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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Der pa"ger>nantsm>is

Dänemark treten will, sollen denen ähnlich sein, die schon mit Luxemburg durch
die Zoll- und Eisenbahneinigung seit 1902 bestehn und bis 1959 Geltung
haben. Die Eisenbahneinigung mit Luxemburg hätte auch für Frankreich große
Wichtigkeit, weil sie an Deutschland Eisenbahnlinien ausliefere, die die Be¬
festigungen an der Maas zu umgehn ermöglichen.

Von der pangermanistischen Propaganda im Südosten von Europa und
in Kleinasien will der Verfasser, trotz des großen Interesses, das man ihr zu¬
schreiben müsse, jetzt nicht reden. Er wünscht, daß man in seinen vorstehenden
Auseinandersetzungen nur das Studium einer geschichtlichen Tatsache sehe, die
sich vor unsern Augen entwickle. Der Pangermanismus habe, wie alle großen
Völkerbewegungen, seinen Ursprung in den wirtschaftlichen Bedürfnissen der
deutschen Nasse. Diese Nasse habe durch ihre große Fruchtbarkeit Abflußgebiete
nötig, um ihre Übervölkerung und das Übermaß ihrer industriellen Erzeugnisse
unterzubringen. Die Familie der Hohenzollern habe diesem unwiderstehlichen
Bedürfnis Gestalt gegeben durch Leitung des Pangermanismus, der verspräche,
dem Bedürfnis gerecht zu werden. Die Diplomatie der Hohenzollern arbeite
nach einem ganz bestimmten gleichmüßigen Plan, wie das auf dem letzten pan¬
germanistischen Kongreß in Wien an das Licht getreten sei: zunächst Entwick¬
lung der Handelsbeziehungen mit dem begehrten Lande; unter dem Deckmantel
dieser Beziehungen das Streben, überall einzudringen, sich der öffentlichen
Meinung zu bemächtigen, in die Geister Zwietracht zu säen und schließlich die
Verteidigungsmittel zu schwächen. Angekommen an diesem Punkte, ist die Diplo¬
matie bereit, günstige Umstände zu benutzen, die ihr erlauben, ihren Willen ent¬
weder durch einen moralischen Druck oder durch Waffengewalt durchzusetzen.
Ein Teil Europas ist auf diese Weise dem Einfluß der deutschen Diplomatie
schon unterworfen, und sie erwartet mit Sorge das Los, das ihr vorbehalten
sein wird in dem Augenblick, wo die Nachfolge des Kaisers von Österreich in
Betracht kommen wird.

Soweit die Äußerungen des Herrn Kapitän Coquelin de Liste. Sie sind
bezeichnend für die im Ausland über uns herrschenden Ansichten. Herr Coquelin
reiht unsre ganze politische Tätigkeit, unsre Handelsbestrebungen, unsre religiösen
und vaterländischen Vereine an den einen Faden des Pangermanismus. Da¬
gegen erkennt er doch selbst an, daß wir bei unsrer großen Bevölkerungszunahme
Abflußgebiete nötig haben, außerdem wissen wir, daß wir im Ausland unser
Deutschtum zu wahren haben, wo sich der gute Deutsche leider Gottes nur zu
schnell "veramerikanert" oder "verengländert", sobald er sein Vaterland ver¬
lassen hat. Und unsre protestantisch-religiösen Vereine denken doch erst recht
nicht an politische Eroberungen, sondern haben genug zu tun, das protestantische
Bekenntnis gegenüber den Jesuiten und den Ultramontanen aufrecht zu erhalten.
Das Ausland hat es sich noch immer nicht klar gemacht, auf welchen Grund¬
pfeilern das Aufblühen Deutschlands ruht. Das sind: die allgemeine Wehr¬
pflicht, die in diesem Jahre ihr hundertjähriges Jubiläuni feiern kann, und


Der pa»ger>nantsm>is

Dänemark treten will, sollen denen ähnlich sein, die schon mit Luxemburg durch
die Zoll- und Eisenbahneinigung seit 1902 bestehn und bis 1959 Geltung
haben. Die Eisenbahneinigung mit Luxemburg hätte auch für Frankreich große
Wichtigkeit, weil sie an Deutschland Eisenbahnlinien ausliefere, die die Be¬
festigungen an der Maas zu umgehn ermöglichen.

Von der pangermanistischen Propaganda im Südosten von Europa und
in Kleinasien will der Verfasser, trotz des großen Interesses, das man ihr zu¬
schreiben müsse, jetzt nicht reden. Er wünscht, daß man in seinen vorstehenden
Auseinandersetzungen nur das Studium einer geschichtlichen Tatsache sehe, die
sich vor unsern Augen entwickle. Der Pangermanismus habe, wie alle großen
Völkerbewegungen, seinen Ursprung in den wirtschaftlichen Bedürfnissen der
deutschen Nasse. Diese Nasse habe durch ihre große Fruchtbarkeit Abflußgebiete
nötig, um ihre Übervölkerung und das Übermaß ihrer industriellen Erzeugnisse
unterzubringen. Die Familie der Hohenzollern habe diesem unwiderstehlichen
Bedürfnis Gestalt gegeben durch Leitung des Pangermanismus, der verspräche,
dem Bedürfnis gerecht zu werden. Die Diplomatie der Hohenzollern arbeite
nach einem ganz bestimmten gleichmüßigen Plan, wie das auf dem letzten pan¬
germanistischen Kongreß in Wien an das Licht getreten sei: zunächst Entwick¬
lung der Handelsbeziehungen mit dem begehrten Lande; unter dem Deckmantel
dieser Beziehungen das Streben, überall einzudringen, sich der öffentlichen
Meinung zu bemächtigen, in die Geister Zwietracht zu säen und schließlich die
Verteidigungsmittel zu schwächen. Angekommen an diesem Punkte, ist die Diplo¬
matie bereit, günstige Umstände zu benutzen, die ihr erlauben, ihren Willen ent¬
weder durch einen moralischen Druck oder durch Waffengewalt durchzusetzen.
Ein Teil Europas ist auf diese Weise dem Einfluß der deutschen Diplomatie
schon unterworfen, und sie erwartet mit Sorge das Los, das ihr vorbehalten
sein wird in dem Augenblick, wo die Nachfolge des Kaisers von Österreich in
Betracht kommen wird.

Soweit die Äußerungen des Herrn Kapitän Coquelin de Liste. Sie sind
bezeichnend für die im Ausland über uns herrschenden Ansichten. Herr Coquelin
reiht unsre ganze politische Tätigkeit, unsre Handelsbestrebungen, unsre religiösen
und vaterländischen Vereine an den einen Faden des Pangermanismus. Da¬
gegen erkennt er doch selbst an, daß wir bei unsrer großen Bevölkerungszunahme
Abflußgebiete nötig haben, außerdem wissen wir, daß wir im Ausland unser
Deutschtum zu wahren haben, wo sich der gute Deutsche leider Gottes nur zu
schnell „veramerikanert" oder „verengländert", sobald er sein Vaterland ver¬
lassen hat. Und unsre protestantisch-religiösen Vereine denken doch erst recht
nicht an politische Eroberungen, sondern haben genug zu tun, das protestantische
Bekenntnis gegenüber den Jesuiten und den Ultramontanen aufrecht zu erhalten.
Das Ausland hat es sich noch immer nicht klar gemacht, auf welchen Grund¬
pfeilern das Aufblühen Deutschlands ruht. Das sind: die allgemeine Wehr¬
pflicht, die in diesem Jahre ihr hundertjähriges Jubiläuni feiern kann, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/186>, abgerufen am 24.07.2024.