges. Aber der Name Aide bewahrt die Erinnerung an das alte Alba<lb/>
Fucensis, eine der stärksten römischen Festungen, die auf jenem Hügel stand.<lb/>
Den alten Mauern, die noch heute unserm späten Geschlecht den kriegerischen<lb/>
Geist der einst hier ansässigen Äquer verkünden, galt mein nächster Besuch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_735"> Nach einer Stunde Wanderns durch Weingärten und Felder rastete ich<lb/>
bei den ersten &#x201E;Chklopenmauern". Riesige Quadern in allen möglichen Viel¬<lb/>
ecken, ohne Mörtel cmeinandergcpaßt, also vorrömischen Ursprungs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_736" next="#ID_737"> Wenig nur wissen wir über die Erbauer. Die Äquer gehörten zu den<lb/>
Ostern oder Ausoniern, der Urbevölkerung Mittelitaliens. Sie werden immer<lb/>
in Verbindung mit den Volskern genannt. Der erste Krieg Roms mit den<lb/>
Nquern fand unter Tarquinius Priscus statt. Tarquinius der Zweite schließt<lb/>
Frieden mit ihnen; 494 fallen sie in Latium ein. Die Latiner bitten Rom um<lb/>
Hilfe. In der Zeit von 494 bis 460 sind die Äquer auf der Höhe ihrer Macht,<lb/>
entreißen mit den Volskern im Bunde den Latinern fünf Städte. Und vielleicht<lb/>
wurden in dieser Zeit die gewaltigen Mauern getürmt, deren Fuß den Jahr¬<lb/>
tausenden stand gehalten hat. Denn bald wandte sich das Blatt: im Jahre 4S8<lb/>
siegte Cincinnatus, 428 Aulus Posthumius über die Äquer. Von 386 bis 85<lb/>
wütete ein neuer Krieg. Der letzte Kampf entbrannte 304 und endigte mit der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0212] Am Fuciner See beendeten Ernte Verkündeteil. Da führten aus dem Hofe zwei Männer zwei weiße Stiere heraus, toscanische Rasse, 1,85 Meter hoch am Bug, mit düster wildem, blödem Auge, Urbilder gesammelter Naturkraft. Die Sonne glänzte auf ihrem weißen Fell wie auf frisch gefalln em Schnee. Beide Tiere hatten Nasenringe. Diese wurden durch einen Riemen, der sich um die kurzen, dicken Hörner schlang, stramm gehalten. Als die zwei Niesen mit einer sonderbaren Würde die Landstraße entlang trotteten, von Zeit zu Zeit durch einen arg¬ wöhnischen Blick von unten ihre unzähmbare Wut verratend, da verstand ich, daß diese Tiere einst den Römern und den Sabellern als geweiht, als heilig galten. Das geht nicht nur ans den ältesten Sagen hervor, sondern auch aus geschichtlich kaum anfechtbaren Daten. Einen weißen Stier spannte Romulus an den Pflug, mit dem er die Grenzen des zu gründenden Roms umzog. Ein wilder Stier von außerordentlicher Schönheit führte einen Vsr sacrum (Kolonie) der Sabiner in das Land der Osler, und diese Auswandrer wurden die Ahnen des später so mächtigen Stammes der stimmten. Und als Decius Mus, im ersten Smnnitcrkriege mit seiner kleinen Schar umstellt, sich nachts kühn durch das Lager der Feinde durchschlug (Livius VII, 34), wurde ihm unter andern Geschenken ein weißer Stier mit vergoldeten Hörnern verehrt, den er in frommer Dankbarkeit sogleich dem Mars opferte. Im Norden von Avezzauo unter dem Felsen des Monte Velino sieht man einen Hügel mit einer kleinen Ortschaft: Aide auf dem Gipfel. Scheinbar nichts merkwürdiges. Aber der Name Aide bewahrt die Erinnerung an das alte Alba Fucensis, eine der stärksten römischen Festungen, die auf jenem Hügel stand. Den alten Mauern, die noch heute unserm späten Geschlecht den kriegerischen Geist der einst hier ansässigen Äquer verkünden, galt mein nächster Besuch. Nach einer Stunde Wanderns durch Weingärten und Felder rastete ich bei den ersten „Chklopenmauern". Riesige Quadern in allen möglichen Viel¬ ecken, ohne Mörtel cmeinandergcpaßt, also vorrömischen Ursprungs. Wenig nur wissen wir über die Erbauer. Die Äquer gehörten zu den Ostern oder Ausoniern, der Urbevölkerung Mittelitaliens. Sie werden immer in Verbindung mit den Volskern genannt. Der erste Krieg Roms mit den Nquern fand unter Tarquinius Priscus statt. Tarquinius der Zweite schließt Frieden mit ihnen; 494 fallen sie in Latium ein. Die Latiner bitten Rom um Hilfe. In der Zeit von 494 bis 460 sind die Äquer auf der Höhe ihrer Macht, entreißen mit den Volskern im Bunde den Latinern fünf Städte. Und vielleicht wurden in dieser Zeit die gewaltigen Mauern getürmt, deren Fuß den Jahr¬ tausenden stand gehalten hat. Denn bald wandte sich das Blatt: im Jahre 4S8 siegte Cincinnatus, 428 Aulus Posthumius über die Äquer. Von 386 bis 85 wütete ein neuer Krieg. Der letzte Kampf entbrannte 304 und endigte mit der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/212
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/212>, abgerufen am 24.07.2024.