Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Glossen in dem Preußen vor 1870 wurzelnden Oberschichten nunmehr ihr Recht ver¬ Soweit diese Gedankengänge richtiges enthalten, hat sie Fürst Bülow Da es aber dem Fürsten Bülow in seiner Eigenschaft als leitender Staats¬ Dieser Prozeß aber, dessen Vollendung das Ziel des denkenden Staats¬ Als bei Gelegenheit der bevorstehenden Wahlen die Aussichten des Zu¬ Glossen in dem Preußen vor 1870 wurzelnden Oberschichten nunmehr ihr Recht ver¬ Soweit diese Gedankengänge richtiges enthalten, hat sie Fürst Bülow Da es aber dem Fürsten Bülow in seiner Eigenschaft als leitender Staats¬ Dieser Prozeß aber, dessen Vollendung das Ziel des denkenden Staats¬ Als bei Gelegenheit der bevorstehenden Wahlen die Aussichten des Zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301412"/> <fw type="header" place="top"> Glossen</fw><lb/> <p xml:id="ID_533" prev="#ID_532"> in dem Preußen vor 1870 wurzelnden Oberschichten nunmehr ihr Recht ver¬<lb/> lange. Die neue Gesellschaft müsse politisiert werden. Das Jahr 1870/71 habe<lb/> den Deutschen nur die Einheit der Leitung gegeben — und der Einheit der<lb/> Leitung müsse nun die Einheit der Geleiteten folgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_534"> Soweit diese Gedankengänge richtiges enthalten, hat sie Fürst Bülow<lb/> jederzeit anerkannt, wenn er auch niemals die Politisierung der neuen Ge¬<lb/> sellschaft als Schlagwort oder Wegweiser seiner Politik proklamiert hat. Wir<lb/> denken uns, daß ihm die Verschmelzung industrieller und agrarischer Interessen<lb/> im schlesischen Hochadel ebenso nützlich schien wie der rege Verkehr des deutschen<lb/> Kaisers mit den Größen der industriellen lind der kommerziellen Welt, daß er<lb/> dies und ähnliches mit lebhafter Frende begrüßte als Anfang der Bildung<lb/> einer einheitlichen neudeutschen Aristokratie, die eben doch die erste Bedingung<lb/> dafür ist, daß die deutsche Einheit aus einer Einheit der Leitung eine der Ge¬<lb/> leiteten wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_535"> Da es aber dem Fürsten Bülow in seiner Eigenschaft als leitender Staats¬<lb/> mann des Deutschen Reiches nicht darauf ankommen kann, richtige Gedanken<lb/> auszusprechen, sondern sie in die Tat unizusetzen, so wird er sicherlich gegen<lb/> die unter dem Einfluß der Geschichtsauffassung von Lamprecht und seinen An¬<lb/> hängern gegebne Darstellung dieser Frage einige nicht unwichtige Einwände<lb/> erheben müssen. Diese Darstellung irrt, wenn sie der alten Gesellschaft die<lb/> neue schroff gegenüberstellt, und dieser Irrtum ist nur dazu geeignet, der Sache<lb/> zu schaden. Es ist ein Fehler der Wirklichkeit, niemals so einfach zu sein als<lb/> Theorien, In Wirklichkeit ist die alte Gesellschaft so wenig eine feste, abge¬<lb/> schlossene Größe wie die neue. Jede Gesellschaft, namentlich aber die moderne,<lb/> weder räumlich noch durch gesellschaftliche Gesetze wie früher streng abgeschlossene<lb/> und begrenzte, befindet sich in einem Zustande stetiger Veränderung, ewig bereit,<lb/> sich andern Ideen anzugliedern und neue Elemente aufzunehmen. Das heißt<lb/> mit andern Worten: die neue Gesellschaft muß ganz von selbst durch die bloße<lb/> Wucht der natürlichen Entwicklung in die alte hineinwachsen. Der preußische<lb/> Landadel paßt sich durch diesen ganz natürlichen Verschmelzungsprozeß ebenso<lb/> industriellen und bürgerlichen Gedankengängen an, wie sich die industrielle Ober¬<lb/> schicht den politischen Überlieferungen und Ideen des preußischen Adels innerlich<lb/> nähert. Jeder Tag und die Erfahrung jedes einzelnen Menschen bringen Bei¬<lb/> spiele dieser Verschmelzung,</p><lb/> <p xml:id="ID_536"> Dieser Prozeß aber, dessen Vollendung das Ziel des denkenden Staats¬<lb/> mannes sein muß, wird keineswegs gefördert durch die falsche und allzu ein¬<lb/> fache Theorie von der neuen Oberschicht, die sich gegen die alte in schroffem<lb/> Kampfe durchsetzen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_537" next="#ID_538"> Als bei Gelegenheit der bevorstehenden Wahlen die Aussichten des Zu¬<lb/> sammengehens zwischen den konservativen und den liberalen Parteien, das die<lb/> politische Vernunft gebietet, erörtert wurde, da betonte die Kreuzzeitung mit Recht,<lb/> daß der Anfang der Einigung gegenseitige Würdigung sein müsse. Mit dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0158]
Glossen
in dem Preußen vor 1870 wurzelnden Oberschichten nunmehr ihr Recht ver¬
lange. Die neue Gesellschaft müsse politisiert werden. Das Jahr 1870/71 habe
den Deutschen nur die Einheit der Leitung gegeben — und der Einheit der
Leitung müsse nun die Einheit der Geleiteten folgen.
Soweit diese Gedankengänge richtiges enthalten, hat sie Fürst Bülow
jederzeit anerkannt, wenn er auch niemals die Politisierung der neuen Ge¬
sellschaft als Schlagwort oder Wegweiser seiner Politik proklamiert hat. Wir
denken uns, daß ihm die Verschmelzung industrieller und agrarischer Interessen
im schlesischen Hochadel ebenso nützlich schien wie der rege Verkehr des deutschen
Kaisers mit den Größen der industriellen lind der kommerziellen Welt, daß er
dies und ähnliches mit lebhafter Frende begrüßte als Anfang der Bildung
einer einheitlichen neudeutschen Aristokratie, die eben doch die erste Bedingung
dafür ist, daß die deutsche Einheit aus einer Einheit der Leitung eine der Ge¬
leiteten wird.
Da es aber dem Fürsten Bülow in seiner Eigenschaft als leitender Staats¬
mann des Deutschen Reiches nicht darauf ankommen kann, richtige Gedanken
auszusprechen, sondern sie in die Tat unizusetzen, so wird er sicherlich gegen
die unter dem Einfluß der Geschichtsauffassung von Lamprecht und seinen An¬
hängern gegebne Darstellung dieser Frage einige nicht unwichtige Einwände
erheben müssen. Diese Darstellung irrt, wenn sie der alten Gesellschaft die
neue schroff gegenüberstellt, und dieser Irrtum ist nur dazu geeignet, der Sache
zu schaden. Es ist ein Fehler der Wirklichkeit, niemals so einfach zu sein als
Theorien, In Wirklichkeit ist die alte Gesellschaft so wenig eine feste, abge¬
schlossene Größe wie die neue. Jede Gesellschaft, namentlich aber die moderne,
weder räumlich noch durch gesellschaftliche Gesetze wie früher streng abgeschlossene
und begrenzte, befindet sich in einem Zustande stetiger Veränderung, ewig bereit,
sich andern Ideen anzugliedern und neue Elemente aufzunehmen. Das heißt
mit andern Worten: die neue Gesellschaft muß ganz von selbst durch die bloße
Wucht der natürlichen Entwicklung in die alte hineinwachsen. Der preußische
Landadel paßt sich durch diesen ganz natürlichen Verschmelzungsprozeß ebenso
industriellen und bürgerlichen Gedankengängen an, wie sich die industrielle Ober¬
schicht den politischen Überlieferungen und Ideen des preußischen Adels innerlich
nähert. Jeder Tag und die Erfahrung jedes einzelnen Menschen bringen Bei¬
spiele dieser Verschmelzung,
Dieser Prozeß aber, dessen Vollendung das Ziel des denkenden Staats¬
mannes sein muß, wird keineswegs gefördert durch die falsche und allzu ein¬
fache Theorie von der neuen Oberschicht, die sich gegen die alte in schroffem
Kampfe durchsetzen soll.
Als bei Gelegenheit der bevorstehenden Wahlen die Aussichten des Zu¬
sammengehens zwischen den konservativen und den liberalen Parteien, das die
politische Vernunft gebietet, erörtert wurde, da betonte die Kreuzzeitung mit Recht,
daß der Anfang der Einigung gegenseitige Würdigung sein müsse. Mit dem
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