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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

bei luftigen, mit bunten Kacheln verkleideten Landhäusern und prächtigen Gärten
vorüber, auf der letzten Strecke an einem rauschenden Bach entlang hinauf in
das Gebirge. In den sorgsam gepflegten Besitzungen war überall trotz des
Winters ein reicher Pflanzenwuchs mit einer Fülle von farbenprächtigen Blüten,
die von himmelblauen, mehr als handgroßen Schmetterlingen umgankelt wurden.
Da gab es Granaten, Oleander, fruchtbeladne Orangenbäume, Araukarien,
Cycas-, Fächer- und phönixartige Palmen, dann wieder Königspalmen mit
schlanken, von Philodeudren umwucherten Stämmen, mächtige Mangobäume von
dem Wuchse der echten Kastanien, haushohe Kakteen und Farne, und in jedem
Baum eine Menge der verschiedensten Orchideen. Dann kamen wir auch durch
weite halbwilde Strecken mit undurchdringlichen Bambusgebllschcn und andern
Dickichten. Von der Endstation der Bahn aus gingen wir auf schattigem Wege
zu einem an den Abhängen des Tijneaberges herabstürzenden wasserreichen Fall,
in dessen Umgebung es angenehm kühl war. Nach längerm Aufenthalt an
diesem idyllischen Platze kehrten wir auf das Schiff zurück und sollten hier noch
ein gewaltiges Schauspiel erleben.

Es war ein heißer Tag gewesen, und schon nachmittags hatten sich ver¬
dächtige Wolken gezeigt. Allmählich wurde der Himmel schwarzblau, und auch
das Wasser nahm eine tiefdunkle Farbe an. Gegen Abend ging dann ein Un¬
wetter nieder von einer Heftigkeit, wie man sie in der gemäßigten Zone nicht
kennt. Ein orkanartiger Sturm brach los und fuhr pfeifend und zischend durch
das Takelwerk. Dumpf brauste die Bai auf, von obenher ertönte ein unheim¬
liches Sausen und Rollen, durch einzelne fürchterliche Schläge unterbrochen,
und grelle Blitze zuckten unaufhörlich und setzten das Firmament in Flammen.
Dabei stürzten Wasserfluten vom Himmel in einer Mannhaftigkeit, als ob die
Sintflut im Anzuge wäre. Doch schneller, als er gekommen war, verzog sich
der Sturm wieder, nur ab und zu noch ein gedämpftes Murren, ein schwächerer
Schlag und ein matterer Blitz, und bald war alles vorüber. Glücklicherweise
hatten sich alle Barkassen und Boote rechtzeitig in Sicherheit gebracht; sie
hätten sich auf dem Wasser nicht halten können. Ich war froh, daß uns das
Gewitter nicht auf dem Ozean getroffen hatte.

Weil die Luft am nächsten Morgen noch dunstig war, benutzte ich den
Tag dazu, die Stadt nach allen Richtungen hin zu durchstreifen. Sie enthält
stattliche Plätze und weist zahlreiche sehenswerte Staatsgebäude, Kirchen und
Wohltätigkeitsanstalten auf. Leider ist die prächtige Kathedrale so umbaut,
daß ihre Wirkung sehr beeinträchtigt wird. Von den Denkmälern möchte ich
das Reiterstandbild des Kaisers Dom Pedro des Ersten hervorheben. Unter
den öffentlichen Gärten ist der botanische weitaus der schönste und größte; erst
hier bekommt der Fremde einen vollständigen Begriff von der Mannigfaltigkeit
der tropischen Vegetation. Der Garten enthält allein an Palmen etwa zwei¬
hundert Arten und ist weltberühmt durch seine Orchideensammlung und seine
wundervollen Alleen von Königspalmen und Bambus.


Line Ferienfahrt nach Brasilien

bei luftigen, mit bunten Kacheln verkleideten Landhäusern und prächtigen Gärten
vorüber, auf der letzten Strecke an einem rauschenden Bach entlang hinauf in
das Gebirge. In den sorgsam gepflegten Besitzungen war überall trotz des
Winters ein reicher Pflanzenwuchs mit einer Fülle von farbenprächtigen Blüten,
die von himmelblauen, mehr als handgroßen Schmetterlingen umgankelt wurden.
Da gab es Granaten, Oleander, fruchtbeladne Orangenbäume, Araukarien,
Cycas-, Fächer- und phönixartige Palmen, dann wieder Königspalmen mit
schlanken, von Philodeudren umwucherten Stämmen, mächtige Mangobäume von
dem Wuchse der echten Kastanien, haushohe Kakteen und Farne, und in jedem
Baum eine Menge der verschiedensten Orchideen. Dann kamen wir auch durch
weite halbwilde Strecken mit undurchdringlichen Bambusgebllschcn und andern
Dickichten. Von der Endstation der Bahn aus gingen wir auf schattigem Wege
zu einem an den Abhängen des Tijneaberges herabstürzenden wasserreichen Fall,
in dessen Umgebung es angenehm kühl war. Nach längerm Aufenthalt an
diesem idyllischen Platze kehrten wir auf das Schiff zurück und sollten hier noch
ein gewaltiges Schauspiel erleben.

Es war ein heißer Tag gewesen, und schon nachmittags hatten sich ver¬
dächtige Wolken gezeigt. Allmählich wurde der Himmel schwarzblau, und auch
das Wasser nahm eine tiefdunkle Farbe an. Gegen Abend ging dann ein Un¬
wetter nieder von einer Heftigkeit, wie man sie in der gemäßigten Zone nicht
kennt. Ein orkanartiger Sturm brach los und fuhr pfeifend und zischend durch
das Takelwerk. Dumpf brauste die Bai auf, von obenher ertönte ein unheim¬
liches Sausen und Rollen, durch einzelne fürchterliche Schläge unterbrochen,
und grelle Blitze zuckten unaufhörlich und setzten das Firmament in Flammen.
Dabei stürzten Wasserfluten vom Himmel in einer Mannhaftigkeit, als ob die
Sintflut im Anzuge wäre. Doch schneller, als er gekommen war, verzog sich
der Sturm wieder, nur ab und zu noch ein gedämpftes Murren, ein schwächerer
Schlag und ein matterer Blitz, und bald war alles vorüber. Glücklicherweise
hatten sich alle Barkassen und Boote rechtzeitig in Sicherheit gebracht; sie
hätten sich auf dem Wasser nicht halten können. Ich war froh, daß uns das
Gewitter nicht auf dem Ozean getroffen hatte.

Weil die Luft am nächsten Morgen noch dunstig war, benutzte ich den
Tag dazu, die Stadt nach allen Richtungen hin zu durchstreifen. Sie enthält
stattliche Plätze und weist zahlreiche sehenswerte Staatsgebäude, Kirchen und
Wohltätigkeitsanstalten auf. Leider ist die prächtige Kathedrale so umbaut,
daß ihre Wirkung sehr beeinträchtigt wird. Von den Denkmälern möchte ich
das Reiterstandbild des Kaisers Dom Pedro des Ersten hervorheben. Unter
den öffentlichen Gärten ist der botanische weitaus der schönste und größte; erst
hier bekommt der Fremde einen vollständigen Begriff von der Mannigfaltigkeit
der tropischen Vegetation. Der Garten enthält allein an Palmen etwa zwei¬
hundert Arten und ist weltberühmt durch seine Orchideensammlung und seine
wundervollen Alleen von Königspalmen und Bambus.


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[0155] Line Ferienfahrt nach Brasilien bei luftigen, mit bunten Kacheln verkleideten Landhäusern und prächtigen Gärten vorüber, auf der letzten Strecke an einem rauschenden Bach entlang hinauf in das Gebirge. In den sorgsam gepflegten Besitzungen war überall trotz des Winters ein reicher Pflanzenwuchs mit einer Fülle von farbenprächtigen Blüten, die von himmelblauen, mehr als handgroßen Schmetterlingen umgankelt wurden. Da gab es Granaten, Oleander, fruchtbeladne Orangenbäume, Araukarien, Cycas-, Fächer- und phönixartige Palmen, dann wieder Königspalmen mit schlanken, von Philodeudren umwucherten Stämmen, mächtige Mangobäume von dem Wuchse der echten Kastanien, haushohe Kakteen und Farne, und in jedem Baum eine Menge der verschiedensten Orchideen. Dann kamen wir auch durch weite halbwilde Strecken mit undurchdringlichen Bambusgebllschcn und andern Dickichten. Von der Endstation der Bahn aus gingen wir auf schattigem Wege zu einem an den Abhängen des Tijneaberges herabstürzenden wasserreichen Fall, in dessen Umgebung es angenehm kühl war. Nach längerm Aufenthalt an diesem idyllischen Platze kehrten wir auf das Schiff zurück und sollten hier noch ein gewaltiges Schauspiel erleben. Es war ein heißer Tag gewesen, und schon nachmittags hatten sich ver¬ dächtige Wolken gezeigt. Allmählich wurde der Himmel schwarzblau, und auch das Wasser nahm eine tiefdunkle Farbe an. Gegen Abend ging dann ein Un¬ wetter nieder von einer Heftigkeit, wie man sie in der gemäßigten Zone nicht kennt. Ein orkanartiger Sturm brach los und fuhr pfeifend und zischend durch das Takelwerk. Dumpf brauste die Bai auf, von obenher ertönte ein unheim¬ liches Sausen und Rollen, durch einzelne fürchterliche Schläge unterbrochen, und grelle Blitze zuckten unaufhörlich und setzten das Firmament in Flammen. Dabei stürzten Wasserfluten vom Himmel in einer Mannhaftigkeit, als ob die Sintflut im Anzuge wäre. Doch schneller, als er gekommen war, verzog sich der Sturm wieder, nur ab und zu noch ein gedämpftes Murren, ein schwächerer Schlag und ein matterer Blitz, und bald war alles vorüber. Glücklicherweise hatten sich alle Barkassen und Boote rechtzeitig in Sicherheit gebracht; sie hätten sich auf dem Wasser nicht halten können. Ich war froh, daß uns das Gewitter nicht auf dem Ozean getroffen hatte. Weil die Luft am nächsten Morgen noch dunstig war, benutzte ich den Tag dazu, die Stadt nach allen Richtungen hin zu durchstreifen. Sie enthält stattliche Plätze und weist zahlreiche sehenswerte Staatsgebäude, Kirchen und Wohltätigkeitsanstalten auf. Leider ist die prächtige Kathedrale so umbaut, daß ihre Wirkung sehr beeinträchtigt wird. Von den Denkmälern möchte ich das Reiterstandbild des Kaisers Dom Pedro des Ersten hervorheben. Unter den öffentlichen Gärten ist der botanische weitaus der schönste und größte; erst hier bekommt der Fremde einen vollständigen Begriff von der Mannigfaltigkeit der tropischen Vegetation. Der Garten enthält allein an Palmen etwa zwei¬ hundert Arten und ist weltberühmt durch seine Orchideensammlung und seine wundervollen Alleen von Königspalmen und Bambus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/155>, abgerufen am 04.07.2024.