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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

Auf dem Rückwege war ich Zeuge, wie eine im Hauptpostgebäude stationierte
Jnfauteriewache abgelöst wurde. Auch sonst habe ich öfters Gelegenheit gehabt,
brasilianisches Militär zu beobachten, zum Beispiel mehrere Abteilungen des auf
der Ilha das Cobras (Schlangeninsel) stationierten Marinebataillons. Daß
der Wachtdienst in Rio nicht so gehandhabt wird wie in Potsdam, und daß
man auch abgesehen vom Garnisoudienst von dem brasilianischen Militär nicht
ähnliche Leistungen erwarten darf wie von dem deutscheu, ist wohl selbstverständlich.
Immerhin muß ich aber sagen, daß der Eindruck, den ich gewonnen habe, im
allgemeinen keineswegs ungünstig war. Bemerkenswert ist, daß es auch farbige
Offiziere gibt. Wie es mit dem Respekt der weißen Soldaten vor den farbigen
Offizieren und mit der Kameradschaft zwischen diesen und den weißen Offizieren
steht, habe ich uicht in Erfahrung bringen können. Verstöße gegen die Straßen¬
disziplin habe ich niemals wahrgenommen, und der Anzug war sogar tadellos.
Wenig Aufmerksamkeit scheint man dem Signalwesen zu widmen. Auch die
einfachsten Signale wurden abscheulich unrein geblasen, und ein Zapfenstreich,
den ich von der Ilha das Cobras her hörte, war geradezu ohrenzerreißend.
Großen Spaß bereitete es uns Deutschen, daß ein kleineres Kriegsschiff bei der
Flaggenparade in Ermanglung eines Musikkorps ein Grammophon spielen ließ.

Am dritten Tage machte ich, da sich das Wetter völlig aufgeklärt hatte,
einen Ausflug auf den Corcovado, einen mehr als 700 Meter hohen, sich un¬
mittelbar über der Vorstadt Botafogo schroff erhebenden Berg. Der Schiffs¬
arzt und ich fuhren auf der Zahnradbahn bis zu dem ans zwei Drittel
Höhe liegenden Hotel Paineiras. Die Gegend etwas oberhalb des Hotels
ist offenbar ein Dorado für Schmetterlinge; denn Hunderte trieben dort ihr
Spiel, darunter wahre Prachtexemplare. Sie nehmen sich, wenn sie in ihrem
unberührten Schmelz über sonnigen Hängen einherschweben, doch noch ganz
anders aus als in unsern Sammlungen. Wir berechneten, daß -- wenn wir die
Falter hätten fangen können -- der in Berlin zu erreichende Verkaufserlös gewiß
die Reisekosten gedeckt haben würde. Das letzte Drittel des Weges legten wir
zu Fuß zurück, indem wir die immer wechselnde Aussicht genossen. Oben an¬
gelangt wurden wir für unsre Anstrengung dnrch eine einzig schöne, alles um¬
fassende Rundsicht belohnt. Eine erhabne, in ihren Einzelheiten aber höchst
anmutige Natur verbindet sich hier mit den mannigfachen Gebilden der Menschen¬
hand zu einem in den leuchtendsten Farben prangenden Gemälde, das Herz
und Sinn völlig überwältigt und mit seinen" südlichen Reiz auf uns Nord¬
länder geradezu faszinierend wirkte. Im Evangelium Matthüi steht geschrieben:
"Wiederum führete ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und
zeigete ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit; Und sprach zu ihm:
Dies alles will ich dir geben, so du niederfüllst und mich anbetest." Der
Brasilianer verlegt diesen Vorgang hierher, und ich muß bekennen: die ver¬
führerische Herrlichkeit der Welt hat sich mir nirgends in derselben Weise
offenbart wie auf dem Gipfel des Corcovado.


Line Ferienfahrt nach Brasilien

Auf dem Rückwege war ich Zeuge, wie eine im Hauptpostgebäude stationierte
Jnfauteriewache abgelöst wurde. Auch sonst habe ich öfters Gelegenheit gehabt,
brasilianisches Militär zu beobachten, zum Beispiel mehrere Abteilungen des auf
der Ilha das Cobras (Schlangeninsel) stationierten Marinebataillons. Daß
der Wachtdienst in Rio nicht so gehandhabt wird wie in Potsdam, und daß
man auch abgesehen vom Garnisoudienst von dem brasilianischen Militär nicht
ähnliche Leistungen erwarten darf wie von dem deutscheu, ist wohl selbstverständlich.
Immerhin muß ich aber sagen, daß der Eindruck, den ich gewonnen habe, im
allgemeinen keineswegs ungünstig war. Bemerkenswert ist, daß es auch farbige
Offiziere gibt. Wie es mit dem Respekt der weißen Soldaten vor den farbigen
Offizieren und mit der Kameradschaft zwischen diesen und den weißen Offizieren
steht, habe ich uicht in Erfahrung bringen können. Verstöße gegen die Straßen¬
disziplin habe ich niemals wahrgenommen, und der Anzug war sogar tadellos.
Wenig Aufmerksamkeit scheint man dem Signalwesen zu widmen. Auch die
einfachsten Signale wurden abscheulich unrein geblasen, und ein Zapfenstreich,
den ich von der Ilha das Cobras her hörte, war geradezu ohrenzerreißend.
Großen Spaß bereitete es uns Deutschen, daß ein kleineres Kriegsschiff bei der
Flaggenparade in Ermanglung eines Musikkorps ein Grammophon spielen ließ.

Am dritten Tage machte ich, da sich das Wetter völlig aufgeklärt hatte,
einen Ausflug auf den Corcovado, einen mehr als 700 Meter hohen, sich un¬
mittelbar über der Vorstadt Botafogo schroff erhebenden Berg. Der Schiffs¬
arzt und ich fuhren auf der Zahnradbahn bis zu dem ans zwei Drittel
Höhe liegenden Hotel Paineiras. Die Gegend etwas oberhalb des Hotels
ist offenbar ein Dorado für Schmetterlinge; denn Hunderte trieben dort ihr
Spiel, darunter wahre Prachtexemplare. Sie nehmen sich, wenn sie in ihrem
unberührten Schmelz über sonnigen Hängen einherschweben, doch noch ganz
anders aus als in unsern Sammlungen. Wir berechneten, daß — wenn wir die
Falter hätten fangen können — der in Berlin zu erreichende Verkaufserlös gewiß
die Reisekosten gedeckt haben würde. Das letzte Drittel des Weges legten wir
zu Fuß zurück, indem wir die immer wechselnde Aussicht genossen. Oben an¬
gelangt wurden wir für unsre Anstrengung dnrch eine einzig schöne, alles um¬
fassende Rundsicht belohnt. Eine erhabne, in ihren Einzelheiten aber höchst
anmutige Natur verbindet sich hier mit den mannigfachen Gebilden der Menschen¬
hand zu einem in den leuchtendsten Farben prangenden Gemälde, das Herz
und Sinn völlig überwältigt und mit seinen« südlichen Reiz auf uns Nord¬
länder geradezu faszinierend wirkte. Im Evangelium Matthüi steht geschrieben:
„Wiederum führete ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und
zeigete ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit; Und sprach zu ihm:
Dies alles will ich dir geben, so du niederfüllst und mich anbetest." Der
Brasilianer verlegt diesen Vorgang hierher, und ich muß bekennen: die ver¬
führerische Herrlichkeit der Welt hat sich mir nirgends in derselben Weise
offenbart wie auf dem Gipfel des Corcovado.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/156>, abgerufen am 04.07.2024.