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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Am Fuciner See

Emissär des römischen Kaisers. Erst nach sieben Jahren, nach Überwindung
aller möglichen Bedenken und Hindernisse konnte man darcmgehn, die unge¬
heuern Fluten abzuzapfen. Der 9. August 1862 war der große Tag, an dem
das erste Wasser aus dem See durch den Tunnel abfloß. Obwohl es in der
Stärke von acht Kubikmetern und mit dem überall gleichen Gefnll von 1:1000
ablief, dauerte es doch mehrere Monate. Nur ganz allmählich sank die Ober¬
fläche, und trat an den Rändern das Land heraus. Aber damit war die Arbeit
noch lange nicht beendet. Ein Teil in der Mitte des Tcilbeckcns war noch
unter Wasser, und vor allem hieß es nun zur Vermeidung von Katastrophen
durch ein Kanalsystem Zu- und Abfluß zu regeln, namentlich für den Fall
großer Zuströmung durch Regen. Der bisherige Kanal sollte nur einstweilen
dienen. Nach dem Mittelpunkt der ehemaligen Seefläche zu wurde, das Becken
in seiner ganzen Länge durchschneidend, ein zwanzig Meter breiter Sammel¬
kanal gegraben, in den rechts und links Seitenkanäle mündeten. Jener in einer
Ausdehnung von achtzehn, diese in einer Gesamtlänge von dreihundert Kilo¬
metern. In der Mitte wurde ein Reservoir als Schutz gegen etwaige Über¬
schwemmungen geschaffen, indem man einen Damm von 2^ Metern Höhe auf¬
warf, der zwanzig Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen kann. Der
Sammelkanal durchschneidet diesen tiefsten Teil des ehemaligen Sees. Für
gewöhnlich ist auch dieser Teil trockenes Land, herrliche Wiese und Weide, mir bei
ungewöhnlich starken Regen, wenn Dutzende plötzlich entstandner Wildbäche ihr
Wasser von den umliegenden Höhen rings ergießen, verwandelt sich für kurze Zeit
dieser Flecken wieder in einen See. Die Arbeiten zogen sich noch lange hin.
Erst im Juni 1876 war bis auf einen ganz kleinen Tümpel, den sogenannten
Laghetto, das weite Becken, 6217 Hektar, trocken gelegt und der geschichtlich so
bedeutsame See von der Erde verschwunden. Wohl für immer.

Ein gigantisches Werk! Zweiunddreißig Jahre hatte es gefordert und vier¬
undzwanzig Millionen Lire gekostet. Weitere neunzehn Millionen verwandte
der Fürst darauf, den gewonnenen Grund nutzbar zu machen. Um ihn abzu¬
grenzen, baute er eine breite, schöne Straße von zweiundfünfzig Kilometern Länge
-- auch eine "Ringstraße" --, die die früher rund um den See liegenden Orte
Luco, Ortucchio, San Benedetto berührt. Ebenso durchzog er den Seeboden
mit einem rechtwinkligen Netz von großen und kleinen Straßen. Etwa je einen
Kilometer voneinander entfernt errichtete er an den Straßen vierzig Meierhöfe
und schlug zu jedem ein Areal von fünfundzwanzig bis dreißig Hektaren. Lang¬
gedehnte Flächen bestimmte er zu Weiden für Kühe, Ochsen und Pferde. Denn
auch ein großes Gestüt schuf er, um edle Rosse zu züchten. Im Osten wurden
nach lombardischem Muster etwa hundert Hektar in Rieselfelder umgeschaffen,
andre Strecken mit Weinreben und Obstbäumen bepflanzt. Weite Kleefelder
umgeben eine "Bergamina", eine große Käserei, in deren Ställe hundertzwanzig
Schweizerkühe eingestellt wurden. Zweihundertfünfzig Hektar mit den dazu
gehörenden Gebäuden stehn unter der fürstlichen Verwaltung unmittelbar als


Am Fuciner See

Emissär des römischen Kaisers. Erst nach sieben Jahren, nach Überwindung
aller möglichen Bedenken und Hindernisse konnte man darcmgehn, die unge¬
heuern Fluten abzuzapfen. Der 9. August 1862 war der große Tag, an dem
das erste Wasser aus dem See durch den Tunnel abfloß. Obwohl es in der
Stärke von acht Kubikmetern und mit dem überall gleichen Gefnll von 1:1000
ablief, dauerte es doch mehrere Monate. Nur ganz allmählich sank die Ober¬
fläche, und trat an den Rändern das Land heraus. Aber damit war die Arbeit
noch lange nicht beendet. Ein Teil in der Mitte des Tcilbeckcns war noch
unter Wasser, und vor allem hieß es nun zur Vermeidung von Katastrophen
durch ein Kanalsystem Zu- und Abfluß zu regeln, namentlich für den Fall
großer Zuströmung durch Regen. Der bisherige Kanal sollte nur einstweilen
dienen. Nach dem Mittelpunkt der ehemaligen Seefläche zu wurde, das Becken
in seiner ganzen Länge durchschneidend, ein zwanzig Meter breiter Sammel¬
kanal gegraben, in den rechts und links Seitenkanäle mündeten. Jener in einer
Ausdehnung von achtzehn, diese in einer Gesamtlänge von dreihundert Kilo¬
metern. In der Mitte wurde ein Reservoir als Schutz gegen etwaige Über¬
schwemmungen geschaffen, indem man einen Damm von 2^ Metern Höhe auf¬
warf, der zwanzig Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen kann. Der
Sammelkanal durchschneidet diesen tiefsten Teil des ehemaligen Sees. Für
gewöhnlich ist auch dieser Teil trockenes Land, herrliche Wiese und Weide, mir bei
ungewöhnlich starken Regen, wenn Dutzende plötzlich entstandner Wildbäche ihr
Wasser von den umliegenden Höhen rings ergießen, verwandelt sich für kurze Zeit
dieser Flecken wieder in einen See. Die Arbeiten zogen sich noch lange hin.
Erst im Juni 1876 war bis auf einen ganz kleinen Tümpel, den sogenannten
Laghetto, das weite Becken, 6217 Hektar, trocken gelegt und der geschichtlich so
bedeutsame See von der Erde verschwunden. Wohl für immer.

Ein gigantisches Werk! Zweiunddreißig Jahre hatte es gefordert und vier¬
undzwanzig Millionen Lire gekostet. Weitere neunzehn Millionen verwandte
der Fürst darauf, den gewonnenen Grund nutzbar zu machen. Um ihn abzu¬
grenzen, baute er eine breite, schöne Straße von zweiundfünfzig Kilometern Länge
— auch eine „Ringstraße" —, die die früher rund um den See liegenden Orte
Luco, Ortucchio, San Benedetto berührt. Ebenso durchzog er den Seeboden
mit einem rechtwinkligen Netz von großen und kleinen Straßen. Etwa je einen
Kilometer voneinander entfernt errichtete er an den Straßen vierzig Meierhöfe
und schlug zu jedem ein Areal von fünfundzwanzig bis dreißig Hektaren. Lang¬
gedehnte Flächen bestimmte er zu Weiden für Kühe, Ochsen und Pferde. Denn
auch ein großes Gestüt schuf er, um edle Rosse zu züchten. Im Osten wurden
nach lombardischem Muster etwa hundert Hektar in Rieselfelder umgeschaffen,
andre Strecken mit Weinreben und Obstbäumen bepflanzt. Weite Kleefelder
umgeben eine „Bergamina", eine große Käserei, in deren Ställe hundertzwanzig
Schweizerkühe eingestellt wurden. Zweihundertfünfzig Hektar mit den dazu
gehörenden Gebäuden stehn unter der fürstlichen Verwaltung unmittelbar als


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[0208] Am Fuciner See Emissär des römischen Kaisers. Erst nach sieben Jahren, nach Überwindung aller möglichen Bedenken und Hindernisse konnte man darcmgehn, die unge¬ heuern Fluten abzuzapfen. Der 9. August 1862 war der große Tag, an dem das erste Wasser aus dem See durch den Tunnel abfloß. Obwohl es in der Stärke von acht Kubikmetern und mit dem überall gleichen Gefnll von 1:1000 ablief, dauerte es doch mehrere Monate. Nur ganz allmählich sank die Ober¬ fläche, und trat an den Rändern das Land heraus. Aber damit war die Arbeit noch lange nicht beendet. Ein Teil in der Mitte des Tcilbeckcns war noch unter Wasser, und vor allem hieß es nun zur Vermeidung von Katastrophen durch ein Kanalsystem Zu- und Abfluß zu regeln, namentlich für den Fall großer Zuströmung durch Regen. Der bisherige Kanal sollte nur einstweilen dienen. Nach dem Mittelpunkt der ehemaligen Seefläche zu wurde, das Becken in seiner ganzen Länge durchschneidend, ein zwanzig Meter breiter Sammel¬ kanal gegraben, in den rechts und links Seitenkanäle mündeten. Jener in einer Ausdehnung von achtzehn, diese in einer Gesamtlänge von dreihundert Kilo¬ metern. In der Mitte wurde ein Reservoir als Schutz gegen etwaige Über¬ schwemmungen geschaffen, indem man einen Damm von 2^ Metern Höhe auf¬ warf, der zwanzig Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen kann. Der Sammelkanal durchschneidet diesen tiefsten Teil des ehemaligen Sees. Für gewöhnlich ist auch dieser Teil trockenes Land, herrliche Wiese und Weide, mir bei ungewöhnlich starken Regen, wenn Dutzende plötzlich entstandner Wildbäche ihr Wasser von den umliegenden Höhen rings ergießen, verwandelt sich für kurze Zeit dieser Flecken wieder in einen See. Die Arbeiten zogen sich noch lange hin. Erst im Juni 1876 war bis auf einen ganz kleinen Tümpel, den sogenannten Laghetto, das weite Becken, 6217 Hektar, trocken gelegt und der geschichtlich so bedeutsame See von der Erde verschwunden. Wohl für immer. Ein gigantisches Werk! Zweiunddreißig Jahre hatte es gefordert und vier¬ undzwanzig Millionen Lire gekostet. Weitere neunzehn Millionen verwandte der Fürst darauf, den gewonnenen Grund nutzbar zu machen. Um ihn abzu¬ grenzen, baute er eine breite, schöne Straße von zweiundfünfzig Kilometern Länge — auch eine „Ringstraße" —, die die früher rund um den See liegenden Orte Luco, Ortucchio, San Benedetto berührt. Ebenso durchzog er den Seeboden mit einem rechtwinkligen Netz von großen und kleinen Straßen. Etwa je einen Kilometer voneinander entfernt errichtete er an den Straßen vierzig Meierhöfe und schlug zu jedem ein Areal von fünfundzwanzig bis dreißig Hektaren. Lang¬ gedehnte Flächen bestimmte er zu Weiden für Kühe, Ochsen und Pferde. Denn auch ein großes Gestüt schuf er, um edle Rosse zu züchten. Im Osten wurden nach lombardischem Muster etwa hundert Hektar in Rieselfelder umgeschaffen, andre Strecken mit Weinreben und Obstbäumen bepflanzt. Weite Kleefelder umgeben eine „Bergamina", eine große Käserei, in deren Ställe hundertzwanzig Schweizerkühe eingestellt wurden. Zweihundertfünfzig Hektar mit den dazu gehörenden Gebäuden stehn unter der fürstlichen Verwaltung unmittelbar als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/208>, abgerufen am 24.07.2024.