Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Am Fnciner See

Als ich mir hier den Schein holte, der mich berechtigte, "die Madonna
bei der Mündung des Abzugskanals, die andern Wasser- und landwirtschaft¬
lichen Arbeiten zu besichtigen", ging mir schon eine Ahnung von der Größe
dieses wahrhaft fürstlichen Unternehmens auf. Ich sah in riesigen Speichern
Korn und Weizen haushoch gehäuft liegen, und in einem andern Saal arbeiteten
in einer Reihe nebeneinander nicht weniger als vierundzwanzig Dreschmaschinen.
Doch es ist nötig, zum bessern Verständnis einige geschichtliche Daten zu geben.

Etwas größer als der Trasimenische See breitete sich beinahe eiförmig im
Altertum hier ein See aus, der wohl von Osten her einen Zufluß, den Pitonius
(jetzt Fiume Giovenco), aber nirgends einen sichtbaren Abfluß hatte. Irrig war
die Ansicht der Alten (Strabo, Minus), daß der Abfluß mit einem Gewässer
identisch sei, das im Aniotal fünfunddreißig Kilometer entfernt unter dem Namen
Acqua Marcia zutage tritt. Gleichviel, unterirdische Abflüsse muß der See ge¬
habt haben, aber jedenfalls nicht in genügender Menge. Denn nach starken
Regen, wenn sich das Wasser von den umliegenden Bergen in großen Massen
in den See ergoß, stieg er und hielt oft lange Zeit weite Strecken Landes
überschwemmt, die dann später wieder frei und bebaut wurden, immer aber in
Gefahr waren, auf längere oder kürzere Zeit zum See zu werden.

Cäsar war der erste, der den Plan faßte, durch einen unterirdischen Kanal
wenigstens die Höhe des Sees zu regulieren. Seine Ermordung vereitelte die
Ausführung des Unternehmens. Augustus hatte keine Lust, vielleicht auch kein
Geld dazu. Erst Kaiser Claudius setzte es ins Werk. Elf Jahre arbeiteten
30000 Menschen daran. Der Kaiser kam aus Rom herüber, und glänzende
Feste, darunter ein großes Seegefecht, feierten die glückliche Vollendung. "Clau¬
dius rüstete Drei- und Nierruderer und 19000 Manu aus und faßte den
ganzen Umkreis mit Kühnen ein, damit kein freies Entkommen wäre, dabei
dennoch Raum genug umspauueud für die ganze Macht des Nudervolkes, der
Stellerleute Kunst, der Schiffe Anlauf und des Kampfes Brauch. Alls deu
Kähnen standen Rotten und Schwadronen prätvrischer Kohorten, vor ihnen
Bollwerke, von denen man mit Katapulten und Ballisten schießen konnte. Den
übrigen Teil des Sees nahmen in verdeckten Schiffen die Seesoldaten ein. Die
Ufer, Hügel und Berghöhen füllte amphitheatralisch eine unzählbare Meuge aus
deu nächsten Städten. Auch aus Rom Ware" viele herbeigeeilt, aus Schaulust
oder Huldigung für den Kaiser. Er selbst in prächtigem Feldherrnmantel, und
nicht weit davon Agrippina in golddurchwirktem Gewände führten den Vorsitz.
Gekämpft wurde, obwohl unter Verbrechern, mit dem Mute tapferer Männer,
und nach vielen Wunden erst entzog man sie der gänzlichen Vernichtung." So
Tacitus (Annalen XII, 56).

Unter Nero verfiel der Kanal, Hadrian ließ ihn zwar wiederherstellen,
doch ini Mittelalter verfiel er aufs neue, jedenfalls infolge Abbröcklung des
Gemäuers und der beständigen Anschwemmung aus dem See. Vergeblich blieben
die Versuche einer Trockenlegung durch Friedrich den Zweiten (1240), Alfons


Am Fnciner See

Als ich mir hier den Schein holte, der mich berechtigte, „die Madonna
bei der Mündung des Abzugskanals, die andern Wasser- und landwirtschaft¬
lichen Arbeiten zu besichtigen", ging mir schon eine Ahnung von der Größe
dieses wahrhaft fürstlichen Unternehmens auf. Ich sah in riesigen Speichern
Korn und Weizen haushoch gehäuft liegen, und in einem andern Saal arbeiteten
in einer Reihe nebeneinander nicht weniger als vierundzwanzig Dreschmaschinen.
Doch es ist nötig, zum bessern Verständnis einige geschichtliche Daten zu geben.

Etwas größer als der Trasimenische See breitete sich beinahe eiförmig im
Altertum hier ein See aus, der wohl von Osten her einen Zufluß, den Pitonius
(jetzt Fiume Giovenco), aber nirgends einen sichtbaren Abfluß hatte. Irrig war
die Ansicht der Alten (Strabo, Minus), daß der Abfluß mit einem Gewässer
identisch sei, das im Aniotal fünfunddreißig Kilometer entfernt unter dem Namen
Acqua Marcia zutage tritt. Gleichviel, unterirdische Abflüsse muß der See ge¬
habt haben, aber jedenfalls nicht in genügender Menge. Denn nach starken
Regen, wenn sich das Wasser von den umliegenden Bergen in großen Massen
in den See ergoß, stieg er und hielt oft lange Zeit weite Strecken Landes
überschwemmt, die dann später wieder frei und bebaut wurden, immer aber in
Gefahr waren, auf längere oder kürzere Zeit zum See zu werden.

Cäsar war der erste, der den Plan faßte, durch einen unterirdischen Kanal
wenigstens die Höhe des Sees zu regulieren. Seine Ermordung vereitelte die
Ausführung des Unternehmens. Augustus hatte keine Lust, vielleicht auch kein
Geld dazu. Erst Kaiser Claudius setzte es ins Werk. Elf Jahre arbeiteten
30000 Menschen daran. Der Kaiser kam aus Rom herüber, und glänzende
Feste, darunter ein großes Seegefecht, feierten die glückliche Vollendung. „Clau¬
dius rüstete Drei- und Nierruderer und 19000 Manu aus und faßte den
ganzen Umkreis mit Kühnen ein, damit kein freies Entkommen wäre, dabei
dennoch Raum genug umspauueud für die ganze Macht des Nudervolkes, der
Stellerleute Kunst, der Schiffe Anlauf und des Kampfes Brauch. Alls deu
Kähnen standen Rotten und Schwadronen prätvrischer Kohorten, vor ihnen
Bollwerke, von denen man mit Katapulten und Ballisten schießen konnte. Den
übrigen Teil des Sees nahmen in verdeckten Schiffen die Seesoldaten ein. Die
Ufer, Hügel und Berghöhen füllte amphitheatralisch eine unzählbare Meuge aus
deu nächsten Städten. Auch aus Rom Ware» viele herbeigeeilt, aus Schaulust
oder Huldigung für den Kaiser. Er selbst in prächtigem Feldherrnmantel, und
nicht weit davon Agrippina in golddurchwirktem Gewände führten den Vorsitz.
Gekämpft wurde, obwohl unter Verbrechern, mit dem Mute tapferer Männer,
und nach vielen Wunden erst entzog man sie der gänzlichen Vernichtung." So
Tacitus (Annalen XII, 56).

Unter Nero verfiel der Kanal, Hadrian ließ ihn zwar wiederherstellen,
doch ini Mittelalter verfiel er aufs neue, jedenfalls infolge Abbröcklung des
Gemäuers und der beständigen Anschwemmung aus dem See. Vergeblich blieben
die Versuche einer Trockenlegung durch Friedrich den Zweiten (1240), Alfons


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301370"/>
          <fw type="header" place="top"> Am Fnciner See</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_391"> Als ich mir hier den Schein holte, der mich berechtigte, &#x201E;die Madonna<lb/>
bei der Mündung des Abzugskanals, die andern Wasser- und landwirtschaft¬<lb/>
lichen Arbeiten zu besichtigen", ging mir schon eine Ahnung von der Größe<lb/>
dieses wahrhaft fürstlichen Unternehmens auf. Ich sah in riesigen Speichern<lb/>
Korn und Weizen haushoch gehäuft liegen, und in einem andern Saal arbeiteten<lb/>
in einer Reihe nebeneinander nicht weniger als vierundzwanzig Dreschmaschinen.<lb/>
Doch es ist nötig, zum bessern Verständnis einige geschichtliche Daten zu geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_392"> Etwas größer als der Trasimenische See breitete sich beinahe eiförmig im<lb/>
Altertum hier ein See aus, der wohl von Osten her einen Zufluß, den Pitonius<lb/>
(jetzt Fiume Giovenco), aber nirgends einen sichtbaren Abfluß hatte. Irrig war<lb/>
die Ansicht der Alten (Strabo, Minus), daß der Abfluß mit einem Gewässer<lb/>
identisch sei, das im Aniotal fünfunddreißig Kilometer entfernt unter dem Namen<lb/>
Acqua Marcia zutage tritt. Gleichviel, unterirdische Abflüsse muß der See ge¬<lb/>
habt haben, aber jedenfalls nicht in genügender Menge. Denn nach starken<lb/>
Regen, wenn sich das Wasser von den umliegenden Bergen in großen Massen<lb/>
in den See ergoß, stieg er und hielt oft lange Zeit weite Strecken Landes<lb/>
überschwemmt, die dann später wieder frei und bebaut wurden, immer aber in<lb/>
Gefahr waren, auf längere oder kürzere Zeit zum See zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_393"> Cäsar war der erste, der den Plan faßte, durch einen unterirdischen Kanal<lb/>
wenigstens die Höhe des Sees zu regulieren. Seine Ermordung vereitelte die<lb/>
Ausführung des Unternehmens. Augustus hatte keine Lust, vielleicht auch kein<lb/>
Geld dazu. Erst Kaiser Claudius setzte es ins Werk. Elf Jahre arbeiteten<lb/>
30000 Menschen daran. Der Kaiser kam aus Rom herüber, und glänzende<lb/>
Feste, darunter ein großes Seegefecht, feierten die glückliche Vollendung. &#x201E;Clau¬<lb/>
dius rüstete Drei- und Nierruderer und 19000 Manu aus und faßte den<lb/>
ganzen Umkreis mit Kühnen ein, damit kein freies Entkommen wäre, dabei<lb/>
dennoch Raum genug umspauueud für die ganze Macht des Nudervolkes, der<lb/>
Stellerleute Kunst, der Schiffe Anlauf und des Kampfes Brauch. Alls deu<lb/>
Kähnen standen Rotten und Schwadronen prätvrischer Kohorten, vor ihnen<lb/>
Bollwerke, von denen man mit Katapulten und Ballisten schießen konnte. Den<lb/>
übrigen Teil des Sees nahmen in verdeckten Schiffen die Seesoldaten ein. Die<lb/>
Ufer, Hügel und Berghöhen füllte amphitheatralisch eine unzählbare Meuge aus<lb/>
deu nächsten Städten. Auch aus Rom Ware» viele herbeigeeilt, aus Schaulust<lb/>
oder Huldigung für den Kaiser. Er selbst in prächtigem Feldherrnmantel, und<lb/>
nicht weit davon Agrippina in golddurchwirktem Gewände führten den Vorsitz.<lb/>
Gekämpft wurde, obwohl unter Verbrechern, mit dem Mute tapferer Männer,<lb/>
und nach vielen Wunden erst entzog man sie der gänzlichen Vernichtung." So<lb/>
Tacitus (Annalen XII, 56).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_394" next="#ID_395"> Unter Nero verfiel der Kanal, Hadrian ließ ihn zwar wiederherstellen,<lb/>
doch ini Mittelalter verfiel er aufs neue, jedenfalls infolge Abbröcklung des<lb/>
Gemäuers und der beständigen Anschwemmung aus dem See. Vergeblich blieben<lb/>
die Versuche einer Trockenlegung durch Friedrich den Zweiten (1240), Alfons</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] Am Fnciner See Als ich mir hier den Schein holte, der mich berechtigte, „die Madonna bei der Mündung des Abzugskanals, die andern Wasser- und landwirtschaft¬ lichen Arbeiten zu besichtigen", ging mir schon eine Ahnung von der Größe dieses wahrhaft fürstlichen Unternehmens auf. Ich sah in riesigen Speichern Korn und Weizen haushoch gehäuft liegen, und in einem andern Saal arbeiteten in einer Reihe nebeneinander nicht weniger als vierundzwanzig Dreschmaschinen. Doch es ist nötig, zum bessern Verständnis einige geschichtliche Daten zu geben. Etwas größer als der Trasimenische See breitete sich beinahe eiförmig im Altertum hier ein See aus, der wohl von Osten her einen Zufluß, den Pitonius (jetzt Fiume Giovenco), aber nirgends einen sichtbaren Abfluß hatte. Irrig war die Ansicht der Alten (Strabo, Minus), daß der Abfluß mit einem Gewässer identisch sei, das im Aniotal fünfunddreißig Kilometer entfernt unter dem Namen Acqua Marcia zutage tritt. Gleichviel, unterirdische Abflüsse muß der See ge¬ habt haben, aber jedenfalls nicht in genügender Menge. Denn nach starken Regen, wenn sich das Wasser von den umliegenden Bergen in großen Massen in den See ergoß, stieg er und hielt oft lange Zeit weite Strecken Landes überschwemmt, die dann später wieder frei und bebaut wurden, immer aber in Gefahr waren, auf längere oder kürzere Zeit zum See zu werden. Cäsar war der erste, der den Plan faßte, durch einen unterirdischen Kanal wenigstens die Höhe des Sees zu regulieren. Seine Ermordung vereitelte die Ausführung des Unternehmens. Augustus hatte keine Lust, vielleicht auch kein Geld dazu. Erst Kaiser Claudius setzte es ins Werk. Elf Jahre arbeiteten 30000 Menschen daran. Der Kaiser kam aus Rom herüber, und glänzende Feste, darunter ein großes Seegefecht, feierten die glückliche Vollendung. „Clau¬ dius rüstete Drei- und Nierruderer und 19000 Manu aus und faßte den ganzen Umkreis mit Kühnen ein, damit kein freies Entkommen wäre, dabei dennoch Raum genug umspauueud für die ganze Macht des Nudervolkes, der Stellerleute Kunst, der Schiffe Anlauf und des Kampfes Brauch. Alls deu Kähnen standen Rotten und Schwadronen prätvrischer Kohorten, vor ihnen Bollwerke, von denen man mit Katapulten und Ballisten schießen konnte. Den übrigen Teil des Sees nahmen in verdeckten Schiffen die Seesoldaten ein. Die Ufer, Hügel und Berghöhen füllte amphitheatralisch eine unzählbare Meuge aus deu nächsten Städten. Auch aus Rom Ware» viele herbeigeeilt, aus Schaulust oder Huldigung für den Kaiser. Er selbst in prächtigem Feldherrnmantel, und nicht weit davon Agrippina in golddurchwirktem Gewände führten den Vorsitz. Gekämpft wurde, obwohl unter Verbrechern, mit dem Mute tapferer Männer, und nach vielen Wunden erst entzog man sie der gänzlichen Vernichtung." So Tacitus (Annalen XII, 56). Unter Nero verfiel der Kanal, Hadrian ließ ihn zwar wiederherstellen, doch ini Mittelalter verfiel er aufs neue, jedenfalls infolge Abbröcklung des Gemäuers und der beständigen Anschwemmung aus dem See. Vergeblich blieben die Versuche einer Trockenlegung durch Friedrich den Zweiten (1240), Alfons

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/116
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/116>, abgerufen am 24.07.2024.