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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Der Pangermanismus

an Deutschland behandelt hätten. Er zitiert dann eine längere Auseinander¬
setzung des deutschen Professors Ernst von Halle, die sich, durchaus richtig, an
die geographische Lage von Holland hält und darlegt, daß Holland eigentlich
die Verlängerung des Rheintals ist, daß die deutsche Marine die holländischen
Meeresufer zu ihrer vollen Entwicklung nötig habe, daß die Holländer durchaus
nicht unter dem Eintritt in die Reihe der deutschen Bundesstaaten zu leiden
haben würden, da sie ja nach Abkunft und Sprache Deutsche seien, also in ähn¬
lichem Verhältnis stehn könnten wie Bayern und Sachsen. Gegen jede fremde
Großmacht sei Holland unfähig, sein eignes Land und seine Kolonien zu ver¬
teidigen, und nur Deutschland allein könne Holland und seine Kolonien genügend
schützen unter der Bedingung einer festen Vereinigung, die für beide Völker eine
Quelle der Sicherheit und der Reichtümer sein werde. Diese gewiß richtigen
und unbestreitbaren Sätze erklärt Hauptmann Coquelin für eine These des Pan¬
germanismus. Er führt dann die vorteilhaften Handelsverträge an, die große
Zahl (30 000) der Deutschen in Rotterdam, das der vierte Hafen Europas und
eine deutsche Stadt geworden sei, alles durch die Diplomatie in Berlin. Dann
wird die Heirat der Königin Wilhelmine mit einem deutschen Prinzen als An¬
fang der Germanisierung des holländischen Hofes angesehen, und die Besetzung
des holländischen Königsthrones durch einen Hohenzollern für den Fall, daß
die Ehe der Königin kinderlos bliebe. Der Pangermanismus habe seine Tätig¬
keit auch auf Belgien ausgedehnt unter dem Vorwande, daß die Hälfte des
belgischen Volks, die Flamländer, deutschen Ursprungs sei. Die deutsche Diplo¬
matie habe sich auch hier der Handelsbeziehungen gewissermaßen als Avant¬
garde bedient, um in Belgien Fuß zu fassen. Antwerpen, einer der ersten stra¬
tegischen Orte und Handelsplätze von Europa, sei jetzt eine deutsche Stadt, da
sich alles in den Händen deutscher Einwandrer befinde. Eine unter dem Namen
Germania mit Unterstützung und unter Leitung der pangermanistischen Gesell¬
schaft gegründete Vereinigung verbreitet die Ideen des Pangermanismus. An
ihrer Spitze habe ein ehemaliger preußischer Offizier, Freiherr von Ziegesar,
gestanden, der auch eine pangermanistische Zeitschrift gegründet habe, die in
deutscher und in flämischer Sprache erschien. Sogar der internationale Sozia¬
lismus habe, begünstigt durch die Agenten des Pangermanismus, in Belgien
unter den Arbeitern große Fortschritte gemacht. Eine einflußreiche Partei habe
sich in Belgien gebildet, die aus Furcht vor einer Annexion durch Frankreich
oder vor Arbeiterunruhen die Vormundschaft des deutschen Kaisers anzunehmen
bereit sei. Bismarck selbst soll schon seinerzeit dem französischen Gesandten,
Grafen Benedetti, in Berlin den Plan zu einer Annexion Belgiens mitgeteilt
haben, und dieser Plan erstünde jetzt wieder von neuem aus der Asche, um die
öffentliche Meinung dahin zu führen, daß sie Stütze beim Deutschen Reiche
suche. In ähnlicher Weise soll der Pangermanismus gegen Dänemark vor¬
schreiten, dessen Meerengen für die deutsche Flotte zu besitzen, dem Kaiser Wilhelm
dem Zweiten eine Notwendigkeit erscheine. Die Beziehungen, in die man mit


Der Pangermanismus

an Deutschland behandelt hätten. Er zitiert dann eine längere Auseinander¬
setzung des deutschen Professors Ernst von Halle, die sich, durchaus richtig, an
die geographische Lage von Holland hält und darlegt, daß Holland eigentlich
die Verlängerung des Rheintals ist, daß die deutsche Marine die holländischen
Meeresufer zu ihrer vollen Entwicklung nötig habe, daß die Holländer durchaus
nicht unter dem Eintritt in die Reihe der deutschen Bundesstaaten zu leiden
haben würden, da sie ja nach Abkunft und Sprache Deutsche seien, also in ähn¬
lichem Verhältnis stehn könnten wie Bayern und Sachsen. Gegen jede fremde
Großmacht sei Holland unfähig, sein eignes Land und seine Kolonien zu ver¬
teidigen, und nur Deutschland allein könne Holland und seine Kolonien genügend
schützen unter der Bedingung einer festen Vereinigung, die für beide Völker eine
Quelle der Sicherheit und der Reichtümer sein werde. Diese gewiß richtigen
und unbestreitbaren Sätze erklärt Hauptmann Coquelin für eine These des Pan¬
germanismus. Er führt dann die vorteilhaften Handelsverträge an, die große
Zahl (30 000) der Deutschen in Rotterdam, das der vierte Hafen Europas und
eine deutsche Stadt geworden sei, alles durch die Diplomatie in Berlin. Dann
wird die Heirat der Königin Wilhelmine mit einem deutschen Prinzen als An¬
fang der Germanisierung des holländischen Hofes angesehen, und die Besetzung
des holländischen Königsthrones durch einen Hohenzollern für den Fall, daß
die Ehe der Königin kinderlos bliebe. Der Pangermanismus habe seine Tätig¬
keit auch auf Belgien ausgedehnt unter dem Vorwande, daß die Hälfte des
belgischen Volks, die Flamländer, deutschen Ursprungs sei. Die deutsche Diplo¬
matie habe sich auch hier der Handelsbeziehungen gewissermaßen als Avant¬
garde bedient, um in Belgien Fuß zu fassen. Antwerpen, einer der ersten stra¬
tegischen Orte und Handelsplätze von Europa, sei jetzt eine deutsche Stadt, da
sich alles in den Händen deutscher Einwandrer befinde. Eine unter dem Namen
Germania mit Unterstützung und unter Leitung der pangermanistischen Gesell¬
schaft gegründete Vereinigung verbreitet die Ideen des Pangermanismus. An
ihrer Spitze habe ein ehemaliger preußischer Offizier, Freiherr von Ziegesar,
gestanden, der auch eine pangermanistische Zeitschrift gegründet habe, die in
deutscher und in flämischer Sprache erschien. Sogar der internationale Sozia¬
lismus habe, begünstigt durch die Agenten des Pangermanismus, in Belgien
unter den Arbeitern große Fortschritte gemacht. Eine einflußreiche Partei habe
sich in Belgien gebildet, die aus Furcht vor einer Annexion durch Frankreich
oder vor Arbeiterunruhen die Vormundschaft des deutschen Kaisers anzunehmen
bereit sei. Bismarck selbst soll schon seinerzeit dem französischen Gesandten,
Grafen Benedetti, in Berlin den Plan zu einer Annexion Belgiens mitgeteilt
haben, und dieser Plan erstünde jetzt wieder von neuem aus der Asche, um die
öffentliche Meinung dahin zu führen, daß sie Stütze beim Deutschen Reiche
suche. In ähnlicher Weise soll der Pangermanismus gegen Dänemark vor¬
schreiten, dessen Meerengen für die deutsche Flotte zu besitzen, dem Kaiser Wilhelm
dem Zweiten eine Notwendigkeit erscheine. Die Beziehungen, in die man mit


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[0185] Der Pangermanismus an Deutschland behandelt hätten. Er zitiert dann eine längere Auseinander¬ setzung des deutschen Professors Ernst von Halle, die sich, durchaus richtig, an die geographische Lage von Holland hält und darlegt, daß Holland eigentlich die Verlängerung des Rheintals ist, daß die deutsche Marine die holländischen Meeresufer zu ihrer vollen Entwicklung nötig habe, daß die Holländer durchaus nicht unter dem Eintritt in die Reihe der deutschen Bundesstaaten zu leiden haben würden, da sie ja nach Abkunft und Sprache Deutsche seien, also in ähn¬ lichem Verhältnis stehn könnten wie Bayern und Sachsen. Gegen jede fremde Großmacht sei Holland unfähig, sein eignes Land und seine Kolonien zu ver¬ teidigen, und nur Deutschland allein könne Holland und seine Kolonien genügend schützen unter der Bedingung einer festen Vereinigung, die für beide Völker eine Quelle der Sicherheit und der Reichtümer sein werde. Diese gewiß richtigen und unbestreitbaren Sätze erklärt Hauptmann Coquelin für eine These des Pan¬ germanismus. Er führt dann die vorteilhaften Handelsverträge an, die große Zahl (30 000) der Deutschen in Rotterdam, das der vierte Hafen Europas und eine deutsche Stadt geworden sei, alles durch die Diplomatie in Berlin. Dann wird die Heirat der Königin Wilhelmine mit einem deutschen Prinzen als An¬ fang der Germanisierung des holländischen Hofes angesehen, und die Besetzung des holländischen Königsthrones durch einen Hohenzollern für den Fall, daß die Ehe der Königin kinderlos bliebe. Der Pangermanismus habe seine Tätig¬ keit auch auf Belgien ausgedehnt unter dem Vorwande, daß die Hälfte des belgischen Volks, die Flamländer, deutschen Ursprungs sei. Die deutsche Diplo¬ matie habe sich auch hier der Handelsbeziehungen gewissermaßen als Avant¬ garde bedient, um in Belgien Fuß zu fassen. Antwerpen, einer der ersten stra¬ tegischen Orte und Handelsplätze von Europa, sei jetzt eine deutsche Stadt, da sich alles in den Händen deutscher Einwandrer befinde. Eine unter dem Namen Germania mit Unterstützung und unter Leitung der pangermanistischen Gesell¬ schaft gegründete Vereinigung verbreitet die Ideen des Pangermanismus. An ihrer Spitze habe ein ehemaliger preußischer Offizier, Freiherr von Ziegesar, gestanden, der auch eine pangermanistische Zeitschrift gegründet habe, die in deutscher und in flämischer Sprache erschien. Sogar der internationale Sozia¬ lismus habe, begünstigt durch die Agenten des Pangermanismus, in Belgien unter den Arbeitern große Fortschritte gemacht. Eine einflußreiche Partei habe sich in Belgien gebildet, die aus Furcht vor einer Annexion durch Frankreich oder vor Arbeiterunruhen die Vormundschaft des deutschen Kaisers anzunehmen bereit sei. Bismarck selbst soll schon seinerzeit dem französischen Gesandten, Grafen Benedetti, in Berlin den Plan zu einer Annexion Belgiens mitgeteilt haben, und dieser Plan erstünde jetzt wieder von neuem aus der Asche, um die öffentliche Meinung dahin zu führen, daß sie Stütze beim Deutschen Reiche suche. In ähnlicher Weise soll der Pangermanismus gegen Dänemark vor¬ schreiten, dessen Meerengen für die deutsche Flotte zu besitzen, dem Kaiser Wilhelm dem Zweiten eine Notwendigkeit erscheine. Die Beziehungen, in die man mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/185>, abgerufen am 24.07.2024.